„Krebs - Eine
Nacherzählung“
Dr. phil. Werner Schneyder
Langen / Müller 2008
ISBN 3-7844-3127-5
Foto aus glücklichen Tagen:
Ilse und Werner Schneyder 1983
[...]
„Jetzt
möchte ich erzählen, weil ich es dir erzählen möchte ...
Wenn Medizin genormt ist,
wenn sie auf den Einzelfall nicht eingehen kann, läuft sie Gefahr,
das Gegenteil dessen zu sein,
was sie sein will: human ...
Ich bedanke
mich noch einmal bei Dr. Steinitz [Prof. f. Urologie] für
seine ruhige Interpretation
der beiden
[Operations-]
Möglichkeiten.
Und dann sage ich:
Und von der
dritten halten sie nichts?
Von welcher dritten?
Gar nicht operieren.
Das hieße: sicherer Tod
...
Der Oberarzt möchte mich
sprechen.
Ich muss Ihnen eine schreckliche Mitteilung machen:
Unser Chef [Dr. Steinitz] ist tot.
Gestern Abend. Sekundenherztod ...
Sie [Ilse] war seine letzte Patientin auf dem
Operationstisch ...
Beim Abschied halte ich ihre Hand zu lange.
Das könnte ihr
Angst machen,
denke ich und lasse los.
Ich bin auf Tournee. Wir sind getrennt.
Sie, die in den allerbesten Händen ist, ist in gar keinen.
Soll ich das tatenlos hinnehmen? ...
Jeder Versuch einer fairen Wertung ist für den Laien nicht möglich.
Er kann glauben oder nicht. Er kann Ärzte sympathischer
oder vertrauenswürdiger
finden oder nicht.
Was er nicht kann: beweiskräftig urteilen
...
...,dass, es ganz ernst um sie steht.
Ich weiß, dass sie es weiß.
Sie weiß, dass ich es weiß, dass sie es weiß.
Wir werden uns das eingestehen.
Aber noch nicht ...
Man muss doch diese Panik beherrschen können.
Es
ist doch unerträglich,
das ich fürchte,
mir mehr leidzutun als sie ...
Plötzlich
streift sie meine Handoberfläche und sagt in der Stille:
So ein treuer Gefährte ...
Angesicht des Todes
entsteht offenbar ein neues Bewusstsein
...
Die Menschen
- die unserer Zivilisation -
haben zu sterben verlernt ...
...ein medizinisches Prinzip, das offenbar verbietet, nichts zu tun ...
Man hat beinahe ein schlechtes Gewissen,
den Arzt
durch die Ablehnung
seiner Heilbereitschaft
zu enttäuschen ...
Fremdbestimmtheit
auch angesichts des Todes
nicht zuzulassen ...
Nichtoperation sei der sichere Tod. Jetzt ist er da.
[2004] Eineinhalb Jahre
später ...
Einzusehen,
dass man sterben muss und den Tod würdevoll
und
von Erleichterung begleitet zu
werden, ist keine Selbstaufgabe.
Das Abbrechen einer Therapie aber ist eine ...
Stammt das Leid vom Krebs oder von der Behandlung? ...
Es ist unbegreiflich, wie das langsame Sterben
der Sprache jede Logik nimmt ...
Die Medizin erstickt sich ab einem gewissen Zeitpunkt selbst.
Jeder für
irgendetwas zuständige Arzt verordnet lege artis einen Wirkstoff.
Das gilt vom
Papst bis zum Mesner. Wie sich diese Wirkstoffe aufheben
oder wechselseitig
gefährlich machen, kann keiner mehr überblicken.
Die Leute sind - in bester Absicht - verantwortungsimmun ...
... das Schlimmste, was man ihr antun kann,
ist eine Lebensverlängerung mit
Würdeverlust.
Aber Würde ist keine medizinische Kategorie ...
Mir ist kein Vertrauen mehr möglich.
Das ärmste Schwein ist der um den Patienten bangende Laie ...
Die Medizin kann den Eindruck von Sicherheit
nicht mehr vermitteln ...
Ich weine ...
Es ist der letzte, der
wirklich letzte der vielen Abschiede.
Ich merke, ich darf nur ganz leise küssen.
Berührungen schmerzen ...
Liebes
Ensemble! Wer sie gekannt hat, hat sie lieb gehabt.
Wer sie nicht gekannt
hat, soll mir glauben, er hätte sie lieb gehabt.
Wir spielen heute eine
Gedächtnisvorstellung ...
Ich sitze auf dem Balkon und schaue auf den See.
Die fünfte Jahreszeit ist in
mir.
Die Zeit zwischen Verlust und Ende.
Die kann sehr schön sein."
Welche nur Quälerei?
Es ist "Krebs".
Was fängt man mit diesem Befund
an?
Lebt man weiter im Bewusstsein, dass er ein Todesurteil ist?
Oder ergreift man jede noch so kleine Chance?
Siehe ZITATE:
Karl Kraus / Wie es einer Patientin oder einem Patienten wirklich geht
>>>
Bernie Siegel / Krebs >>>
Lawrence LeShan / Die Welt der Krebspatienten
>>>
Heinz von Foerster / Ständig entscheiden wir >>>
Erwin Schrödinger / Denn das, was ist >>>
Karl Popper / Über die Zukunft >>>
Mark Twain / Für jemanden
>>>
Sir Thomas McKeown / Die Bedeutung der Medizin
>>>
Albert Einstein / Sonderbar ist unsere Situation >>>
Christian Morgenstern / Die unmögliche Tatsache >>>
Julius Hackethal / Die Krebskrankheit >>>
Christian Bachmann / Was nicht sein darf, kann nicht sein
>>>
Tschuang Tse / Wir müssen verstehen >>>
Wilhelm Reich / Die Krebsgeschwulst
>>>
Elida Evans / Krebs >>>
Alexander Solschenizyn / Krebsstation
>>>
Oswald Arnold Gottfried Spengler / Was ist Wahrheit >>>
August Karl Gustav Bier / Man muss die Philosophie >>>
In Memoriam Josef Issels /
Ganzheitliche Krebstherapie >>>
Petr Skrabanek, James McCormick / Das Leben selbst ist >>>
Harold Bursztajn / Medizinische Untersuchungen >>>
Francois Marie Arouet Voltaire / Ärzte schütten Medikamente
>>>
Stefan Einhorn / Ein freundlicher Mensch >>>
David Servan Schreiber / Der Angst die Spitze
nehmen >>>
Frederic Chopin / In mir klingt ein Lied >>>
Juliane Sacher / Keine Panik bei Tumorerkrankungen
>>>
Siehe INFOS:
Info für Ratsuchende: Die Illusion der Gewissheit
>>>
Denkrahmen der Logik
>>>
Siehe LEISTUNGEN:
Palliativmedizin >>>
Additive Krebstherapie >>>
Dr. phil. Werner Schneyder [1937-2019] erinnert sich in
seinem Buch
„Krebs – Eine Nacherzählung“ an den Ausbruch der Krebs-Krankheit [Blasenkrebs 2002]
bei seiner Frau Ilse [1942 - 2004], an
ihren Verlauf, an das Ende [19.XI.2004].
Werner Schneyder war mit seiner Frau Ilse 44 Jahre lang verheiratet.
Persönlich, offen, ohne Pathos, aber
mit der tiefen Verzweiflung desjenigen, der dem geliebten Menschen beim Sterben
zusehen muss,
erzählt Werner Schneyder von den letzten zwei gemeinsamen Jahren.
Ein Leben, eine Lebenspartnerschaft werden der Medizin überantwortet.
Er stellt die Fragen, die in Momenten der Normalität kaum jemand auszusprechen
wagt:
Welche Maßnahmen sind überhaupt sinnvoll?
Ist Leben um
jeden Preis wirklich noch Leben?
Haben wir zu sterben verlernt?
Seine Nacherzählung ist in ihrer literarischen Brillanz nicht nur schonungslose
Krankengeschichte, sondern auch kritische und fragende Reflexion
über die
verschiedenen Möglichkeiten des Arzt-Patienten-Verhältnisses,
über die Verhältnismäßigkeiten von Therapien, über
Grenzsituationen der Existenz.
Werner Schneyders Buch ist auch eine letzte Liebeserklärung, ein Plädoyer für
Partnerschaft.
Werner
Schneyder:
"Warum
dieses Buch so wichtig für mich ist. Ich habe
lange gezögert, mich zu vagen oder präzisen Erinnerungen zu zwingen.
Aber jetzt
möchte ich erzählen, weil ich es Dir erzählen möchte. Wenn ich jetzt Dir, mit
der ich noch Leben vor mir habe und von der ich genau gekannt sein möchte,
erzähle, spreche ich über den Tod, dessen Abwehr durch Medizin,
deren Beherrschung oder Nichtbeherrschung durch Ärzte. Da sind Erfahrungen dabei, die
ich gerne öffentlich machen möchte.
Nicht als Anklage, nicht als Polemik. Als
Feststellungen.
Und vor allem als Fragen
... Weißt du, ich wünschte mir auch, dass der eine
oder andere Arzt diesen Text liest und sich bewusst, bewusster macht,
vor
welchem Hintergrund er seine medizinischen Entscheidungen trifft. Natürlich
ist von Ärzten nicht zu verlangen, Privates zu recherchieren,
um Entscheidungen
in Relation zu Lebenssituationen setzen zu können.
Aber sie - Ärzte
- sollten aus dem
Verhalten von Patienten Schlüsse ziehen, wenigstens versuchen, sich in die
Situation der Kranken zu projizieren,
statt mechanische Exekutoren
ihres medizinischen Credos zu sein."
Für ein prüfendes und vergleichendes Nachdenken -
Reflexion:
Udenotherapie
n. Eugen Bleuler:
Diese
[1]
besagt, dass man dem Patienten mit seiner
Krankheit/Störung oder seinem Leid nicht sofort mit blindem Aktionismus
("blindes, voreiliges Handeln, Medikalisieren")
begegnen, sondern
den
natürlichen Verlauf der Krankheit/Störung abwartend beobachtend und begleitend
"symptomatisch" behandeln soll. Auch wenn dies scheinbar bedeutet, erst einmal
abwarten und nichts tun. Verfallen Sie nicht dem
"Viel-hilft-Viel-Ansatz",
nur weil Sie das Gefühl haben, es würde dann wenigstens etwas geschehen und
unternommen. Wohlwollendes und sorgfältig
beobachtend kontrollierendes Begleiten des Patienten ist das Ziel,
und nicht seine Entmündigung und "voreilige" Medikalisierung.
Synonyme:
"Heilen durch Nichtstun mit Wohlwollen"
"Begleitendes Abwarten und gemeinsames
Teetrinken"
"Wohlwollendes und sorgfältig beobachtend kontrollierendes
Begleiten"
"Das
beobachtende und begleitend wohlwollende Nichtstun"
"Das Unterlassen sinnloser
Behandlung gegen den fatalistischen therapeutischen Nihilismus"
"Bei bestimmten Störungen nichts tun und wohlwollend auf die
Selbstheilungskräfte vertrauen"
"Die Kunst des Seinlassens" n. Giovanni
Maio (X)
(X) Giovanni Maio: "Die verlorene Kunst des
Seinlassens - Eine Folge des industrialisierten Medizinbetriebs" Dtsch Med
Wochenschr 2015;140:1014-1018
[1] Prof. Dr. med. Paul Eugen Bleuler (1857-1939 Zürich, Schweizer Psychiater,
Schizophrenieforscher): "Das autistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin
und seine Überwindung" Springer Verlag, 5.Neudruck der 5. Auflage 1962 (1919).
autistisch-undiszipliniert: Ein psychisches Verhalten, das nur sieht, was man
selbst sehen will oder das Befunde so interpretiert, dass sie ins eigene Konzept
passen. ZITATE: Asmus Finzen/Warum werden unsere Kranken gesund?
>>>
OMR Prof. Dr. med. Robert Nikolaus Braun [1914 Wien -
2007 ebenda] - Österreichischer Pionier der wissenschaftlichen
berufstheoretischen Allgemeinmedizin:
„Lehrbuch der
Allgemeinmedizin. Theorie, Fachsprache und Praxis“
13.Kapitel: Therapie
an der ersten ärztlichen Linie. 13.1 Keine Diagnose - Was tun? Seite
152Berger Verlag Horn/Wien 2007
Siehe:
LEISTUNGEN:
Angewandte
Allgemeinmedizin & Geriatrie
>>>
ZITATE: Karl Kraus:Wie es einem Patienten wirklich geht
>>>
Woher nimmt sich Dr. Steinitz [Prof. für Urologie]
das Recht heraus, die genaue Zukunft von einem Menschen zu kennen, als er auf
die Frage des besorgten Ehemanns "Und von der dritten Möglichkeit gar nicht
zu operieren, halten sie nichts?" mit einem dogmatisch bestimmenden
"Das hieße: sicherer Tod"
antwortete.
Dr. Steinitz
hat dabei das Wichtigste in unser
aller Leben vergessen, nämlich, dass niemand von uns Menschen weiß, wann einer
von uns als nächstes sterben wird, ob mit oder ohne Diagnose/Krankheit. Jedoch die "Versagens-Angst" in uns will wider
aller Vernunft Gewissheit erzwingen.
Diese Illusion der Gewissheit - der Glaube, dass ein Ereignis
(Weiterleben mit oder ohne Diagnose/Krankheit) völlig gewiss ist, obwohl dies nicht
unbedingt der Fall sein muss - wurde leider in
tragischer Weise auch Dr. Steinitz
selbst, durch seinen plötzlichen Tod,
am Abend nachdem er Frau Ilse Schneyder operiert hatte,
zur Gewissheit.
Ob wir am nächsten Morgen noch leben ist sehr
wahrscheinlich, aber nicht gewiss (selbstverständlich).
INFOS: Info für Ratsuchende: Die Illusion der Gewissheit
>>>
Franklins Gesetz: (Benjamin Franklin, 1710-1790 – Nordamerikanischer Verleger, Politiker, Erfinder
(Blitzableiter), Schriftsteller, Philosoph)
„Nichts ist gewiss,
außer dem Tod und den Steuern“
Quellen/Ergänzungen:
Bild Ilse & Werne Schnyder:
www.bild.de/BILD/ratgeber/gesund-fit/2008/01/krebs-schneyder-serie-teil1/werner-schneyder.html
Zitate/Exzerpte aus Werner Schneyder: „Krebs – Eine Nacherzählung“ LANGEN MÜLLER 3. Auflage 2008
(2008)
mit freundlicher telefonischer Genehmigung.
[Meine Ergänzungen]
Dr. phil. Werner Schneyder
(b. 25. 1. 1937 Graz-2.3.2019 Wien)
Schriftsteller, Schauspieler, Kabarettist, Sportkommentator,
15 Jahre Ringrichter beim Boxen. Schneyder
kommentierte für RTL sämtliche 12 WM-Kämpfe von Henry Maske (b.1964), sein
letzter Kommentar eines Boxkampfes
war der Kampf Axel Schulz (b.1968) gegen
Wladimir Klitschko (b.1976) im September 1999.
Studierte Publizistik und Kunstgeschichte, 1962-65 Theaterdramaturg in Salzburg
und Linz, seit 1965 freischaffend für Bühne, Rundfunk und Fernsehen. 1974 Beginn
seiner kabarettistischen Laufbahn bei der "Münchner Lach- und
Schießgesellschaft."
Autor von Essays, Feuilletons, Hörspielen und satirischen Büchern.
Regietätigkeit ("Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus (1874-1936
Wien) am Theater in der Josefstadt, 1995). 1981 Nestroy-Ring,
1984 Deutscher
Kleinkunstpreis.
Werke:
Empfehlung der einfachen Schläge, 1973; Die Unternehmungen des Herrn Hans, 1975;
Die Vermeidung von Rückschlägen, 1976;
Vom Nachlassen der Schlagkraft, 1979; ...
über Sport. Dabeisein ist gar nichts, 1980; Gelächter vor dem Aus, 1980; E.
Kästner, 1982;
Schlafen Sie gut, Herr Tucholsky, 1983; Wut und Liebe, 1985;
Abschied vom Karpfen, 1986; Ende der Sommerpause, 1988; Das Gefährliche an der
Kunst, 1991; Reimzeit, 1995; Selberdenken ist auch eine Möglichkeit, 1995;
Meiningen oder Die Liebe und das Theater, 1998. -Dramenbearbeitungen, Filme.
Siehe:
www.kabarettarchiv.at/Bio/Schneyder.htm