KRANKHEIT STASE Signal Initiator Protest Revolte Notruf Überlebensstrategie für die NOTWENDIGKEIT von VERÄNDERUNG GESUNDHEIT dynamischer PROZESS Jeden Augenblick erwerben erschaffen wir sie neu N.N. Wie es einer Patientin oder einem Patienten wirklich geht, sagt nicht unmittelbar die "Diagnose" aus. Obwohl es etliche Patienten gibt, die erst aufgrund der "Diagnose" (scheinbaren "Trost der Diagnose") sagen können, wie es ihnen "geht" und was ihnen "fehlt". Auf der anderen Seite soll es auch Ärzte geben, die einem Patienten erst glauben, wenn eine "Diagnose" behauptet wird oder statisch "feststeht". Ärzte sollen nicht bloß vordergründige "Diagnosen" behandeln, sondern den "lebendig-kranken Menschen". Nicht mehr Medizin am "Objekt der statischen Krankheit/Diagnose", sondern "Medizin am lebendig-ganzen Patienten mit seiner Krankheit". ("Störung", "Krise", "Schädigung", "Disharmonie", "Belastung" etc.) Karl Kraus war seiner Zeit voraus, als er meinte: Die verbreitetste Krankheit ist die Diagnose Karl Kraus (28. April 1874 in Jicín, Böhmen (damals Österreich-Ungarn, heute Tschechien) - 12. Juni 1936 in Wien.) War einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts, ein Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach- und Kulturkritiker – vor allem ein scharfer Kritiker der Presse und des Hetzjournalismus oder, wie er selbst es ausdrückte, der Journaille. "Entwickelt ein Therapeut aufgrund eines Konglomerats von Anzeichen [Symptomen] eine bestimmte DIAGNOSE, müssen trotzdem nicht bei jedem, der diese Diagnose erhält, die gleichen neuronalen Probleme vorliegen und die gleichen klinischen Störungen auftreten. Den meisten Psychotherapeuten ist dies klar. Sie wissen, dass eine Diagnose nicht garantiert, dass die Situation jedes so diagnostizierten Patienten der aller anderen mit der gleichen Diagnose ähnelt oder dass eine Behandlung, die sich bei einem dieser Patienten als wirksam erwiesen hat, bei einem anderen mit gleicher Diagnose ebenfalls wirken muss." Aus: Stephen W. Porges (b.1945, US-amerk. Psychiater), Theo Kierdorf (Übersetzer), Hildegard Höhr (Übersetzer): „Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit – Gepräche und Reflexionen - Traumabehandlung, soziales Engagement und Bindung“ („The Pocket Guide to the Polyvagal Theory: The Transformative Power of Feeling Safe“ W. W. Norton & Company 2017) Kapitel 2: Grundlagen der Polyvagal- Theorie und ihre Bedeutung für die Traumabehandlung, S.32, G.P. Probst Verlag 3.Auflage 2019 (2017) "Warum aber vernachlässigt sie [die ausgezeichnete Medizin] sowohl bei der Ausbildung unserer Ärzte als auch in der klinischen Praxis, den EINFLUSS der PSYCHE auf die Steuerung biologischer Prozesse? Der Grund ist, dass die fantastischen Erkenntnisse, zu denen wir in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Genetik und der Molekular- biologie vorgestoßen sind, bei vielen Menschen - teilweise auch bei Ärzten - leider zu einem schiefen Bild darüber geführt haben, wie LEBEWESEN funktionieren. Der Grundirrtum besteht in der Annahme, Lebewesen seien biologische Maschinen. Dabei wird übersehen, dass alle lebenden Systeme anders als Maschinen mit ihrer Außenwelt ständig aktiv kommunizieren und dass ihr Wohl und Wehe vom Gelingen dieser Kommunikation abhängt (JB). ... der Präfrontale Cortex [PFC, Frontallappen] ... ist einerseits der Ort, an dem sich - via Selbstkontrolle (2) - die Frage einer gesunden Lebensführung [Lebensstil, Ernährung, Bewegung] entscheidet. Zum anderen ... der ... Ort der neurobiologischen Koppelung zwischen Ich und Du ... damit der Ort der Verbindung zwischen sozialen Erfahrungen einerseits und Selbstgefühl andrerseits. Was sich im Präfrontalen Cortex [PFC] abspielt, hat Auswirkungen auf die Biologie des gesamten Körpers. Vor diesem Hintergrund greift eine Medizin, welche die Ursachen von Krankheiten nur im Text der Gene sucht und ihre Aufgaben lediglich in der Reparatur der beschädigten biologischen Substanz sieht, zu kurz. ... Wie Menschen ihre Krankheit [Diagnose] einschätzen, hat eine nachhaltige Wirkung auf die Selbstheilungskräfte des [ihres] inneren Arztes. Bestandteil guter Medizin muss es daher sein, die Einschätzungen des Patienten gegenüber seiner Krankheit zu besprechen und seine Zuversicht zu stärken. ... Diagnosen einer schweren, chronischen Erkrankung erschüttern den Patienten. Sie lösen in der Regel eine KRISE aus. KRISEN sind nicht nur eine BELASTUNG, sondern können auch eine einzigartige CHANCE darstellen, indem sie ein Gelegenheitsfenster öffnen. Eine KRISE macht den Patienten nicht nur für eine ihm jetzt angebotene ärztliche Unterstützung besonders zugänglich, sondern erzeugt in ihm auch eine besondere ... Bereitschaft, das eigene Leben zu ändern und seine Selbstfürsorge zu intensivieren. Im kritischen Moment der Diagnosestellung kommt es auf eine ärztliche Haltung an, die unabhängig von der SCHWERE der Diagnose deutlich machen sollte, dass eine Erkrankung kein passiv hinzunehmendes Schicksal ist, sondern eine Herausforderung, welcher der Patient - mit Begleitung und Unterstützung des Arztes - seine SELBSTHEILUNGSKRÄFTE entgegenstellen kann. Weder die Diagnose noch ihr Ernst sollten dem Patienten vorenhalten werden. Düstere Zukunftsprognosen [Vorhersagen] und die anmaßende Ansage von Überlebenszeiten sind jedoch weder gerechtfertig noch hilfreich. Eine Ausnahme bilden Situationen vor einem unmittelbar absehbaren Tode. Ein zweiter Aspekt, der im Moment der Diagnosestellung von Bedeutung ist, betrifft das Bündnis zwischen den Selbstheilungskräften des Patienten und evidenzbasierten schulmedizinischen Maßnahmen. Alle pharmakologischen, radiologischen, operativen oder anderweitigen therapeutischen Maßnahmen sollten, so weit evidenzbasiert, also in ihrer Wirksamkeit erwiesen sind, zur Anwendung kommen. Die Anwendung dieser Therapien sollte aber nicht mit einer Entmündigung des Patienten verbunden sein. ... Eine - vielleicht gut gemeinte - Haltung a la "Überlassen Sie das einfach uns, Sie brauchen sich darum nicht zu kümmern" bedeutet eine Entmündigung und Schwächung der Selbstheilungskräfte. ... Ein dritter Aspekt, der im Moment der Diagnosestellung von Belang ist, betrifft den Beitrag, den der Patient selbst leisten kann, um seine Abwehrkräfte in der Auseinandersetzung mit der Krankheit zu stärken. Jede Krankheit ist ein Aufruf an den Patienten, die Selbstheilungskräftezu intensivieren und gesund zu leben ... Die Fähigkeit des Körpers, sich mit einer Krankheit positiv auseinanderzusetzen, wird von Medizinern und Laien [und betroffenen Patienten] sträflich unterschätzt. ... Jeder von einer ernsten Diagnose betroffene Patient steht vor drei Herausforderungen, deren gemeinsames Ziel es sein sollte, die SELBSTSTEUERUNG und die im Präfrontalen Cortex [PFC] sitzenden KRÄFTE der SELBSTHEILUNG zu aktivieren: Die erste besteht im Umgang mit den schul- medizinischen Aspekten der Erkrankung, die zweite betrifft die Änderung des eigenen Gesundheits- verhaltens, die dritte ... besteht in der Zuwendung zur eigenen Person und in einer Stärkung der Selbstkräfte." Aus: Prof. Dr. med. Joachim Bauer (b.1951): "Selbststeuerung - Die Wiederentdeckung des freien Willens" 5 Aktivierung der Selbststeuerung (1): Ein Kriterium guter Medizin. "Es ist der Geist, der sich den Körper baut" (FvSch) - Die Beteiligung der Psyche an der Steuerung biologischer Prozesse S.115, Die Diagnose - Teil der Lösung oder Teil des Problems? S.132ff. 6 Hoheitsgebiet der Selbststeuerung: Die persönliche Gesundheit. Krankheit als Herausforderung S.150, Aufbruch und Stärkung der Selbst-Kräfte S.152, 7 Schluss- betrachtung und Resümee S.169, Blessing 2.Auflage 2015 (FvSch) Friedrich von Schiller (1759-1805), Zitat aus "Wallensteins Tod" III. Akt, 13. Auftritt (1799) (JB) Joachim Bauer: "Das kooperative Gen: Evolution als kreativer Prozess" HEYNE 2010 (2008) Joachim Bauer: „Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“ S.36, 54f, 62 Wilhelm Heyne Verlag 3.Auflage 2013 (2011) (1) Als Selbststeuerung bezeichne ich das im Dienste umfassender Selbstfürsorge stehende Bemühen um eine Balance zwischen Selbstkontrolle [System II] (2) einerseits und angemessener Berücksichtigung der Triebwünsche [System I] andererseits (S.217), Was die Selbststeuerung letztlich zu einem anthropologischen Desiderat [Menschen-Wissen- schaftsbezogenen Wunschobjekt] ersten Ranges macht, ist die Tatsache, dass sie der einzige Weg ist, zu uns selbst zu finden und unser wirkliches Leben zu leben (S.169). (2) Selbstkontrolle ist die neurobiologisch im Präfrontalen Cortex (PFC) [= System II] verankerte Fähigkeit des Menschen ["Top-Down Control"], aus dem Bereich des eigenen Triebsystems (mit dem Belohnungs-, Angst- und Stresssystem als neurobiologischer Grundlage) [= System I]) kommende Impulse des Verlangens, der Angst und Aggression ["Bottom-Up Drive] zu kontrollieren.S.216 [PFC] Elkhonon Goldberg (b.1946): 1) "Die Regie im Gehirn: Wo wir Pläne schmieden und Entscheidungen treffen" Übersetzung: Andrea Viala (“The Executive Brain: Frontal Lobes and the Civilized Mind: The Frontal Lobes and the Civilized Mind“ Oxford University Press 2001) Vorwort: Oliver Sacks, Oxford University Press 2001) VAK Verlag 2002. 2) "Die Weisheits-Formel: Wie Sie neue Geisteskraft gewinnen, wenn Sie älter werden" Übersetzung: Monika Niehaus-Osterloh („The Wisdom Paradox: How Your Mind Can Grow Stronger As Your Brain Grows Older“ NY: Penguin 2005) Rowohlt 1.Auflage 2007 Frank Ochmann (b.1956): „Verführt - Verwirrt - Für dumm verkauft: Wie wir Tag für Tag manipuliert werden und was wir dagegen tun können“ Gütersloher Verlagshaus 1.Auflage 2010 Daniel Kahneman (b.1934, IL-USA Psychologe, 2002 Wirtschafts-Nobelpreis): „Schnelles Denken, langsames Denken“ Übersetzer: Thorsten Schmidt („Thinking, Fast and Slow“ Farrar, Straus and Giroux 2011) Teil I: Zwei Systeme 1. Die Figuren der Geschichte, Zwei (kognitive) Systeme S.33, Penguin Verlag 10.Auflage 2012 Gerd Gigerenzer (b.1947, dtsch.Psychologe, Kognitionspsychologe): „Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“ ("Risk Savvy – How to Make Good Decisions" New York: Penguin 2013) btb Verlag 4.Auflage 2014 "Unsere Gesellschaft will in dem Kranken, den sie verjagt oder einsperrt, nicht sich selbst erkennen; sobald sie die Krankheit diagnostiziert, schließt sie den Kranken aus." Paul-Michel Foucault (1926-1984) Frz. Philosoph, Psychologe, Soziologe Aus: Reimer Gronemeyer (b.1939, dtsch. Soziologe, Theologe): „Das 4. Lebensalter - Demenz ist keine Krankheit“ S.7 Pattloch 2013 In: Michel Foucault: "Psychologie und Geisteskrankeheit"('Maladie mentale et personnalité' 1954; 2. Auflage 1962: 'Maladie mentale et psychologie') S.97 Suhrkamp Verlag 1968 Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist Beginn und das Ende ist dort. Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott, sie wissen alles, was wird und war; kein Berg ist ihnen mehr wunderbar; ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott. Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern. Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm. Ihr bringt mir alle die Dinge um. Rainer Maria Rilke (1875-1926) 1899 in dem ersten Gedichtband „Mir zur Feier“ erschienen. "Die Diagnose stimmt, aber dem Patienten fehlt etwas anderes" Aus: "Die ärztliche Diagnose" 1.Auflage Bergmann Verlag 1917 Richard Hermann Koch (1882-1949) Jüdischer Arzt, Medizinhistoriker "Wenn die Medizin Krankheit feststellt, geht das so vor sich: sie 'entdeckt' neue Störungen, und sie schreibt diese Störungen konkreten Individuen zu. Eine neue Krankheitskategorie (1) zu entdecken ist der Stolz des wissenschaftlichen Mediziners. Deren Pathologie Hinz oder Kunz (2) zuzuschreiben - das ist das Erste, was der Arzt als wohlbestallter (3) Experte tut. Da er gelernt hat, "irgend etwas zu tun" und Anteilnahme zu bekunden, kommt er sich aktiv, nützlich und erfolgreich vor, wenn er eine Krankheit diagnostizieren kann. Theoretisch unter- stellt der Arzt bei der ersten Begegnung zwar nicht, daß sein Patient unter einer Krankheit leidet, doch nach einem gewissermaßen unfehlbaren Prinzip handelt er in der Regel so, als sei es besser, eine Krankheit anzunehmen, als sie auszuschließen. Die Kunstregel der ärztlichen Entscheidung zwingt ihn, sicherheitshalber lieber Krankheit als Gesundheit zu diagnostizieren ... Neben dem diagnostischen Vorurteil, das im Zweifelsfall immer Krankheit attestiert, fällt die häufige Fehldiagnose [ca. 90% (4)] ins Gewicht. Nicht nur ordnet die Medizin mit inquisitorischem Eifer alle Menschen in ihre fragwürdigen Kategorien ein: sie tut dies auch mit einer Häufigkeit von Fehlurteilen, die z.B. die Justiz sich nicht leisten dürfte ... Kein Wunder also, daß Ärzte meist länger als Laien zögern, bevor sie selbst zum Arzt gehen, und daß es ihnen schon ziemlich schlecht gehen muß, bevor sie es überhaupt tun ..." Ivan Illich [(1926-2002) Österreichisch-amerikanischer Autor, Philosoph, Theologe, katholischer Priester]: „Die Nemesis der Medizin - Die Kritik der Medikalisierung des Lebens“ II Soziale Iatrogenesis. 2. Die Medikalisierung des Lebens. Präventives Stigma S.67ff, 4.überarbeitete u. ergänzte Auflage Becksche Reihe 1995. Die 1.Auflage erschien 1975 im ROWOHLT Verlag, unter dem Titel "Die Enteignung der Gesundheit - Medical Nemesis". (1) Kategorie = "Aussage, Beschuldigung, Klage", Ein-/Ordnung, Art, Gattung, Gebiet, Klasse, Rubrik, Sorte (2) Deutsche Redewendung für "Jedermann" (3) "sich in guter beruflicher Position befinden" (4) LEISTUNGEN: Angewandte Allgemeinmedizin und Geriatrie: Prof. Dr. med. Robert Nikolaus Braun >>> "Die Erschütterung, die jede ernste Diagnose zunächst auslöst, kann dann zum Ausgangspunkt einer heilsamen Neuorientierung des Lebens werden. ... Eine Chance für einen Aufbruch (Patient, Arzt) ..., der zu einer der spannendsten Erfahrungen führen kann, die das Leben zu bieten hat." Prof. Dr.med. Joachim Bauer (b.1951) Deutscher Neurobiologe, Arzt, Psychotherapeut Aus: Joachim Bauer: "Selbststeuerung - Die Wiederentdeckung des freien Willens" 6 Hoheitsgebiet der Selbststeuerung: Die persönliche Gesundheit. Kein Bedarf an Moralaposteln - Ein jeder nach seiner Fasson! S.137, Krankheit als Herausforderung S.148, Blessing 2.Auflage 2015 Indem die "Diagnose" zur "Krankheit" - einer linear logisch, deterministisch, mechanistisch, reduktionistisch, statischen Entität (zu einem eigenständigen "Ding") - erklärt wird, wird der Patient (lebendige Mensch) zum "statisch-leblosen Objekt" und er darf (muss) - selbst passiv bleibend - Hilfe und Heilung von "Außen", von einem "Mechaniker" -, von einem "Arzt" oder "Therapeuten" erwarten. Damit wird der "konkrete lebendige Patient" seiner "Eigenverantwortung", seines "eigenen offen-kritischen Denkens und Handelns", seiner "Selbständigkeit" (Autonomie) und schließlich seines notwendigen Vertrauens auf seine eigenen, "systemimmanenten", "lebendigen Selbstheilungskräfte" (Selbststeuerung, Salutogenese, Autopoiese) enthoben und beraubt ("entmündigt"), und - in dieser als bedrängend und erdrückend erlebten Hilflosigkeit (Erschütterung, Machtlosigkeit, Ohnmacht) - sogar in "lähmende" Angst und Schrecken (Hoffnungs- u. Sorglosigkeit) versetzt. "Voreiligen", "unüberlegten", "nicht lebendig-ganzheitlich, statischen" und sogar potentiell "lebensgefährlichen" Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen sind da Tür und Tor geöffnet. Siehe LEISTUNGEN: Komplementärmedizin >>> Angewandte Allgemeinmedizin und Geriatrie >>> ZITATE: Ivan Illich: Das medizinische Establishment >>> Jörg Dietrich Hoppe: Ärzte sollten sich nicht >>> Josef Zehentbauer: Der Seelenvogel >>> "Immer ist der Mensch in seiner Lage als ein Einzelner vor die Aufgabe gestellt, mit seiner Krankheit in seiner Welt eine Lebensform zu finden, die nicht allgemein entworfen und nicht identisch wiederholt werden kann." Karl Theodor Jaspers (1883-1969) Deutscher Psychiater u. Philosoph "Philosophie" - 3 Bände (Bd. II S.338) Springer 2008 (1932) "Die Diagnose ist ein wesentlicher Bestandteil der allopathischen Medizin - und ein äußerst wertvolles Werkzeug, wenn sie angemessen eingesetzt wird. Sie ist auch ein schwieriges Gebiet, das von den meisten medizinischen (und anderen) Ärzten ein eingehendes Studium erfordert. Sie ist trotz allem eine Spekulation [Arbeitshypothese], doch sie ist eine hochgebildete Spekulation. Dr. Reginald Gold [1925-2012, D.C, Ph.C] erklärte einmal, dass, wenn man die Bedeutung von Diagnose wirklich verstehen wolle, das Wort in seine Stammwörter zergliedert werden muss: Di, aus dem Lateinischen, bedeutet "zwei" und agnos (wie bei Agnostiker) aus dem Griechischen, bedeutet "nicht wissen". Da haben wir es also: Zwei Menschen, die es nicht wissen - Sie und Ihr Arzt - also machen Sie sich nichts draus. Dr. Gold weist auch gerne darauf hin, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass schulmedizinische Ärzte gern so etwas sagen, wie: "Wenn Sie keine diagnostische Auswertung haben, werde ich für das, was geschieht, keine Verantwortung tragen." Dr. Gold fährt fort und sagt: "Ich habe mich oft gefragt, ob das bedeutet, dass Sie verantwortlich sein werden, wenn jemand eine diagnostische Auswertung hat und trotzdem in Schwierigkeiten gerät?" Irgendwie bezweifle ich das. Als Arzt kann ich Ihnen sagen, dass diese Berufsgruppe gerne ihr eigenes "Diagnose-Expertenwissen" missbraucht, indem sie es als Sprungbrett benutzt, um ein Gefühl von eigener Wichtigkeit aufrechtzuerhalten. Diejenigen, die nicht in der Lage sind, diese Art von Schein zu erkennen, werden von der Aufgeblasenheit geblendet und fallen ihrem Begehren nach diesem Zustand von Selbstgefälligkeit zum Opfer, sodass sie versuchen, ihn in einer pseudospirituellen Umgebung neu zu erschaffen. Die Nachahmung dieser alles andere als bewundernswerten Seiten des medizinischen Vorbildes führt uns zu dem Wunsch nach einer objektbezogenen Diagnose und verleitet uns dazu, dass wir die Bezeichnung des Intuitiven Mediziners [1] annehmen. Die medizinische Intuition ist, wenn sie eingesetzt wird, um Ärzte oder andere, deren Beruf Diagnosen erfordern, zu unterstützen, von unschätzbarer Wichtigkeit. Medizinische Intuition vorzutäuschen, um damit zu beeindrucken, erweist denjenigen einen schlechten Dienst, die kompetente Intuitive Mediziner sind, und sie entfernt uns von unseren Patienten und dem Heilungsprozess. In der Arbeit mit Heilung durch Reconnection [2] ist dies nicht nur unnötig, sondern es kann sich uns sogar in den Weg stellen. Ich bin der Meinung, dass es oft umso besser, je weniger ich über den Patienten weiß, denn dann werde ich wahrscheinlich nicht versuchen, die Sitzung bewusst oder in sonstiger Weise zu lenken. Je weniger Sie versuchen zu dirigieren, desto mehr Raum geben sie dem Universum, dies zu tun - und umso großartiger sind die Ergebnisse. Es ist nicht so, dass das Universum nicht um Sie herumarbeiten könnte, doch es ist so, dass es eine ganz bestimmte Ebene von Gnade und Leichtigkeit gibt, die dann in Erscheinung tritt, wenn wir uns selbst aus dem Weg nehmen. Obwohl wir vielleicht nicht mit absoluter Sicherheit wissen, worum es genau bei unserer Rolle in diesen Heilungen geht - es geht jedoch ganz sicher nicht darum, Gott [1] oder die universelle Intelligenz zu berichtigen (sie auf den Platz der zweiten Instanz zu setzen.) ... Machen Sie sich klar, dass Ihre Fähigkeit, "Ich weiß es nicht" zu sagen, eine Verbindung zu der bestimmten Geisteshaltung ist, die niemand zerreißen kann. Damit haben sie die Gabe, alles in aufrichtigem Staunen zu betrachten. Erinnern Sie sich an diese Gabe! Die Gabe, voller Ehrerbietung zu sein und alles mit aufrichtigem Staunen betrachten zu können, verleiht Ihrer Ehrfurcht die kristallene Reinheit der Kindheit, eine ererbte Verbindung mit Gott [1]. Es befreit Sie von Ihrem Wunsch, zu diagostizieren, zu erklären, zu versuchen, zu tun, zu erzwingen, zu drängen, sich anzustrengen. Es befreit uns sogar von dem Bedürfnis, uns selber das, was als Ergebnis herauskommt, zuschreiben zu wollen. Erinnern Sie sich jetzt an diese Gabe? Nun ist es an der Zeit, Ihr Herz, Ihren Geist und Ihre Absichten zu ordnen. Sie sind dabei, ein Teil der Heilungsgleichung [Universum-Klient/Patient-Begleit] zu werden ..." Aus: Eric Pearl: „The Reconnection. Heilung durch Rückverbindung“ (The Reconnection: Heal Others, Heal Yourself 2001) Teil II Heilung durch Reconnection. 13 Geh aus dem Weg. Die Heilung lenken. Seite 178f. Teil III Anwendung der Heilung durch Reconnection. 21 Im wechselseitigen Ausstausch mit Ihren Patienten. Worte, die heilen. Seite 274 8. Auflage KOHA 2013 [1] Dies ist der erste Schritt dahin, zu vergessen, dass nicht wir diejenigen sind, die die Heilung steuern ... (S.179) Wenn wir erkennen, dass "Heilung" bedeutet, uns wieder mit der Vollkommenheit des Universums [Liebe, Kosmos, Universum, Ursprung, Licht, Schöpfer, Gott. Suchen Sie sich Ihren Ausdruck aus, den Sie mögen.(S.176)] zu verbinden, wird klar, dass das Universum weiß, was wir erhalten müssen und welchen Gewinn wir als Folge davon haben werden. Die Sache ist die: Das, was wir brauchen, stimmt vielleicht nicht immer mit dem überein, was wir erwarten oder meinen, haben zu müssen ... (S.177) [2] Die Rückverbindung ist der übergeordnete Vorgang der Wiederanbindung ans Universum (siehe [1]), der Heilung durch Reconnection geschehen lässt. Unter dem Einfluss von Reconnection geschieht der Vorgang einer erneuten Rückanbindung an das Universum und die Heilung kann erfolgen. Diese Heilungen und evolutionären Schwingungsfrequenzen gehören zu einer neuen Bandbreite von Frequenzen, und sie kommen durch ein Spektrum von Licht und Information herein, das noch niemals zuvor auf der Erde war. Durch die Rückverbindung (Reconnection) werden wir in die Lage versetzt, mit diesen neuen Licht- und Informationsebenen in einen Austausch, eine Art von sich gegenseitig beeinflussender Wechselwirkung zu treten, und durch diese neuen Licht- und Informationsebenen sind wir in der Lage, uns wieder neu anzuschließen (rückzuverbinden) ... (S.131) "Gelegentlich schleichen sich neue Worte in die gesellschaftlichen Diskurse [Erörterungen], deren Sinn man erst erfasst, wenn es bereits zu spät ist. Es geschieht gleichzeitig vor unseren Augen und hinter unserem Rücken. Eines dieser neuen Worte heißt: "GESUNDHEITSWIRTSCHAFT". Sprach man vor gar nicht allzu langer Zeit von dem "Gesundheitswesen", ist nun von der "GESUNDHEITSINDUSTRIE" (A) die Rede. Doch was ist das eigentlich? Was wird in dieser Wirtschaft hergestellt? Und wie heißen die Hersteller, was sind die Waren, wer sind die Käufer? Neue Worte stehen für neue Konzepte: Ein Gesundheitswesen ist Teil des Sozialsystems unserer Gesellschaft. Ein Teil unseres Reichtums wird in das Gesundheitswesen investiert, zum Wohle aller. Eine GESUNDHEITSINDUSTRIE (A) hingegen ist Teil des WIRTSCHAFTSSYSTEMS. Kapitaleigner investieren in diese Gesundheitsindustrie, und sie erwarten Rendite ["Ertrag", "Gewinn"], zum Wohle weniger. Beides gleichzeitig kann man nicht haben, denn die Ziele dieser beiden Systeme wider- sprechen sich fundamental. Das Wort "GESUNDHEITSINDUSTRIE" ist also ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Es gibt das Gesundheitswesen, und es gibt Industrien, die die dafür notwendigen Waren zur Verfügung stellen. Wenn das industrielle Produktionskonzept aber Besitz ergreift von der eigentlichen medizinischen Tätigkeit, wenn der Erfolg ärztlicher und pflegerischer Tätigkeit am Bilanzgewinn gemessen wird, dann hat die Gesundheitsindustrie gewonnen, das Gesundheitswesen tritt ab. Das Gesundheitswesen entwickelt sich zur Gesundheitswirtschaft, und in keinem Wirtschaftszweig sind derzeit höhere Renditen zu erwarten. Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte werden zu Leistungs- anbietern, Krankenhäuser treten in Konkurrenz zueinander, Patientinnen und Patienten werden zu Kundinnen und Kunden, und Dienstleistungen werden - wie Waren - nur noch da angeboten, wo sie Gewinn versprechen, aber nicht für die Ärztinnen, die Ärzte, die Pflegekräfte oder die Patient- innen und Patienten, sondern für die Investoren. Wenn es darauf ankommt, wird eine Industrie immer die Priorität der Rendite durchsetzen, während ein Sozialsystem nur die Priorität der Bedürfnisse der ihm anvertrauten Menschen kennt ... [ein] Destruktionsprozess ... Diebstahl am Gemeineigentum ...[1a] So wird heute innerhalb der Medizin immer weniger vom Helfenwollen, vom Dienst am Menschen (B) gesprochen als vielmehr von Dienstleistungen, von Benchmarking [Leistungsvergleich], Wettbe- werbsfähigkeit, ja, auch von Marketing. Die Begriffe ändern sich, und mit ihnen verändert sich auch die Identität der Medizin: von einem sozial-karitativen zu einem ökonomisch-kalkulier- enden Selbstverständnis, von der Zuwendung zur Dienstleistung, vom Mitfühlen zur Kunden- freundlichkeit ... Aber eine Grundreflexion auf das Eigentliche kann sehr heilsam sein ... und der Medizin das zurückzugeben, was von Seiten des Patienten von ihr erwartet wird: nämlich vor allen Dingen die Ermöglichung der Sorge um den kranken, hilfsbedürftigen Menschen (B), für die der vielerorts praktizierte "Kundendienst" ein schlechter Ersatz ist ... "Der Grundüberzeugung, es bedürfe zur Heilung eines Menschen nur eines wohlgeordneten Ablaufs ("Krankenhaus als technischer Reparaturbetrieb", "Orientierung der Medizin an den Regeln der Markt- wirtschaft", "am Leitbild der Effizienz", "Fallpauschalen-Vergütungssystem - DRG), und den damit ver- bundenenen Anreizen für Ärzte, diese Abläufe so schnell wie möglich zu gestalten, liegt ein Menschen- bild zugrunde, das den einzelnen Patienten mehr als zuvor nur als defekten Mechanismus ("Mensch als Maschine") betrachtet ... Heilung [aber] vielmehr bedeutet als lediglich die Applikation bestimmter Therapie- verfahren ... [die] Notwendigkeit einer ausreichenden Zuwendung zum Patienten ... Heilung von Menschen einer bestimmten Atmosphäre bedarf ... Die Ausgestaltung der "Gesundheitsfabrik" Krankenhaus klammert all jene Aspekte des Menschseins aus, die nicht in ein durchrationalisiertes System hineinpassen. Dazu gehören ... alle Facetten, die die Einzigartigkeit eines jeden Menschen betreffen ... die Fragen nach dem eigentlichen Sinn des (Krank-)Seins ... in modernen Kliniken ... "Kranker als Störfall" ... bleiben jedoch kaum Zeit , Raum und Atmosphäre für die grundlegenden Fragen, die das Kranksein aufwirft ... Be- ziehungswesen Mensch - menschliche Abhängigkeit, Hilfsbedürftigkeit, Angewiesenheit" ... Krank- werden als zum Menschen unweigerlich dazugehörend ... als eine menschliche Existenzform ... Nach dieser Vorstellung wäre der Mensch gesund, der zu einem guten und akzeptierenden Verhältnis zu seinem Kranksein befähigt ist ..." [2] Prof. Dr.med. Giovanni Maio - "Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin" 2012 Aus: Stephen Richard Covey (1932-2012, US-amerik. Unternehmensberater, Autor): „Die 3. Alternative: So lösen wir die schwierigsten Probleme des Lebens“ VII. Die 3.Alternative in der Gesellschaft. Das Wohl der ganzen Person S.351 (The 3rd Alternative: Solving Life's Most Difficult Problems 2011) GABAL 2.Auflage 2013 "Grundmoment einer jeden Behandlung ist doch gerade, dass man sich der unverwechselbaren Person zuwendet und eine Therapieentscheidung fällt, die eben nur für diese Person die geeignete ist und die deshalb nicht eine Therapie von der Stange sein kann. Diese unabdingbare Ausrichtung auf den Einzelfall birgt jedoch aus Sicht der Ökonomie die Gefahr der Ineffizienz und wird somit als störend empfunden. In einem System, in dem es vor allem um Effizienz gehen soll, kann die Behandlung der Individualität eines Menschen zur Bedrohung werden, weil sie den schnellen Fluss des standardisierenden Machens unterbricht und sozusagen den ganzen Betrieb aufhällt. Kein behandelnder Arzt ist einfach austauschbar, denn bei jeder Behandlung findet eine einmalige, nicht wiederholbare Begegnung von Menschen statt ... Die Situationen, in die der Patient gerät, sind stets einzigartig, Bestandteile eines Lebensvollzugs, die sich einer Kategorisierung von Seiten eines Managementsystems entziehen und jeder standardisierten Therapie widersetzen. Sie sind jeweils nur in ihrer Unverwechselbarkeit angemessen beschreibbar und lassen sich daher kaum in Zahlen ausdrücken. Zwar sind bestimmte Tätigkeiten des Arztes überprüfbar, vergleichbar, manchmal gar messbar, aber man darf nicht vergessen, dass sich die therapeutische Behandlung immer in einer unverwechselbaren Beziehung vollzieht und nicht ausschließlich als messbares Produkt einer Anwendung von Techniken oder von standardisierten Methoden betrachtet werden kann. Das Messen kann für viele Menschen wichtig sein, und das Problem ist nicht das Messen an sich, sondern die Vorstellung, dass mit dem Messen des Messbaren der ganze Mensch in seiner Befindlichkeit und mit seinen Problemen und Anliegen erfasst werden kann. Völlig aus- geblendet bleibt dabei, dass sich das Wesentliche der therapeutischen Behandlung dem Messenden entzieht ... "Wo der Markt seiner Eigengesetzlichkeit überlassen ist, kennt er nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen, von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen." Maximilian Carl Emil Weber (1864-1920) Deutscher Soziologe, Nationalökonom Aus: Max Weber"Wirtschaft und Gesellschaft" Teilband 1: Gemeinschaften. S.55 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 2009 "Ärztliches Handeln kann also nicht als bloß instrumentelles, planbares und kontrollierbares Handeln verstanden werden, da ärztliches Handeln kein Produktionsverständnis erfordert, sondern Praxis- verständnis. Und dieses Praxisverständnis macht eine reflektierende Urteilskraft notwendig, die nicht aufgehen kann in einer reinen Regelbefolgung, gerade weil ärztliches Handeln letzten Endes eine Kunstfertigkeit darstellt, die nicht restlos formalisierbar ist. Die medizinisch-ärztliche Behand- lung von Patienten erfordert ein situationsangemessenes Verhalten, das eine individualisierte Ant- wort auf die Problemlage des Patienten vorsieht. Einen Patienten als ganzen Menschen ernst zu nehmen, heißt auch, ihn zunächst als einen nicht von Vornherein völlig bestimmbaren Menschen anzuerkennen. Genau diese grundsätzliche Unbestimmbarkeit macht die Essenz der ärztlichen Behandlung aus, die deswegen nicht als Produktion angesehen werden kann, sondern als Kunstfertigkeit. Ärztliche Entscheidungen sind weder vollständig standardisierbar noch kontrollierbar, weil sie ein Situationsverstehen erfordern, ein hermeneutisches Vorgehen notwendig machen. Sie müssen auf Erfahrungswissen und auf Intuition rekurrieren und nicht bloß auf theoretisches Wissen oder auf konturierte Normen. Anders gesagt: In der ärztlichen Behandlung geht es nicht primär um die Abgleichung von Ist-Zustand und Norm, sondern um einen grundlegend kreativen Prozess, in dem etwas Neues hervorgebracht wird. Dieses Neue ist nicht nur Anwendung, sondern es ist auch eine Neuschöpfung. Dieses aus der Kreativität sich ergebende Vorgehen hat auch immer einen Aspekt von Improvisation (1c), denn wenn gar nichts improvisiert werden würde, könnte die Einzigartigkeit der Person, um die es geht, nicht zur Geltung kommen. Daher sollte nicht nur ein Können, ein instrumentelles Handeln geschult werden, sondern zugleich ein entsprechender Habitus: die Grundhaltung für den anderen Verantwortung übernehmen zu wollen. Gerade weil alles Handeln mit vulnerablen Patienten immer im Kontext der bleibenden Unbestimmbarkeit erfolgt, kann eine gute Behandlung ohne persönliche Verantwortungsübernahme nicht erfolgen ... Gerade im ambulanten Bereich aber werden Ärzte gebraucht, die nicht nur Algorithmen umsetzen, sondern die Lebensbegleiter ihrer Patienten sind, weil sie sie besonders gut kennen. Diese Qualität der fürsorglichen langfristigen Begleitung und der Fähigkeit zu integrativem Denken wird heute jedoch schlichtweg abgewertet und schlägt sich in der Honorierung in keiner Weise nieder. Daher haben wir es auch im ambulanten Bereich mit einem Vergütungssystem zu tun, das sich gegen die Bedürfnisse der Patienten richtet ... Alle technischen Anwendungen werden hoch vergütet, das Gespräch, das Begleiten und auch der Hausbesuch so gut wie gar nicht bezahlt ... "Der entscheidende Schritt zum Beginn echter Gesundheit ist die Annahme seiner selbst; seiner Geschichtlichkeit mitsamt ihrer Tragik." Romano Guardini (1885-1968) Katholischer Priester, Religionsphilosoph, Theologe In: "Ethik: Vorlesungen an der Universität München (1950-1962)" S.972 in "Der Arzt und das Heilen" S.957-975. Matthias-Grünewald Verlag 1993 "Ein Mensch in einer Krisensituation braucht keinen ausgewiesenen Ingenieur ("Techniker", "Sachleister"), bei dem alle Zahlen stimmen, sondern eine Persönlichkeit, bei der er sich aufgehoben fühlt. Diese Angewiesenheit auf Vertrauen ist für den Patienten sicher gefährlich, weil er sich damit in einer schwachen Position befindet, die natürlich auch ausgenutzt werden kann. Aber die Hoffnung auf eine Persönlichkeit, von der man verstanden wird, die Sehnsucht des Hilfesuchenden nach einer Vertrauensperson wird man nicht durch die Lieferung eines perfekten Produktes abstellen können. Die Sehn- sucht bleibt. Und das fehlerfreie funktionieren wird diese Hoffnung des Patienten nicht wirklich befriedigen können, weil es hier um die ganze Existenz geht, um existentielle Erfahrungen, die Persönlichkeiten erfordern und keine Techniker. In der Kombination aus ärztlicher Kunst und vertrauenswürdiger Persönlichkeit liegt die eigentliche Verheißung einer guten Medizin. Der moderne Trend aber ignoriert die Notwendigkeit der Perönlichkeit und reduziert die Kunst der Medizin auf eine modular- isierte Fertigkeit, streng nach Leitlinie und naturwissenschaftlich erhobener Empirie. Die Verbindung von Ökonomie und Naturwissenschaft macht aus der Kunst ein Handwerk und erklärt die Persönlichkeit des Arztes für unerheblich. Aber das ist zu wenig für eine gute Medizin ..."[1b] Giovanni Maio - "Die Vier Kernfesten der Heilberufe" >>> "In ihren Händen wird aus allem Ware. In ihrer Seele brennt elektrisch Licht. Sie messen auch das Unberechenbare. Was sich nicht zählen lässt, das gibt es nicht." Emil Erich Kästner (1899-1974) Deutscher Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor Gedicht: "Zeitgenossen haufenweise" 3.Strophe (1929) "Die moderne Medizin suggeriert Allmacht ["verspricht, alles im Griff zu haben"] und das Bild von einem jederzeit perfektionierbaren Leben. Doch wenn wir durch Krankheit in existenzielle Krisen gestürzt werden, ändert sich unser Blick auf die Dinge. Dann suchen wir nach menschlichen Ant- worten und fühlen uns im System der modernen Medizin oft unverstanden und alleingelassen ... Wer heute mit Medizin zu tun hat, wird überwältigt durch die Vorherrschaft der Apparate. Es scheint so, als fliehe die Medizin in die technische Machbarkeit, um sich dadurch den existenziellen Fragen der Menschen zu entziehen. Wenn aber nun die Technik als Ersatz für Dialog und Empathie fungiert, ist es umso wichtiger, mit neuem Blick die unausweichlichen Fragen nach dem guten Leben zu stellen. "Wie können wir ein erfülltes Leben (2a) führen?" Das erfüllte Leben ist nur möglich, wenn der Mensch einen guten Umgang mit der Grenze erlernt ... dass es trotz aller Technik zum Menschen gehört, dass er nicht alles selbst bestim- men kann und [dass es vielleicht sogar gut ist, dass er] die wesentlichen Dinge nicht in seiner Hand hat ... die Medizin dazu neigt, sich im Umgang mit dem Menschen allein auf natur- wissenschaftliche Fakten zu konzentrieren ... entwickelt ganze Arsenale zur Bekämpfung - aber sie leitet nicht an zu einem akzeptierenden Umgang mit dem, was ist ... Das Vorge- gebene, das nicht Machbare, das einfachhin Seiende - das sind Vorstellungen, die in einer auf Funktionalität, Planbarkeit, Kontrollierbarkeit und Effizienz ausgerichteten Medizin keinen Platz haben. Ohne Einsicht in die[se] Grenzen des Machbaren ["Diktatur der Machbarkeit"] und den Sinn des Gegebenen können wir nicht glücklich werden ... Die Grenze ist also nicht unser Menetekel ["Warn- Zeichen"], sondern gewissermaßen unsere Rettung ... Identität ergibt und formt sich gerade über die[se] Grenze des Machbaren, aber auch [über] die Grenze des Wünschbaren." [3] „Ein profitorientiertes Gesundheitswesen ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. In dem Augenblick, in dem Fürsorge dem Profit dient, hat sie die wahre Fürsorge verloren." Prof. Dr. Bernard Lown (b.1921) US-amerikanischer Kardiologe, Einer der Erfinder des Defibrillators. 1985 gemeinsam mit Prof. Dr. Yevgeniy Ivanovich Chazov (b.1929, russischer Kardiologe) Friedensnobelpreis - International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) Aus Buch: "Die verlorene Kunst des Heilens – Anleitung zum Umdenken" SUHRKAMP 2004 (The Lost Art of Healing 1996) "Die zunehmende Ökonomisierung ["Ver(betriebs)wirtschaftlichung"(A)] der modernen Medizin geht mit einem Präjudiz ["Vorentscheidung"] für das Machen einher. Ärzte werden nicht mehr danach bewertet, ob sie patientengerecht behandeln - sondern nach Wachstumszahlen, wie in der expansionsorientierten Industrie. Dies ver- ändert sukzessive die innere Einstellung zum ärztlichen Handeln und bringt Ärzte dazu, sich von [echten, angeborenen] genuin ärztlichen Werten zu distanzieren. Dabei sind Werte wie Sorgfalt, Ruhe, Weitsicht und Reflexivität unabdingbar für eine gute Medizin. Patienten wünschen sich zu recht Ärzte, die nicht nur für das Machen, sondern vor allem für das Beraten und Begleiten belohnt werden ... "Geräte bewirken eine körperliche Trennung von Ärzten und Patienten. Damit soll nicht gesagt sein, dass Technik nicht helfen kann, aber ein guter Arzt sollte einen Patienten bei der Untersuchung immer sehen und berühren. Sonst geht die "Kunst des Heilens" im Lärm der "gewinnorientierten Hightech-Medizin" verloren. " Prof. Dr. Gerd Gigerenzer (b.1947) Deutscher Psychologe Direktor der Abteilung „Adaptives Verhalten und Kognition“ und Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz, am Max-Planck- Institut für Bildungsforschung in Berlin. Aus: Gerd Gigerenzer: „Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“ ("Risk Savvy – How to Make Good Decisions" New York: Penguin 2013) Teil II: Risikokompetent werden. Kapitel 9: Was Ärzte wissen müssen. Weniger ist (oft) mehr. Ottawa Ankle Rules S.239 btb Verlag 4.Auflage 2014 Was bedeutet "Krankwerden"? Nur wenn wir uns diese Frage beantworten, können wir die Tendenz zum aktiven Tun in der Medizin verstehen. Eine ernsthafte Erkrankung verändert von heute auf morgen alles für den Patienten. Krankwerden ist eine Art "Herausfallen" aus der Normalität des Alltags, es stellt alles in Frage und hinterlässt zunächst ein Chaos. Mit dieser Grundsituation vor Augen verstehen wir, dass der Patient sich nichts sehnlicher wünscht als eine neue Ordnung: Er will einfach wissen, wie es weitergeht. ⇒ Es ist schier unmöglich, angesichts der totalen Verunsicherung durch Krankheit nichts zu tun. ⇒ Aktives Tun löst die Beklemmung des Nichtwissens auf und leistet so einen (scheinbaren) Beitrag zur Entspannung der Lage. Die Aktion des Arztes hat per se etwas Beruhigendes und Erleichterndes - sie ist eine spezifische Form der Bewältigung von Unsicherheit. Aktives Tun suggeriert dem Patienten, der Krankheit nicht restlos ausgeliefert zu sein ... Produktion vs. Medizin Was der Arzt durch seine Behandlung bewirkt, ist kein "eigenes Werk". Er greift immer in einen bestehenden Körper ein - nicht um etwas Bestehendes zu unterstützen. Ein guter Arzt weiß, dass dieser lebendige Körper seinen Beitrag leisten muss, wenn alle therapeutische Mühe nicht umsonst sein soll. Wäre medizinische Leistung eine Produktion ["mit dem Ziel die Persönlichkeit des Therapeuten im Prinzip für verzichtbar zu erklären." (4a S.48)], so könnte der Arzt einfach nach Ge- brauchsanweisung vorgehen. [= "Therapie als industrieller Produktionsprozess" (4a S.48)] Doch beim Therapieren geht es nicht um Gebrauchsanweisungen - es geht um Fingerspitzengefühl ... Aline Dragosits MA - SV Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (16.11.2016): "P4P - Pay-for-Performance im Gesundheitswesen Wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit" pdf >>> Anreize statt Werte - das Beispiel der "Bezahlung nach Leistung" Geld als Qualitätsregulativ? "Erst vor dem skizzierten Hintergrund ist die besondere Herausforderung des gegenwärtig auch politisch aktuellen Konzepts P4P zu ermessen: Auch P4P stellt letzten Endes die Übernahme eines ökonomischen Instruments dar, das für simple und schematische Vorgänge wie Produktions- prozesse in der Industrie angemessen sein mag, das aber angewendet auf komplexe medizinische Handlungszusammenhänge, in denen es zudem um vulnerable Gruppen geht, als problematisch angesehen werden muss. Der von der Sache her naheliegende ärztliche Aufstand gegen P4P bleibt weitgehend aus, weil P4P mit einer euphemistischen Semantik ein- geführt werden soll, der sich scheinbar nichts entgegensetzen lässt. Das von politischen Instanzen geäußerte Versprechen mit P4P Qualität fördern zu wollen, macht kritisch denkende Ärzte mundtot, denn jede Kritik an P4P gerät so automatisch in den Verdacht, an Qualität nicht interessiert zu sein. Deswegen ist es umso wichtiger, die Prämissen zu reflektieren, die mit dem P4P-Programm stillschweigend transportiert werden. Bezahlung nach Qualität bedeutet nichts anderes als eine in Aussicht gestellte Belohnung für gute ärztliche Tätigkeit. Es soll also belohnt werden, was eigentlich selbst- verständlich ist. Die Protagonisten des P4P gehen offensichtlich davon aus, dass sich die Ärzte ohne Belohnung nicht gegnügend Mühe geben, um eine gute Medizin zu realisieren. Diese Annahme ist jedoch ausdrücklich zu bestreiten. In der Medizin starten die jungen Menschen in aller Regel mit einer sehr hohen intrinsischen Motivation. Sie wollen von sich aus gute Medizin betreiben, weil das zu ihrem Lebenssinn gehört. Wenn nun gleichwohl ein Konzept, das mit externen finanziellen Anreizen arbeitet, auf die Medizin übertragen wird, zeichnet sich eine problematische Kon- sequenz ab. Die Qualität in der Midziin hängt nicht von den Anreizen ab, sondern sie hängt von den Arbeitsbedingungen ab, denn die Motivation, gute Medizin zu leisten, ist längst schon da, sie muss nicht künstlich gesteigert werden. Dieses Konzept ändert nichts an den Arbeitsbedingungen, die gute medizinische Arbeit gegenwärtig oft beeinträchtigen; es verändert nichts daran, dass Ärzte zunehmend zu arztfremden Tätigkeiten herangezogen werden wie beispielsweise Doku- mentieren und Kodieren. Zum anderen ist zu befürchten, dass P4P einen grundsätzlichen Wertewandel in der Medizin befördert. In der gegenwärtigen Situation kann man - auch unter jungen Ärzten - eine prosoziale Grundhaltung voraussetzen. Sie haben sich für die Medizin entschieden, weil sie gute Ärzte sein wollen und nicht, weil sie sich vom Arztsein besonders viele Boni erhoffen. Es ist kein Zufall, dass die allermeisten, die sich für P4P stark machen, keine Ärzte sind und sich kaum vorstellen können, dass man einfach das Richtige tun möchte, weil man sich andernfalls nicht wohlfühlt und seine Tätigkeit als sinnlos empfindet. Je mehr aber nun auf P4P gesetzt wird, desto mehr wird man genau diese Haltung für obsolet erklären, ja in die Defensive drängen. Die Art der Anreize kann Einstellungen verändern. Durch P4P als Paradigma wird de facto eine prosoziale Grundeinstellung für unerheblich erklärt, und es werden immer mehr Menschen angezogen, die auf extrinsische Motivierungen stärker ansprechbar sind. Diese Weichenstellung, dieser Wertewandel ist der Medizin in keiner Weise angemessen: Hier geht es um authentische zwischenmenschliche Sorgebeziehungen und nicht um sachliche zweckrationale Tauschbeziehungen." Zur Konkurrenz der externen Anreize untereinander Die zweite mit P4P stillschweigend gesetzte Prämisse ist folgende: Bisher war die Qualität in der Medizin schlecht, zu ihrer Verbesserung bedarf es der Anreize. Die Prämisse läuft also auf eine verdeckte Negativbewertung der gegenwärtigen ärztlichen Tätigkeit hinaus. Diese vorausgesetzte Negativbewertung richtet sich in der Regel besonders gegen die Tendenz zu Überversorgung. Genauer heißt das: Die Ärzte machen zu viel, sie behandeln zu oft auch dort, wo es nicht nötig wäre, und daher muss man Anreize schaffen, um sie davon abzuhalten. Auf den ersten Blick erscheint das auch plausibel, die gegenwärtige Tendenz zur Überversorgung lässt sich ja auch nicht gut bestreiten (siehe Kapitel 3). Zu bezweifeln ist nur dass deren Ursache wirklich bei den Ärzten zu suchen ist. Schließ- lich gibt es keinen Arzt, der einfach aus innerer Freude heraus sinnlose Diagnostik oder Therapie betreibt und so zur Überversorgung beiträgt. Diese folgt vielmehr aus den gegenwärtigen Anreiz- und Bewertungssystemen. Ärzte werden nach Eingriffszahlen bewertet; die Kliniken setzen den eindeutigen Anreiz, die Menge der Eingriffe auszuweiten, damit sie finanziell überleben können. Die Anreize sind die Ursache für die Überversorgung und die damit verbundenen Qualitätsmängel. Das Problem liegt in der Tatsache, dass Ärzten nicht ermöglicht wird, genuin ärztlich, nach rein medizinischen Kriterien zu entscheiden. Vielmehr erhalten sie Anreize, nach ökonomischen Kriterien zu entscheiden - und daruch werden Ärzte dazu verleitet, im Zweifelsfall die medizinische Logik der ökonomischen Logik unterzuordnen. Mit dem Versuch, diesen Missstand mit erneuten Anreizen zu beheben, schaukeln sich Fremdeinflüsse auf die Medizin gegenseitig hoch. Das eine System - in Form des Entgeltsystems DRG (Diagnostik Related Groups) oder in Form des PEPP (Pauschalierendes Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik) bzw. PsychVVG (Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen) - drängt die Medizin zur Ausweitung von Aktivitäten. Das andere System - P4P - drängt die Medizin zur Fokussierung auf einen bestimmten, mehr oder weniger willkürlichen Qualitätsparameter. Die Medizin wird übersteuert, mal hierhin, mal dorthin. Faktisch bleibt den Einrichtungen keine andere Wahl, als den Anreizen zu folgen. Resultat all dessen ist eine fremgtgeleitete Medizin, der in Anbetracht zahlreicher Anreizmodelle kein Raum mehr bleibt, wirklich medizinisch zu entscheiden und das zu tun, was im Studium gelernt wurde. Ich halte das für eine fatale Fehlentwicklung." Etablierung einer Misstrauenskultur "Die Grundursache für diese Irrationalität liegt darin, dass sich politisch gestützt eine Misstrauenskultur gegenüber der Medizin etabliert hat, mit der Prämisse, dass die Ärzte ohnehin nur schlechte Medizin betreiben, wenn man sie nicht richtig steuert. Aber diese Misstrauenskultur selbst ist die stärkste Gefährdung der Qualität in der Medizin, weil eine gute Medizin nur dann gedeihen kann, wenn das System grundsätzlich darauf vertraut, dass Ärzte gut ausgebildet werden, eine hohe Motivation haben und von der Selbstverwaltung im Fall von fehlerhaftem Vorgehen mit Sanktionen belegt werden. Um ein guter Arzt zu sein, muss man in einer Vertrauensatmosphäre arbeiten können, denn man braucht Freiräume, um den besten Weg für den Patienten zu finden. Vertrauen bedeutet, den Ärzten einen Ermessensspielraum einzuräumen. Vertrauen impliziert die Einsicht, dass innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung ausgehandelt werden muss, welcher Weg der beste ist für den Patienten. Diesen Weg kann man nicht durch Anreize, durch äußere Kontrollen vorgeben, weil er sich eben erst durch das Gespräch und aus der Reflexion der besonderen Situation und Vorgeschichte des Patienten ergibt. Situationen in der Medizin sind selten so eindeutig, wie die Theorie es nahelegt; in den allermeisten Fällen handelt es sich um Sitiuationen der Unsicherheit, Situationen, in denen es um einen Umgang mit Wahrscheinlichkeiten geht und nicht um einen Umgang mit absoluten Gewissheiten. Weil die Situationen immer einen Rest an Unbestimmtheit enthalten, braucht der Arzt einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen er eine Abwägung vornehmen kann. Diese Ab- wägung ist von vornherein primär auf den Patienten ausgerichtet und nicht auf die Kongruenz mit einer Leitlinie oder mit vorgegebenen Algorithmen oder mit den Dokumentationspflichten. Die Atmosphäre des Vertrauens ist deswegen wichtig, weil nur in ihr dem Arzt dieser unabdingbar notwendige Ermes- sensspielraum gewährt wird. Jede überbordende Kontrolle und jedes Drangsalieren durch die Forderung der strikten Einhaltung von Schemata, die nie ganz auf den Pateinten zutreffen können, behindert die Praxis einer guten Medizin. Die eigentliche ärztliche Leistung besteht darin, verschiedene Faktoren so zu synthetisieren, dass sich aus der Mischung von Objektivität, Standards, Leitlinien, aber auch Erfahrung und Intuition und nicht zuletzt Beachtung der Patientensituation eine individuell angemessene Therapieentscheidung ergibt.." Überformalisierung Die Qualität der Medizin ist die Qualität der Therapieentscheidung und diese Qualität der Therapieentscheidung hängt zu einem großen Teil ab von der Qualität des Gesprächs und der Qualität der gedanklichen Synsthese der verschiedenen Informationen. Diese Qualitätsfaktoren sind weder sichtbar noch messbar. Der Arzt synthetisiert jeden Tag, weil er durchweg mit komplexen Situationen zu tun hat. Seine Aufgabe ist das ständige Lösen von Problemen. Dabei braucht er formalisiertes und hartes Wissen, Fertigkeiten, Standards, Leitlinien, Evidenz, aber er braucht zugelich implizites Wissen, nämlich Situationswissen, Beziehungswissen, Erfahrungswissen und die Fähigkeit zum kreativen Denken. Er braucht praktische Urteilskraft. Im Hinblick auf P4P - wie auch auf andere Anreizsysteme - liegt das Problem nun im folgenden Punkt: Das Anreizsystem fördert nur eine der Komponente ärztlicher Urteilskraft, eben die auf objektive, aufweisbare und nachprüfbare Daten bezogene Komponente. Die andere - auf implizite Wissens- formen, auf Sprechen und Verstehen bezogene - Komonente wird dadurch als etwas nicht unbedingt zu Förderndes zurückgedrängt. Auf diese Weise wird die Balance der Komponente ärztlicher Urteilskraft gestört, was sich auf die Therapie nur nachteilig auswirken kann." Vernachlässigung notwendiger Interaktionsarbeit "Mit dem Vorschlag, die Bezahlung von dem Ergebnis der Behandlung abhängig zu machen, wird suggeriert, der Behandlungserfolg werde sich geradezu automatisch einstellen, wenn sich der Arzt an Qualitätsvorgaben halte. Dass aber die [Selbst-]Heilung des Patienten erstens nicht garantiert werden kann und zweitens von vielen externen [und auch internen] Faktoren abhängig ist, wird hier komplett übersehen. So hängt der Erfolg der Therapie auch davon ab, inwieweit es gelungen ist, den Patienten zu einer Mitwirkung am Heilungserfolg zu motivieren. Die Qualität der Medizin ist nicht einfach die Qualität der richtigen Verschreibung, hinzu kommt die Qualität der Beziehung, aus der heraus sich eine bessere Adhärenz ergibt. Der Erfolg in der Medizin hängt auch davon ab, ob es gelingt, den Patienten mitzunehmen auf dem Weg zur Therapie. Orientiert man sich allein am Objektivierbaren, so hat man nur einen Teilaspekt dessen berücksichtigt, worauf es in der Medizin ankommt. Zu bedenken bleibt außerdem, dass die Behandlung zu einem großen Teil auf eine gute Teamarbeit angewiesen ist. Auch insofern hängt Qualität in der Medizin oft an der Qualität des Miteinanders, der Zusammenarbeit der Ärzte untereinander und auch verschiedener Berufsgruppen auf der Station, neben der grundlegenden Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient. Was für die Qualität also dringend not- wendig ist, ist eine Kultur, in der es um geglückte Interaktionenen in mehrfacher Hinsicht geht. Diese Kultur lässt sich nicht fördern mit mehr Geld für aufweisbare, gute Ergebnisse in der Summe der Einzelfälle. Im Gegenteil ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine negative Folge des Anreizsystems zu erwarten: Die Einrichtungen werden sich verstärkt um diejenigen Patienten kümmern, mit denen gute Kennziffern zu erzielen sind, die als Parameter für die vermeintlich bessere Qualität fungieren. Gleichzeitig werden sie in ihren Bemühungen die Patienten zurückstellen, die die Erfolgsstatistik gefährden. Man wird also gute Zahlen generieren, aber nur um den Preis der Vernachlässigung der Patienten, die in dieses Dokumentationsraster nicht hineinpassen." Etablierung eines Aufmerksamkeitsverzehrers "Eine weitere schwerwiegende Folge einer etwaigen Bezahlung nach vorgegebenen Qualitätskriterien besteht darin, dass die Ärzte sukzessive umerzogen werden. Je mehr die Bezahlung von extern vorgegebenen Faktoren abhängt, desto mehr wird die Aufmerksamkeit der Ärzte auf diese Vorgaben gelenkt. Das heißt: Die Ärzte werden dazu gebracht, ihre eigentliche Qualität, die in Komplexitätsbewältigung besteht, sukzessive aufzugeben und nur noch mit Scheuklappen auf eng definierte Qualitätsparameter zu schielen, für die sie entlohnt werden. Damit verbindet sich eine überaus problematische Geringschätzung des ärztlichen Könnes und eine Überführung der eigentlichen Qualität der Ärzte in vereinfachte Programme. Bezahlung nach "Qualität" bedeutet daher eine Gefährdung der ganzheitlichen Behandlung von Patienten und eine Gefährdung der ärztlichen Könnerschaft, denn ohne Simplifizierung und Engführung ist eine Bezahlung nach "Qualität" nicht zu erreichen. Vielmehr droht sich das Bestreben, durch finanzielle Anreize die Qualität zu erhöhen, in der Minderung der Qualität des Arztes auszuwirken." Deprofessionalisierung der Medizin "In einen größeren Kontext gestellt bedeutet die Einführung von P4P nicht weniger als die Abkehr von der Vorstellung der Medizin als eigenständiger Profession, die der Gesellschaft das Versprechen gibt, sich in erster Linie nach Maßgabe des Patientenwohls zu organisieren. Demgegenüber steht hinter der Einführung des P4P die Überzeugung, dass anstelle der Professionalität nun mehr das Geld als Garant des Patientenwohls fungieren soll. Anstelle der Bindung an die für das Berufsethos charakteristischen Werte soll jetzt der finanzielle Anreiz stehen, auch wenn dies durch den Begriff der leistungsorientierten Vergütung maskiert wird. Mit dem P4P wird ein weiteres Instrument in die Medizin eingeführt, das aus dem marktwirtschaftlichen Bereich kommt und für die Marktwirtschaft enwickelt wurde. Der Rückgriff auf finanzielle Anreize verdrängt also das Konzept professioneller Autonomie. Hier wird die Notwendigkeit einer Steuerung postuliert, die sich an anderen als den genuin medizinischen Prinzipien orientiert und diese um ihre Auswirkung bringt." Die Frage nach adäquaten Formen der Wertschätzung ärztlichen Engagements "Wer tatsächlich gute Qualität will, muss in die Ressource Arbeitszufriedenheit investieren. Denn die Qualität der Medizin hängt nicht primär davon ab, ob jede Leistung dokumentiert wird, sondern sie hängt vor allem davon ab, welche Motivation die Ärzte bei ihrer Arbeit leitet und inwieweit das System ihnen ermöglicht, sich mit ihrer Arbeit zu identifizieren. Diese Identifikation ist nur möglich mit dem Grundgefühl, sich ohne Scheuklappen und ohne künstliche Belohnungssysteme ganz auf die Patientn einlassen zu können. In aller Regel engagieren sich die einzelnen Ärzte gerne für ihre Patienten. Dieses Engagement ist es, was entscheidend zur Qualität ärztlicher Arbeit beiträgt und tatsächlich auch besondere Anerkennung verdient.. Dabei ist aber zu berücksichtigen: So wenig wie sich das Engagement quantifizieren und objektiv erfassen lässt, so wenig entspricht ihm die von sich aus quantifizierende Anerkennung durch Geld. Es ist darum wichtig, nach Ausdrucksformen gesellschaftlicher Wertschätzung zu suchen, die adäquat auf ärztliches Engagment reagieren, dadurch intrinsische Motivation stärken und so ein entscheidendes Qualitätspotential fördern." Fazit Gute Qualität in der Medizin ist nicht mit finanziellen Anreizen zu erreichen, sondern mit der Gewährung von Zeit und Ruhe für eine gute Betreuung. P4P [Pay for Performance] wird zu einer skotomartigen Konzentration auf wenige Partikularparameter führen, die nie das Spektrum abdecken können, das notwendig ist, um wirklich gute Medizin zu betreiben. Daher sollten sich die Ärzte vehement gegen einen solchen Reduktionismus zur Wehr setzen und aufzeigen, dass gerade die Medizin sich der erfahrungsgesättigten Bewältigung von Komplexität verschreibt und im Interesse ihrer Patienten keine einfachen linearen Lösungen akzeptieren kann." [4a] (S.48-57) Die Stränge ärztlicher Kunst Die Neigung zum Aktionismus in der Medizin ist eine Schwester der Sprachlosigkeit. Diese Sprachlosigkeit wird durch das System in unverantwortlicher Weise in Kauf genommen, weil zu sehr das sichtbare Machen betont und das unsichtbare Verstehen und Reflektieren wegrationalisiert wird. Umso wichtiger ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass die ärztliche Kunst letzten Endes in der Verbindung aus Sachlichkeit und Zwischenmenschlichkeit besteht. Es geht um eine Verbindung aus der Kunst des Machens mit der Kunst des Verstehens und des Sprechens. [4] Prof. Dr. Giovanni Maio [5]: "Wenn Medizin industrialisiert wird ..." pdf >>> "Die Kunst des Seinlassens ergibt sich nicht aus Faktenwissen allein, sondern sie ist das Resultat von Erfahrungswissen. Da dieses Erfahrungswissen aber keine Lobby hat in den modernen Kliniken, wird auch die Kunst des Seinlassens zunehmend verlernt, man steigt automatisch in ein auf Hochtouren getrimmtes System ein. Personal wird eingespart, um Kosten einzusparen, aber es ist ein Einsparen am falschen Ende. Die Einsparung von Personal führt unweigerlich zu Überdiagnosen und auch Übertherapie, die letztlich viel teurer ist als das eingesparte Personal. Überlässt man die Medizin einfach dem ökonomi- schen Sachverstand, so kommt am Ende eine schlechtere Versorgung zu höheren Preisen heraus. Erforderlich ist eine neue Aufwertung des ärztlichen Know-hows, eine Aufwertung der ärztlichen Qualifikation, erfahrungsgesättigte Urteile zu fällen. Diese Aufwertung müsste sein, damit die Medizin das vernünftige Maß halten kann. Ohne Erfahrung kann kein Maß gefunden werden. Diese Einsicht ergibt sich allein aus logischem Denken. Deswegen ist es eine unverantwortbare Fehlentwicklung der modernen Medizin, dass sie durch die Anreizsysteme und durch die Verbetriebswirtschaftlichung alle freien Zeitresiduen der Ärzte komplett getilgt hat. Das führt unweigerlich zu Erfahrungsverlust und vor allem zu schlechterer Aus- bildung des Nachwuchses [der Jungärzte]. Wenn Ärzte nur noch funktionieren müssen und überschüttet werden mit Routinearbeiten, dann bleibt keine Zeit mehr für das Erklären, Erläutern, Weitergeben von wert- vollen Erfahrungen an die nächste Generation. Die Anleitung der jungen Ärzte wird als eine Vergeudung von Ressourcen angesehen, als nicht rentable Tätigkeit. Aber auch damit spart die Medizin am falschen Ende, denn der sparsame Umgang mit Diagnostik und Therapie kann nur erfolgen, wenn gut ausgebildet wird, und zwar nicht nur an der Universität, sondern vor allem am Krankenbett. Daher muss eine neue Aufwertung der Ausbildung erfolgen, im Interesse einer nachhaltigen Medizin, die durch die entsprechende Erfahrung besser ihr Maß finden kann. Viel Erfahrung ist nötig, um nur das Angemessene zu tun." [4a] Prof. Dr. med. Giovanni Maio (b.1964) Deutscher Arzt, Philosoph, Medizin- u.Bioethiker Aus: Giovanni Maio: [1] "Geschäftsmodell Gesundheit - Wie der Markt die Heilkunst abschafft" medizinHuman - Band 15 SUHRKAMP 2.Auflage 2016 (2014): [1a] Vorbemerkungen des Herausgebers Dr. med. Bernd Hontschik S.9f [1b] I. Einleitung S.13f. IV. Theoretische Implikationen einer ökonomisierten Medizin. 6. Austauschbarkeit des Arztes S.64f. 10. Entlegitimierung des Nichtmessbaren S.73f. 14. Etablierung einer Misstrauenskultur S.82. VI. Vom Vertrauensverhältnis zum Vertragsverhältnis S.104f. www.hontschik.de, www.igm.uni-freiburg.de/Mitarbeiter/maio [1c] Heiner Friesacher: "Theorie und Praxis pflegerischen Handelns" V&R unipress 2007 [2] Giovanni Maio: "Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin - Ein Lehrbuch" Das Menschenbild als Grundlage einer Ethik der Medizin. 24.1 Beherrschende Menschenbilder in der modernenen Medizin. 24.1.1 Der Mensch als Mensch-Maschine S.377f. 24.2 Gegenentwurf für eine zukunftsweisende Medizin. 24.2.1 Der vulnerable und angewiesene Mensch S.384f. Schluss: Quo vadis, Medizin? (A) "Industrialisierung der Medizin - Helfen nach Vorgaben" (B) "Medizin als authentische Sorge um den ganzen Menschen" S.391-395. Schattauer 2012 ISBN 978-3-7945-2448-8 Giovanni Maio INFOS: "Das Präventions-Paradoxon" im Statistik Glossar & Allerlei >>> LAGE: Zillertal Infos "Geschäftsmodell Gesundheit" >>> LEISTUNGEN: Komplementärmedizin >>> [3] Giovanni Maio: "Medizin ohne Maß? - Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit" Zum Einsrtstieg S.9-15 TRIAS 2014 (2a) "Seit der Antike dient ethisches Denken in erster Linie dazu, dem Menschen dabei zu helfen, ein erfülltes Leben zu führen." Giovanni Maio : „Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin - Ein Lehrbuch“ Mit einem Geleitwort von Wilhelm Vossenkuhl (b.1945, Prof.f. Philosophie) Kapitel 21 Medizin und Ökonomie S.307-319 SCHATTAUER 2012 [4] Giovanni Maio: "Die verlorene Kunst des Seinlassens - Eine Folge des industrialisierten Medizinbetriebs" 1. Das Machen als Bewältigung von Unsicherheit S.1014; 2. Das Machen als Ausdruck einer Produktionslogik S.1015; Was ist zu tun? S.1018 ("The lost art of abstaining: a consequence of industrilized health care") Dtsch Med Wochenschr 2015;140:1014-1018 [Meine Ergänzungen] Zum Abstract des Beitrags: www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0041-102402 "Nicht der Sprecher, sondern der Hörer bestimmt über die Bedeutung des Gesagten." Ludwig Josef Johann Wittgenstein (1889 - 1951) Österreichischer Philosoph "Zunächst gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass es verschiedene Arten des Hörens gibt. Es ist vor allem das Verdienst von Roland Barthes [1915-1980, frz.Philosoph], eine durchdachte Differenzierung des Hörens [BR] vor- gelegt zu haben. Barthes unterscheidet zwischen drei Arten des Hörens. Das erste Hören nennt er das Hören auf Indizien; er meint damit das Aufhorchen, das Hören auf ein Signal, auf einen Alarm. Es handelt sich hier um eine Hörform, die der Mensch mit dem Tier teilt, eine Hörform, der eine Überwachungsfunktion zukommt. Das zweite Hören bezeichnet Barthes als Entziffern, eine Art des Hörens, die den Menschen vom Tier unter- scheidet. Er meint damit ein Zuhören, bei dem der Mensch bekannte Codes sucht. Barthes vergleicht dieses zweite Hören mit dem Lesen und beschreibt es als ein Hören auf den Sinn und als ein Hören "auf das Ge- heimnis" [B, S.59], das eben erst über einen Code dechiffriert und in das menschliche Bewusstsein gebracht wird. Das dritte Zuhören besteht nach Roland Barthes darin, nicht auf bestimmte Zeichen zu warten, sondern sich "in einem intersubjektiven Raum (zu) entfalten" [B, S.55], womit er auf das psychoanalytische Zu- hören abhebt und darin die Abhängigkeit des Gehörten von eigenen biographisch geprägten Deutungsmustern unterstreicht. Die moderne Medizin neigt dazu, das Hören auf die erste Hörform zu reduzieren, und sie vernachlässigt den Gehalt der beiden anderen Hörformen. [...] "Hören und Verstehen - die "freie Öffnung in die Dimension des Anderen!" [HGG] Die moderne Medizin verfällt in ein Hören, das dieser Konzeption diametral entgegensteht, weil die moderne Medizin dazu angehalten wird, den Patienten nur noch zu verobjektivieren, ohne ihn zu verstehen. Sie wird dazu angehalten, nicht auf den Patienten zu hören, weil sie glaubt, die Einsicht ergäbe sich allein aus dem Sehen [Visualprimat], aus dem Verobjektivieren. Die moderne Medizin wird dazu angehalten, nicht wirklich zuzuhören, weil sie implizit davon aus- gehe, dass die Verobjektivierung die einzige Forderung an Wissenschaftlichkeit ist, und weil sie auf diese Weise dazu anleitet, den Patienten auf Distanz zu halten, auf eine Distanz, die es erlaubt, ihn zu beobachten und zu steuern, auf eine Distanz, die es erlaubt, über ihn zu verfügen, ihn eben durchzuschleusen, nach den Regeln, die der Betrieb vorgibt. Der Nahsinn Hören kann hier nur stören." Aus: Giovanni Maio (Hg.): "Auf den Menschen hören. Für eine Kultur der Aufmerksamkeit in der Medizin" Vom Verlust des hörenden Weltbezugs in der modernen Medizin, Was bedeutet das nun für die Medizin?, S.8, S.23f, Herder 2017 [HGG] Hans Georg Gadamer: "Über das Hören" S.201, in Thomas Vogel (b.1947, Hrsg.): "Über das Hören. Einem Phänomen auf der Spur" Tübingen, Attempto 1998, S.197-205 Hans Georg Gadamer (1900-2002, dtsch. Philosoph): "Zwischen Gedanke und Wort. Eine Philosophie des Hörens" (Vortrag 1996) www.youtube.com/watch?v=tYVVKtvt0hE: "Das Hören hat sich gegen einen Primat des Sehens zu verteidigen, dieses Vermächtnis unserer humanistisch getragenen Kultur, die sogenannte Okularität der Griechen. Wer sieht, sieht die meisten Unterschiede, doch wer hört, erweitert seinen Horizont auf alles, was man verstehen und damit denken kann. Auch wird er beim Vorgang des Hörens selbst miteinbezogen, denn die Stimme nennt den Namen und ruft einen. In der Stoa unterschied man dabei zwischen der inneren Stimme und dem herausgesagten Wort. Indem ich es aussage, ist es nicht mehr mir, so wie etwa meine Gedanken. Hören ist dabei immer das Hören auf etwas, denn jedes Wort verlangt nach der Antwort. Es handelt sich bei der Frage jedoch nicht um die Gängelung des schon vorher festgelegten pädagogi- schen Wissens. Die wirkliche Frage ist vielmehr eine, die ich selbst nicht beantworten kann, sodass ich den anderen in ein 'Gespräch hineinziehe und mir erst durch dieses Gespräch ein Urteil über sein Wissen bilden kann." (Aus: Quartino "H.-G. Gadamer - Sprache und Verstehen" 2011) Sendung: 14.04.1996; Teil I: www.youtube.com/watch?v=CagQWsMGJ0g Teil II: www.youtube.com/watch?v=xg931T0GWk4 "Gespräch ⇔ Zuhören" "Aktionismus" Leonhard Tipotsch (b.1958) Zillertaler Bildhauer in Tux www.bildhauer-tipotsch.at "In Zukunft wird es womöglich einen Beruf geben, der Zuhörer heißt. Gegen Bezahlung schenkt er dem Anderen Gehör. Man geht zum Zuhörer, weil es sonst kaum jemand mehr gibt, der dem Anderen zuhört. Heute verlieren wir immer mehr die Fähigkeit des Zuhörens. Vor allem die zu- nehmende Fokussierung auf das Ego, die Narzifizierung der Gesellschaft erschwert es. Narziss erwidert die liebende Stimme der Nymphe Echo (1) nicht, die eigentlich die Stimme des Anderen wäre. So verkommt sie zur Wiederholung der eigenen Stimme. Das Zuhören ist kein passiver Akt. Eine besondere Aktivität zeichnet es aus. Ich muss zunächst den Anderen willkommen heißen ... Dann schenke ich ihm Gehör. Zuhören ist ein Schenken, ein Geben, eine Gabe. Es verhilft dem Anderen erst zum Sprechen ... In gewisser Hinsicht geht das Zuhören dem Sprechen voraus. Das Zuhören bringt den Anderen erst zum Sprechen. Ich höre schon zu, bevor der Andere spricht, oder ich höre zu, damit der Andere spricht. Das Zuhören lädt den Anderen zum Sprechen ein ... Der Zuhörer ist ein Resonanzraum, in dem der Andere sich freiredet. So kann das Zuhören heilend sein ... Er nimmt sich selbst ganz zurück für den Anderen. Er wird ganz Ohr ohne den störenden Mund ...Die lärmende Müdigkeitsgesellschaft ist taub. Die kommende Gesellschaft könnte dagegen eine Gesellschaft der Zuhörenden und Lauschenden heißen. Notwendig ist heute eine Zeitrevolution, die eine ganz andere Zeit beginnen lässt. Es gilt, die Zeit des Anderen wieder zu entdecken. Die heutige Zeitkrise ist nicht die Beschleunigung, sondern die Totalisierung der Zeit des Selbst. Die Zeit des Anderen entzieht sich der Steigerungslogik der Leistung und Effizienz, die einen Beschleunigungsdruck erzeugt. Die neoliberale Zeitpolitik schafft die Zeit des Anderen ab, die für sie eine unproduktive Zeit wäre. Die Totalisierung der Zeit des Selbst geht einher mit der Totalisierung der Produktion, die heute alle Lebensbereiche erfasst und zur Totalausbeutung des Menschen führt. Die neoliberale Zeitpolitik schafft auch die Zeit des Festes, die Hoch-Zeit, ab, die sich der Logik der Produktion entzieht. Sie gilt nämlich der Ent-Produktion. Im Gegensatz zur Zeit des Selbst, die uns isoliert und vereinzelt, stiftet die Zeit des Anderen eine Gemeinschaft. Sie ist daher eine gute Zeit." Aus: Byung-Chul Han (b.1959): "Die Austreibung des Anderen: Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute" Zuhören, S.93f, 101f, FISCHER 2016 (1) "Echo, eine Bergnymphe (Oreade), unterhielt im Auftrag Zeus’ dessen Gattin Hera mit dem Erzählen von Geschichten, damit Zeus Zeit für amouröse Abenteuer hatte. Als Hera dieses Komplott entdeckte, beraubte sie Echo zur Strafe der Sprache und ließ ihr lediglich die Fähigkeit, die letzten an sie gerichteten Worte zu wiederholen. Narziss verschmähte grausam ihre Umarmung, und Echo fühlte sich so elend und gedemütigt, dass sie sich in einer Höhle versteckte, keine Nahrung mehr zu sich nahm und schließlich verkümmerte, bis sie nur noch Stimme war. Ihre hageren Gebeine wurden zu den Felsen, die das Echo zurückwerfen." [Quelle: Internet] "Im Hinblick auf die beschriebene Ökonomisierung der gesamten Medizin kann es nicht verwundern, dass das echte Patienten-Gespräch - sei es zwischen Pflegendem und Patient, sei es zwischen Arzt und Patient -zu den ersten von ihr geforderten Opfern gehört. Das Gespräch im Sinne einer Begegnung von zwei Menschen ist in diesem System nicht vorgesehen. Als erforderlich gilt es allenfalls in einem funktionalisierenden Sinn zum Zweck von Informations- sammlung, Dokumentation oder juristischer Absicherung. ... Worum [geht] es in der Psychiatrie und Psychotherapie, aber im Prinzip auch in der Medizin zentral: [um] die Erlebniswelt (EH) des Patienten. Diese Welt ist für den Patienten real, diese Welt ist das Zentrale. ... Die Rolle des Therapeuten ["Das Bild von den Bahnreisenden" Freud 1913 (1)] ist damit klar umschrieben. Er hört dem Patienten zu, lässt sich zuhörend mitnehmen, und durch dieses Zuhören verändert sich auch die Sichtweise des Patienten ... Das Bild (1) zeigt, wie der Zuhörende allein durch seine Hörleistung, durch sein Da-Sein im Inneren des Abteils dem Patienten Halt anbietet. Das Zuhören als das Haltgebende, das Zuhören als die Ermöglichung des Gefühls des Aufgehobenseins. Das ist das Faszinierende an der Zuhörleistung, dass sie Gemeinschaft stiften kann." [4a, S.105f] "Gerade im Vergleich zu einem distanzierten und analysierenden Sehen (die Welt als eine Anordnung ausgedehnter Materie) wird dieser gemeinschaftsstiftende Charakter des HÖRENS deutlich. Der sezierende Blick trennt den Betrachteten vom Betrachter. Dieser Modus ist ein Modus des Abspaltens, der Distanzierung, der Sterilität. Vermittels des ZUHÖRENS wird diese kühle Sterilität durchbrochen, weil die Haltung des ZUHÖRENS unweigerlich eine ist, die den Sachbezug des Wortes nicht trennen kann von dessen je individueller Intonation [Tonhöhe]. Wenn wir zuhören, erahnen wir mehr vom Wesen des anderen, als uns Worte, die nur dokumentiert sind, je vermitteln könnten. In das gesprochene Wort mischt sich somit unweigerlich etwas Persönliches hinein, weil es keine nichtssagende Stimme gibt. Das macht das ZUHÖREN zu einer Art Kennenlernenverhältnis." [4a, S.115f] "Die schnelle Anwendung der Behandlungschablone ist das versteckte Ideal einer industrialisierten Medizin, und genau deswegen wird das ZUHÖREN nicht wirklich gefördert, weil sich das echte ZUHÖREN dieser Schablonisierung entzieht. ZUHÖREND ... nehmen wir Nuancen ["Abstufungen", "Feinheiten"] wahr, weil sich das ZUHÖREN eben nicht auf fest konturierbare Gegenstände bezieht, sondern auf Resonanz ["Mitschwingung"]. ZUHÖREND ver- schwimmt die Schablone, und es entfaltet sich ein unverwechselbares Individuum im Hier und Jetzt. Das Unver- wechselbare, weil allererst zu entdeckende Individuum passt nicht in das Konzept einer Medizin, die sich auf das Durchschleusen von Patienten eingespielt hat. Dieser Anreiz zur Abfertigung zeigt sich ja schon beim Sprechen, das in der Medizin oft auf einen standardisierten "Wortaustausch" reduziert wird [E]. Folgerichtig wird ein HÖREN eingeübt, das sich nur auf den Sachgehalt der Worte fixiert und dabei die persönliche Intonation außen vor lässt. Die Ärzte werden also systematisch dazu erzogen, das HÖREN zu reduzieren auf den Modus des Detektierens und Rasterns [D]. Damit werden sie implizit dazu angehalten, das Zuhören im Sinne des Erfassens einer beson- deren Botschaft eines besonderen Individuums zu vernachlässigen. Die Strukturen verleiten die Ärzte zu einer Haltung, bei der das Überfliegen mit den Ohren das echte Zuhören ersetzt. Der Modus des HÖRENS ... ist ein Modus, der gar nicht sucht, sondern sich öffnet für das Reden eines anderen Subjekts. In der modernen Medizin wird der Mensch hingegen als das gesehen, was schon da ist, als etwas Feststehendes, das man eben nur zu verobjektivieren braucht. Deswegen erscheint das HÖREN so wenig passend, weil man hörend sich eingestehen müsste, dass es im Umgang mit Menschen nichts Fest- gestelltes geben kann, sondern nur Lebendiges im Vollzug, Lebendiges, das man hören kann. ... Die moderne Medizin wird dazu angehalten, nicht wirklich zuzuhören, sondern davon auszugehen, dass dieVer- objektivierung des schon Feststehenden die einzige Forderung an Wissenschaftlichkeit ist. Außerdem wird der Medizin nahegelegt, den Patienten rein nach ["Wirtschaftlichkeits-"] Effizienzgesichtspunkten zu behandeln. Der Nahsinn des HÖRENS kann hier nur stören, weil er die Effizienz bedroht. Aber wer nicht hört, ist letztlich weniger effektiv, weil er Gefahr läuft, den Punkt zu verfehlen, auf den es bei diesem individuellen Patienten ankommt. In der modernen Medizin wird die besondere Chance des HÖRENS in ihr Gegenteil verkehrt. Im Gespräch mit anderen ist das, was wir hören, grundsätzlich "unvorherhörbar" [W], und genau deswegen sind Gespräche so wertvoll." [4a, S.116-120] "Das Auge kann suchen, das Ohr nur warten. Das Sehen stellt die Dinge, das Hören wird gestellt!" [HB] "Das bedeutet, dass der hörende Mensch im Moment des Hörens gerade nicht im Voraus weiß, was auf ihn zu- kommt. Der hörende Mensch steht in der offenen Erwartung, in der Erwartung von etwas zunächst Unbe- stimmtem. Er hört, weil er wissen möchte, was kommt, ohne zu wissen, was kommt. [4a, S.109] "Das Gehör ist das, was den Menschen anspricht, indem es einfällt!" [E] "Dieses immer wieder neue Kennenlernen des anderen wird aber systematisch verhindert, indem den Heilberufen beigebracht wird, nur auf das Sichtbare und Dokumentierbare, auf das binär Erfassbare, auf das Maschinenlogische zu achten, weil die Beachtung anderer Wirklichkeiten, die sich der standardisierten "Sichtweise" widersetzen, in dieser visualorientierten Logik nicht nur als effizienzgefährdend, sondern schlimmer noch als unwissenschaftlich gilt. "Verhindern nicht meist die Bilder, die man sieht, dass man sich ein Bild von etwas macht?" [BJ], so hat Jurek Becker einmal treffend auf den Punkt gebracht, worunter die moderne Medizin evidentermaßen leidet. Was den Heilberufen im Zuge einer betriebstechnischen Durchrationalisierung der Organisationsabläufe sukzessive aberzogen wird, ist die Haltung der Unvoreingenommenheit, die Haltung der tiefen Neugier auf die Stimme des anderen, die mit einem Aufruf, einer Verpflichtung verbunden ist. Aus den Worten des Patienten spricht eine Stimme, die als Ausdruck des inneren Wesens unvermeidbar einen appellativen Charakter hat. ... Wer in der Medizin aber nur die Symptome als Warnsignale hört und den Menschen in seiner Befindlichkeit dabei überhört, wird zwar Symptome behandeln, sich aber über das ANGESPROCHENSEIN durch den Patietnen hin- wegsetzen, er wird die sichtbare Krankheit behandeln, aber den Anspruch des Patietnen, der nur gehört werden kann, übergehen. Die NOT ist ja im Grunde die eigentliche Legitimation für die Behandlung, nicht das Symptom per se. Und die NOT kann nicht als Objekt festgestellt, sondern nur als Situation gehört und erspürt werden. Der Patient erwartet zu Recht nicht nur eine Behandlung, sondern er erhofft sich eine Antwort, eine Antwort auf seine ihn bedrängenden Fragen. Diese Antwort lässt sich nur finden, wenn das notwendige detektivische Hören in jedem Moment der Begegnung verknüpft wird mit einem existentiellen Hören, mit einem Hören auf den Menschen, der mir mehr sagt, als ich im Labor je feststellen könnte. ... Die eigentliche Herausforderung der Medizin besteht darin, das Problem des Patienten so zu re-definieren, dass der Patient dadurch neue Stabilität und Orientierung erhält, ohne sich einem entfremdenden System aus- gesetzt zu sehen. Redefinition unter Vermeidung der Entfremdung - das ist die Aufgabe einer jeden Behandlung von Patienten. Die gesamte Medizin hat die Herausforderung zu meistern, das Alltagsverständnis des Patienten ernst zu nehmen und es zugleich zu verknüpfen. Es ist eben gerade die Verknüpfung des verobjektivierbaren Bio- markers mit dem nur hörbaren "Soziomarker", womit man dem Patienten wirklich gerecht werden kann. Nur zu hören, ohne die Fortschritte der messenden Naturwissenschaft zu implementieren, wäre bei manchen Krank- heitsbildern zu wenig - aber nur den Biomarker [M] anzuerkennen und den Soziomarker zu überhören wäre eine Entfremdung. Im Grunde greift die Professionalität der Medizin genau dort, wo es um Probleme geht, die gerade nicht einfach formalisiert [einer gewissen vereinfachenden (verallgemeinernden) Form unterworfen werden können] und einer bloß technischen Lösung zugeführt werden können. Sie greift dort, wo das Sehen mit dem Hören zu einer ganz neuen Einheit verbunden wird. Es geht also nicht um einen Ersatz des Sehens durch das Hören, sondern um eine gesunde Synästhesie aus Sehen und Hören." [4a, S.116-120] "Was die kleine Momo (1) konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht so mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie daß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hätte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wußten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf - und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören!"" Aus: Michael Ende (1929-1995): "Momo" oder "Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte" Ein Märchen-Roman, Erster Teil: Momo und ihre Freunde, 2.Kapitel: Eine ungewöhnliche Eigenschaft und ein ganz gewöhnlicher Streit, S.14f, Thienemann Verlag 1973 (1) Momo ist ein kleines Mädchen mit einem struppig, pechschwarzen Lockenkopf. Momo lebt am Rande einer Großstadt in den Ruinen eines Amphitheaters. Sie besitzt nichts als das, was sie findet oder was man ihr schenkt, und eine außergewöhnliche Gabe: Sie hört Menschen zu und schenkt ihnen Zeit. Doch eines Tages rückt das ge- spenstische Heer der grauen Herren in die Stadt ein. Sie haben es auf die kostbare Lebenszeit der Menschen abgesehen und Momo ist die Einzige, die der dunklen Macht der Zeitdiebe noch Einhalt gebieten kann ... [Quelle: Internet] [4a] Giovanni Maio: "Werte für die Medizin - Warum die Heilberufe ihre eigene Identität verteidigen müssen" Teil I: Umwertung der Werte - Die gegnwärtige Lage der Heilberufe. Kapitel 3: Der ärztliche Beruf heute - Belohnter Aktionismus und abgewertete Sorgfalt. Das Tun als Folge eines Erfahrungsverlustes, S.42f, Kapitel 4: "Anreize statt Werte - das Beispiel der "Bezahlung nach Leistung" Geld als Qualitätsregulativ, S.48-50, Zur Konkurrenz der externen Anreize untereinander, S.50f, Etablierung einer Misstrauenskultur S.51f, Überformalisierung, S.53, Vernachlässigung notwendiger Interaktionsarbeit, S.53f, Etablierung eines Aufmerksamkeitsverzehrers S.55, Deprofessionalisierung der Medizin S.55f, Die Frage nach adäquateen Formen der Wertschätzung ärztlichen Engagements S.56, Fazit S.57, Teil II: Wiederzuent- deckende Werte der Heilberufe. 8.Kapitel: Offenheit und Feinsinn - Zur Bedeutung des Zuhörens. S.105f, 2. Hören als Haltung des Zeit- gebens, S.109, 8.Zuhören als Stabilisierungsvorgang, auszugsweise aus S.115-120, Die Bedeutung des Hörens in der Medizin, S.116f, Kösel 2018 Kapitel 13: "Für eine Ethik der Sorge in der Medizin" pdf >>> Kapitel 6: "Technik und Werte" (in der Medizin) pdf >>> (EH) Die Lebenswelt - die menschliche Welt in ihrer vorwissenschaftlichen Selbstverständlichkeit und Erfahrbarkeit in Abgrenzung zur theoretisch bestimmten wissen- schaftlichen Weltsicht -, als zentraler Begriff, ist für Edmund Husserl [(1859-1938), österreichisch-deutscher Philosoph, Mathematiker, Begründer der philosophischen Strömungder Phänomenologie] die vortheoretische und noch unhinterfragte Welt der natürlichen Einstellung: die Welt, in der wir leben, denken, wirken und schaffen. "In unserer Lebensnot – so hören wir – hat diese Wissenschaft uns nichts zu sagen. Gerade die Fragen schliesst sie prinzipiell aus, die für den in unseren unseligen Zeiten den schicksalsvollsten Umwälzungen preisgegebenen Menschen die brennenden sind: die Fragen nach Sinn oder Sinnlosigkeit dieses ganzen menschlichen Daseins." [S.4] Edmund Husserl: "Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie" Hrsg. von Walter Biemel (1918-2015, rumänisch-deutscher Philosoph). Nachdruck der 2. verb. Auflage. Leuven 1976 (Husserliana Band 6 [1954]) (1) Sigmund Freud (1856-1939): "Zur Einleitung der Behandlung. Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse I" 1913 Kleine Schriften I - Kapitel 17, "Sie werden versucht sein, sich zu sagen: Dies oder jenes gehört nicht hieher, oder es ist ganz unwichtig, oder es ist unsinnig, man braucht es darum nicht zu sagen. Geben Sie dieser Kritik niemals nach und sagen Sie es trotzdem, ja gerade darum, weil Sie eine Abneigung dagegen verspüren. Den Grund für diese Vorschrift – eigentlich die einzige, die Sie befolgen sollen – werden Sie später erfahren und einsehen lernen: Sagen Sie also alles, was Ihnen durch den Sinn geht. Benehmen Sie sich so, wie zum Beispiel ein Reisender, der am Fensterplatze des Eisenbahnwagens sitzt und dem im Inneren Untergebrachten beschreibt, wie sich vor seinen Blicken die Aussicht verändert. Endlich vergessen Sie nie daran, daß Sie volle Aufrichtigkeit versprochen haben, und gehen Sie nie über etwas hinweg, weil Ihnen dessen Mitteilung aus irgendeinem Grunde unangenehm ist." Aus: https://gutenberg.spiegel.de/buch/kleine-schriften-i-7123/17 [BJ] Jurek Becker: "Mit den Ohren sehen" S.111, [BR] Roland Barthes: "Zuhören", 55-71, in: Robert Kuhn, Bernd Kreutz (Hrsg.): "Das Buch vom Hören" Herder 1991 [D] durch zielgerichtetes Untersuchen und Recherchieren herausfinden und einteilen. [E] David Espinet (b.1977, dtsch. Philosoph): "Phänomenologie des Hörens. Eine Untersuchung im Ausgang von Martin Heidegger" S.101f, 127 Reihe: Philosophische Untersuchungen Bd. 23, Tübingen: Mohr Siebeck 2009 (2016) [HB] Hans Blumenberg [1920-1996, dtsch Philosoph]: "Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung" S.433, Studium Generale 1957,10,7,432-447 [M] Marke: Kennzeichen; z.B.: messbarer Parameter biologischer Prozesse, die prognostische oder diagnostische Aussagekraft haben, wie z.B.: das laborchemisch ausgewerte Gesamtblutbild u.a.m. [W] Franz Wellendorf (b.1935, dtsch. Psychoanalytiker): "Sich an das Unvorherhörbare ausliefern. Psychoanalytische Gedanken bei der Lektüre Friederike Mayröckers" S.35, in: Irene Bozetti, Ingo Foche, Inge Hahn (Hrsg.): "Unerhöhrt - Von Hören und Verstehen. Die Wiederentdeckung der grundlegenden Methode der Psychoanalyse" Klett-Cotta 2014, S.23-42 [5] Giovanni Maio: "Ökonomie in der Medizin - Von nicht messbaren Werten" ÖÄZ 9 -10.05.2016 www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2016/oeaez-9-10052016/oekonomie- in-der-medizin-univ-prof-giovanni-maio-werte.html "Die ärztliche Praxis ist eine Kunst, kein Handelsgeschäft, eine Berufung, kein Laden, eine Art Erwählung, die das Herz ebenso wie den Kopf fordert." Sir William Osler (1848-1919) Kanadischer Arzt/Internist "Vater der modernen Medizin" "Zweifellos ist die PSYCHIATRIE nicht die einzige Fachdisziplin, die über ihr Ziel hinauschießt - wir sind nur ein spezielles Beispiel für die AUFBLÄHUNG und die VERSCHWENDUNG, die typisch für die Medizin in den westlichen Industrienationen sind. Kommerzielle Interessen haben das Gesundheitswesen fest im Griff. Man hat den PROFIT über das WOHL der PATIENTEN gestellt und eine nicht nachlassende Dia- gnose-, Test- und Therapiewut entfesselt. Wir [USA] geben für unser Gesundhetiswesen doppelt so viel aus wie andere Länder, können aber nur mittelmäßige Ergebnisse vorweisen. Manche unserer Bürger geraten zu Unrecht in die ärztlichen Mühlen und werden darin aufgerieben, andere werden schändlich vernachlässigt. Beide, die Medizin ebenso wie die Psychiatrie, bedürfen dringend einer Zähmung, Be- schneidung, Neuformulierung und Neuorientierung ....wir sind absolut in der Lage, die meisten Probleme des Lebens zu lösen, ohne dass die Medizin sich einmischt, zumal sie oft nur Chaos stiftet und die Situation schlimmer macht, als sie ist. Je mehr wir uns mit der umfassenden PATHOLOGISIERUNG der NORMALITÄT abfinden, desto mehr verlieren wir den Kontakt zu unseren starken Selbstheilungs- fähigkeiten und vergessen, dass es das Beste ist, nur ab und zu mal, möglichst selten, eine Pille zu schlucken ...Meine Kritik richtet sich nur gegen die Exzesse der Psychiatrie, nicht gegen ihr Herz und ihre Seele. "Rettung der Normalität" und "Rettung der Psychiatrie" sind in Wahrheit zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Psychiatrie muss davor bewahrt werden, dass sie sich überall dort hinein- drängt, wo sie sich strikt zurückhalten sollte. Die große Bandbreite menschlichen Empfindens und Verhaltens muss gegen die übermächtigen Kräfte geschützt werden, die uns einreden wollen, wir seien alle krank." Prof. Dr. Allen James Frances (b.1942) US-amerikanischer Psychiater Hat zwanzig Jahre lang an den regelmäßig aktualisierten Ausgaben des DSM (DSM-III, DSM-III-R, DSM-IV) mitgearbeitet. Er war Vorsitzender der Komission/Arbeitsgruppe, die das DSM-IV (1987-1994) ausarbeitete. DSM = "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders", "Bibel der Psychiatrie", "Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen". Es wird seit 1952 von der American Psychiatric Association (APA, Amerikanische psychiatrische Gesellschaft) herausgegeben. Aus: Allen Frances, Barbara Schaden (Übersetzerin): „NORMAL - Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen“ („Saving Normal: An Insider's Revolt against Out-of-Control Psychiatric Diagnosis, DSM-5, Big Pharma, and the Medicalization of Ordinary Life“ William Morrow 2013) Vorbemerkung S.20-22. Nachwort von Prof. Dr. Geert Keil (b.1963, Prof. für Philosophische Anthropologie an der Humboldt-Universität Berlin) DuMont Buchverlag 2.Auflage 2013 „Zu wissen, dass ich etwas ändern kann, das bedeutsam ist, verleiht mir die Kraft zu träumen und jede Hürde für überwindbar zu halten." Prof. Dr. Bernard Lown (b.1921) US-amerikanischer Kardiologe - Einer der Erfinder des Defibrillators. 1985 gemeinsam mit Prof. Dr. Yevgeniy Ivanovich Chazov (b.1929, russischer Kardiologe) Friedensnobelpreis - International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) Aus: Buch:„Heilkunst - Mut zur Menschlichkeit“ Schattauer 2015 Chancen für eine effektivere Medizin Prof. Dr.med. Joachim Bauer aus Freiburg im Breisgau [1] "Wir dürfen uns glücklich schätzen, eine hoch entwickelte Medizin zu haben. Was unsere Medizin teurer macht als nötig, ist nicht ihr hohes apparatives Niveau; es ist vielmehr die Tatsache, dass Symptome, die sich aus der LEBENSSITUATION von Patienten heraus entwickelt haben, nicht in ihrem Zusammenhang erkannt, sondern stattdessen isoliert behandelt werden. Was behandelt wird, ist dann der medizinische Befund, nicht aber der kranke Patient. Das Ergebnis ist, dass sich Symptome trotz (teurer) Behandlung und immer neuer (teurer) apparativer Diagnostik nicht bessern. Bei der Mehrheit aller Gesundheitsstörungen spielt die LEBENSSITUATION des PATIENTEN eine maßgebliche Rolle. Dies betrifft unter anderem chronische Schmerzen, Kreislauferkrankungen (insbesondere den Bluthochdruck), depressive Symptome, Angsterkrankungen, Schlafstörungen wie auch die kindlichen Aufmerksamkeits- und Verhaltensstörungen (die Aufzählung ist in hohem Maße unvollständig). [2] Vielen Medizinern, erst recht aber den medizinischen Laien fällt es schwer, zu verstehen, warum die LEBENSSITUATION des PATIENTEN auch bei körperlichen Symptomen wichtig ist. Die Antwort darauf ergibt sich aus den Erkenntnissen der modernen Neurobiologie und der psychosomatischen Medizin: Alles, was Menschen in ihrer Lebensumwelt, insbesondere in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, erleben, wird vom Gehirn nicht nur registriert, sondern auch in körperliche Signale übersetzt. [3] Das Gehirn macht aus Psychologie Biologie. Psychische Belastungen können sich daher in körperlichen Veränderungen und auffälligen organischen Befunden äußern. Allzu oft sieht die Medizin aber nur den isolierten Befund und behandelt sozusagen am Patienten vorbei. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Eine beruflich überaus tüchtige Ingenieurin Ende vierzig, die bei mir wegen einer Depression in Behandlung war, klagte zusätzlich über Schmerzenin der Muskulatur ihrer Arme und Beine. Da einige rheumatologische Blutwerte geringfügig erhöht waren, beschloss der mitbehandelnde Rheumatologe in Absprache mit mir, die Patientin zum Ausschluss einer Muskel- entzündung zu einer kernspintomographischen Untersuchung (= MRT [4])zu schicken. Als die Patientin in der Röntgen- praxis aus der Untersuchungsröhre herausgefahren wurde, hatte der Röntgenologe schon die ersten Bilder am Bildschirm hängen und sagte zu der verdutzten Frau: "Sie müssen ja schreckliche Rückenschmerzen haben!" Meine Patientin: "Ich habe keine Rückenschmerzen!" Der Röntgenologe ließ sich nicht irritieren: "Die Wirbelsäule sieht ja ganz übel aus, mit diesem Rücken können Sie in den vorzeitigen Ruhestand, da haben Sie jedenfalls meine volle Unterstützung!", worauf sie erneut beteuerte, keine Rückenschmerzen zu haben. Als die Patientin mir dies eine Woche später erzählte, machte sie am Ende eine kleine Pause und sagte dann zögernd: "Aber wissen sie, seit dieser Untersuchung habe ich manchmal plötzlich das Gefühl, ich hätte vielleicht doch Rückenschmerzen" [5] Der Röntgenologe hatte es sicher gut gemeint, es ging ihm jedoch so wie sehr vielen Medizinern: Über dem Befund hatte er den Patienten aus den Augen verloren. Was die Medizin besser, effektiver (und menschlicher) machen kann, ist eine stärkere Einbeziehung psychosomatischer Aspekte. Wir brauchen eine massive Stärkung der psychosomatischen Medizin. [6] Wenn Patienten zum Beispiel an chronischen Schmerzen leiden, sollte man beachten, dass anhaltende, schwere Belastungen in zwischenmenschlichen Beziehungen zu einer Verminderung körpereigener Opoide führen können mit der Folge, dass ein Patient plötzlich an Schmerzen leidet. Die Behandlung darf sich dann nicht nur auf die Verabreichung von Schmerzmitteln beschränken (so sehr diese dem Patienten überbrückend Linderung verschaffen können), sondern sollte psychosomatische Aspekte mit einbeziehen. Wenn Patienten an Blutdruckstörungen leiden, sollte man im Auge haben, dass Angst und Stress zur Freisetzung von Noradrenalin [NA] im Hirnstamm und von Adrenalin [A] im sympathischen Nervensystem führen mit der Folge, dass Herz und Kreislauf belastet werden. Behandelt werden sollte dann nicht nur "der Blutdruck" oder "das Herz", sondern der belastete Mensch. Wenn ein Patient eine Depression entwickelt, so sollte beachtet werden, dass das erstmalige Auftreten einer Depression, wie durch Studien nachgewiesen werden konnte, immer im Zusammenhang mit schweren beruflichen oder persönlichen Belastungen steht. Einem Patienten dann ausschließ- lich Antidepressiva zu geben, mag für den Hausarzt oder den Psychiater die bequemste Lösung sein, es ist aber nicht die beste für den Patienten. [7] Auch depressive Patienten bedürfen einer psychosomatischen Behandlung. Wenn Studien eindeutig zeigen, dass die psychotherapeutische Behandlung einer Depression das Risiko einer späteren Wiederholungsdepression senkt, die ausschließlich medikamentöse Behandlung dieses Risiko aber eher erhöht [8], dann sind Empfehlungen, depressive Patienten nur mit Medikamenten zu behandelns, fahrlässig [9]. Um Krankheiten, die sich aus der Lebenslage eines Patienten heraus entwickelt haben, zu verstehen und richtig zu behandeln, muss der Arzt die Gesamtsituation seines Patienten kennen. Dies setzt eine Arzt-Patient-Beziehung voraus, die in der heutigen Medizin in der Regel zu kurz kommt. Die Zuwendung des Arztes ist nicht nur der Schlüssel zum Verständnis und zur angemessenen Behandlung einer Krankheit. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist selbst ein Beitrag zur Heilung des Patienten. Gute Ärzte und Ärztinnen haben das - intuitiv - immer schon ge- wusst. Sich dem Patienten zuzuwenden, ihn persönlich in Ruhe körperlich zu untersuchen und daneben das vertauensvolle Gespräch mit ihm zu suchen, ist ein unverzichtbarer Teil der Medizin, die der Patient benötigt. Warum das so ist, wurde erst in den letzten Jahren durch die moderne Neurobiologie geklärt. Wie ich im zweiten Kapitel ["Menschliche Zuwendung als Medikament: Die körpereigenen Opoide S.58-60] anhand der von Jon-Kar Zubieta (an der Ann Arbo University in Michigan) durchgeführten Studien [10] dargelegt habe, aktiviert die ärztliche Zuwendung Systeme im Gehirn, die Schmerzen verringern, und neben den körpereigenen Opoiden noch weitere Botenstoffe [Dopamin, Oxytozin], die gesundheitsstabilisierende Wirkung haben. Der gute Arzt ist also zweifach wirksam: zum einen durch sein fachliches Können und die durchgeführten medizinischen Maßnahmen, zum anderen durch sein Auftreten, seine Zuwendung und durch das Vertrauen, das sich aus einer guten Arzt-Patienten-Beziehung ergibt." Prof. Dr. med. Joachim Bauer (b.1951) Deutscher Arzt, Molekular-, Neurobio-, Psychoneuroimmunologe, Internist, Psychiater und Psychosomatiker [1] Joachim Bauer: "Prinzip Menschlichkeit - Warum wir von Natur aus kooperieren" 7. Kooperation als gesellschaftliches Projekt. Chancen für eine effektivere Medizin S.218-222 Wilhelm Heyne Verlag 7.Auflage 2014 (2006) [2] Beim erstmaligen Auftreten von Symptomen ist immer auch eine gründliche organmedizinische Diagnostik notwendig. [3] Siehe Joachim Bauer: "Das Gedächtnis des Körpers - Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern“ PIPER 16. Auflage 2010 (2004) [4] MRT = Magnetresonanztomographie:Eine solche Untersuchung ergibt röntgenartige Bilder, mit denen sich alle körperlichen Strukturen - in diesem Falle ging es um die Muskeln - analysieren lassen. [5] Der Verdacht einer Muskelentzündung hat sich bei der Patientin glücklicherweise nicht bestätigt. Die Schmerzen waren ein Begleitsymptom der Depression. Die Patientin war nach einer sechsmonatigen psychotherapeutischen Behandlung geheilt. [6] Umso unverständlicher ist es daher, wenn von einigen einflussreichen Funktionären der Psychiatrie die Abschaffung der psychosomatischen Medizin gefordert wird (siehe dazu: J. Bauer, H. Kächle: "Das Fach Psychosomatische Medizin: Seine Beziehung zur Neurobiologie und zur Psychiatrie" Psychotherapie 10: 14, 2005. Die Psychiatrie, deren Behandlungsmethoden sich primär auf Psychopharmaka stützen (siehe M. Härter et al.: "Externe Qualitätssicherung bei stationärer Depressionsbehandlung" Deutsches Ärzteblatt 101: A1970, 2004, bemüht sich derzeit um eine Beseitigung der psychosomatischen Medizin, bei der nichtmedikamentöse Behandlungsmethoden im Vordergrund stehen. [7] Eine Behandlung mit Antidepressiva ist nach vorliegenden Untersuchungen nur bei einer schweren Depression zu empfehlen, sie sollte allerdings auch hier von einer psychotherapeutischen Behandlung begleitet werden. [8] siehe Joachim Bauer [3] [9] siehe dazu: J. Bauer, H. Kächle [6] [10] Jon-Kar Zubieta et al.: 1. "Placebo Effects Mediated by Endogenous Opioid Activity on μ-Opioid Receptors" The Journal of Neuroscience 25(34): 7754-7762, 2005 2. "Belief or Need? Accounting for individual variations in the neurochemistry of the placebo effect" Brain, Behavior, and Immunity 2006 Jan;20(1):15-26 "KRANKHEIT und LEBENSERWARTUNG sind zwei verschiedene Dinge!" N.N. VERMEIDE DAS REDEN ÜBER KRANKHEITEN Gedanken, die wir in uns nähren, verkörpern sich im Materiellen. Um Krankheiten zu heilen, müssen wir darum alles Denken an Krankheiten aus unserem Bewußtsein verbannen. Zum Unglück ist aber die Öffentlichkeit im höchsten Maße an Krankheits- fragen interssiert und von der Reklame [Werbung] für Heilmittel beeinflußt. Je mehr wir, im Streben nach Gesundheit, über Krankheiten nachdenken, desto mehr werden diese gestärkt. Die Werbung für Heilmittel findet nur darum Interesse, weil die meisten Menschen an die Existenz der Krankheiten glauben. Dieser Glaube wird durch die eigene Erfahrung und durch das Wissen vom Leiden anderer Menschen noch bestärkt. Das Gerede über Krankheiten führt aber praktisch dahin, dass das Leben der Menschheit weiter verdüstert wird. Als Ergebnis solcher Gespräche ist man noch fester überzeugt, dass Krankheiten etwas Naturgegebenes im menschlichen Leben seien. Der Mensch gebraucht damit seine schöpferische Kraft, um Krankheiten hervorzurufen und sich selbst zu quälen. Manche widmen sich dem Studium der kleinsten Symptome mit der größten Sorgfalt und schildern sie den andern, die darauf lauschen, als ob es Dinge von größter Bedeutung wären ... Das so durch das eigene Krankheitsdenken entstandene Theaterstück geht dann am Ende als wirkliches Drama über die Bühne. [...] Wenn in der Geisteswissenschaft vom "BEHANDELN" die Rede ist, ist damit das Entfernen der inneren Krankheits- ursachen gemeint. Wo das gelingt, erfolgt die Heilung von innen heraus, ob wir nun außerdem noch äußere thera- peutische Mittel anwenden oder nicht. Die geistige Behandlung sorgt für die Reinigung des Gedankenlebens durch Einsehen von Fehlern, durch Erzeugung innerer Harmonie und durch Pflege von Gedanken der Gesundheit. Durch die kombinierte Kraft dieser drei Faktoren werden die Störungen beseitigt, in welche die für den Zellaufbau zuständige unterbewußte Intelligenz geraten ist. Wer gesund sein will, sollte darum nie von Krankheiten sprechen und nie über körperliche Beschwerden reden. Gespräche über Krankheiten erzeugen Krankheitsgedanken, also SUGGESTIONEN [1], die auf das Unterbewusstsein einwirken. Das Ergebnis ist, dass die für den [leiblichen] physischen Aufbau verantwortliche unterbewußte Intelligenz in einen [gestörten] pathologischen Zustand gerät. Deshalb ist es vom Standpunkt der geistigen Heilweise, der philosophischen Therapie aus gesehen, nicht weise, auf Menschen zu hören, die gerne von Leiden und Krankheitssymptomen reden. Beim Hinhören auf solche Berichte wird der Zuhörer allzu leicht mit den von solchen Leuten ausgehenden Gedankenwellen [Suggestionen] infiziert und vergiftet. [...] Schilderungen des Verschwindens von Krankheiten regen suggestiv die Heilung bei anderen Menschen an. Umgekehrt wirken Beschreibungen von Krankheitssymptomen gewissermaßen infizierend auf die Hörer, und das sogar bei nicht übertragbaren Krankheiten. Wir erhalten Suggestionen der Furcht und anderer begleitender Gefühle, die entstehen, wenn wir Krankheiten bei anderen miterleben. Durch die Macht der Suggestion aber kann die Krankheit zur Tatsache werden. Je stärker jemand an das Vorhandensein einer Krankheit glaubt, desto schlimmer wird sie, wenn sie dann ausbricht. Wer also immer gesund, also frei von Krankheiten bleiben will, sollte alles Denken an Krankheiten beiseite- lassen und sein Gedankenleben so einstellen, dass die physischen Kräfte ein leichteres Wirken haben. Dazu muss man einen starken Glauben [Vertrauen] an die im eigenen Wesen wohnenden guten Kräfte haben [2]. Dann verschwinden Krankheiten zugleich mit dem Denken daran. [...] Die Behauptung, Krankheit sei die Verkörperung des Glaubens an die Existenz der Krankheit, würde mancher vermutlich Zweifel entgegensetzen. Er könnte zum Beispiel fragen, warum dann gesunde Kinder krank werden, die doch an Krankheit gar nicht denken. Kinder sind jedoch sehr aufnahmefähig für Suggestionen [1], die von den Eltern, Lehrern und Freunden kommen. Und da ist festzustellen, dass das ganze Leben der Kinder von der Furcht vor allen möglichen Krankheiten und dem Glauben daran umgeben ist. Die Kinder sind nur geschützt, wenn die Eltern einen fest verwurzelten Glauben an die GESUNDHEIT [2] haben und frühzeitig ihre Kinder die Wahrheit lehren. Bei der natürlichen wie bei der geistigen Heilweise verkörpert die für das Heilen verantwortliche innere Lebenskraft [2] direkt die suggerierten Gedanken. Die Ergebnisse sind dann nicht durch subjektive Überlegungen beeinflußt. Die Lebens- kraft des Menschen bringt gute geistige und physische Bedingungen hervor, wenn positive Suggestionen [1] aufgenom- men werden. Sie selbst unterscheidet nicht zwischen Gut und Schlecht, zwischen solchen Suggestionen, die Krebs heilen, und solchen, die ihn erzeugen. Das Gehirn nimmt die stärksten Suggestionen auf und vollzieht ihre Einordnung im Gefühlszentrum und im Unterbewusstsein. Die Naturgesetze sorgen dann selbsttätig für deren Übertragung in die Welt des Materiellen, also die "Verkörperung" der Vorstellungen. Die stärkste suggestive Macht üben nun solche Gedanken aus, die GOTT und das ABSOLUTE betreffen. Darin liegt die Erklärung für die Heilung durch den Glauben. Wenn vom Gedanklichen her entstandene Begrenzungen und Zweifel verschwinden, wie das von den Gründern der Religionen vorgelebt wird, und wenn der Kranke die felsenfeste Überzeugung gewinnt, dass GOTT ihn heilt, dann tritt die Heilung auch wirklich ein. Das gilt nicht nur für physische Krankheiten, sondern auch für finanzielle Schwierig- keiten, Familienstreitigkeiten und andere negative Verhältnisse im Leben, die eine konstruktive regelung erfordern. Wer sein Leben in eigener Verantwortung weise führen will, muss sich an folgende Regeln halten: Klar, aufrichtig und liebevoll im Reden sein, andere gut behandeln, anständig, menschenfreundlich und liebevoll leben und dem Unterbewussten gute Eindrücke und Gedanken geben. Deine Gedanken und Worte kehren in Gestalt von Suggestionen [1] zu Dir zurück. Daher reden wir nicht über Krankheiten und Fehlschläge. Durch das Sprechen über solche Übel hypnotisiert man sich und führt sich selbst auf einen der Gesundheit und dem Gelingen abträglichen Weg. Wenn man andere in solcher Weise reden hört, sollte man aufrichtig die Wahrheit sagen, dass nur das Gutsein allein Bestand und wahre Existenz hat. Jede suggestive Beeinflussung in schlechtem Sinne weise man zurück. Die niedere Welt des Zweifels, der Furcht und der Verzweiflung wollen wir hinter uns zurücklassen. Wir wollen unsere Gefühlswelt von Kummer, Ärger und allen destruktiven Kräften befreien und zur gleichen Zeit alles tun, um das Wachsen von Mut, Glaube, Dankbarkeit und andern edlen Gefühlen zu fördern. Auch für das geringste Gute, das wir jetzt haben, wollen wir dankbar sein. Lasst uns gut und stark sein. Und für das, was wir erstreben, lasst uns GOTTT [3] schon Dank sagen, ehe es uns wirklich gegeben wird. Es ist das Gesetz des Geistes, dass wir das Gute, das wir ansteben, erhalten, wenn wir diese Methode anwenden ... Wir müssen so felsenfest überzeugt sein, dass wir bejahen können: "Was wir wünschen, ist uns bereits zugesagt!" [4] . [...] Der buddhistische Grundsatz, dass der MATERIE und der ERSCHEINUNGSWELT überhaupt keine Wirklichkeit zukommt ... Leser, die zum Verstehen dieser Wahrheit erwacht sind, gewinnen ein größeres Vertrauen zu den natürlichen Heilkräften ihres Innern [2] ..." Aus: Masaharu Taniguchi [1893-1985, jap. Autor, Neugeistbewegung, Seichō-No-Ie („Heim unendlichen Lebens, der Weisheitisheit und Fülle“]: „Die geistige Heilkraft in uns: Wesen und Grundsätze und Erfolge des geistigen Heilens“ 10.Kapitel: Die Erweckung der inneren Heilkraft. Vermeide das Reden über Krankheiten, S.130f, Heilung durch das Wirken des geistigen Arztes, S.142, Die in der Hypnose zutagetretende Kraft des Unterbewusstseins, S.147, Der Grund für das Erkranken unschuldiger Kinder, S.148f, 11.Kapitel: Die Meisterung des Unterbewusstseins. Erfülle Dich beim Beten mit vollständiger Uberzeugung, S.160, 12.Kapitel: Neugeist und medizinische Therapie. Reinigung des Bewusstseins beim Gebrauch von Arzneimitteln, S.165f, Turm-Verlag 4.Auflage 1999 [Meine Ergänzungen] [1] Suggestio, -onis f.: "Übertragung bestimmter Vorstellungen auf andere Personen", Hinzufügung, Eingebung, Einflüsterung; suggerere: zuführen, unterschieben [2] "Vis medicatrix naturae" n. Hippokrates, "Eine nicht stoffliche Lebenskraft" = VITALISMUS, "Entelechie" ("Sein Ziel in sich selbst haben") n. Aristoteles, "Viriditas" n. Hildegard von Bingen, "Archaeus" n. Paracelsus, "Salutogenese" n. Aaron Antonovsky, Resilienz (Widerstandskraft) [3] "Alleins-Quelle-Ursprung-Licht", "Göttin"-"Gott", "Absolute", "Tao", "Ens a se - Das Durchsichselbstseiende" "Alpha und Omega", "Eine", "Krishna", "Brahman", "Allah", "Elohim - Der Ewige - Adonai - Mein Herr - Mein Fels - JHWH/Jahwe - Ich werde sein, der ich sein werde", "Der universelle Geist", "Der/Das Allmächtige" usw. [4] "Was wir [Memento: im positiven, edlen Sinne!] wünschen, ist uns bereits zugesagt!" "Krankheit um jeden Preis Nicht mehr der Patient entscheidet, ob es ihm gut oder schlecht geht, sondern die Gesundheits- und Wellnessindustrie. Denn aus der Sicht des Gesundheitsmarktes gibt es keine gesunden Menschen, sondern lediglich schlecht untersuchte. Denn in der Tat haben eine nicht mehr enden wollende Flut von Norm- und Sollwerten, Funktionsanforderungen an einzelne Körperteile, Seele und Geist, Tabellen und Statistiken, Prognosen und nicht zuletzt eine Unzahl von neu eingeführten Krankheitsbildern, die Chance eines Menschen, gesund zu sein, minimiert, ja sogar weitgehend ausgeschlossen. Eine zweite Erbsünde, aus der es kein Entkommen gibt. Zum Beispiel seien die Körpermaße genannt. Norm und Sollwert werden vermischt. Menschen verunsichert. Schon Jugendliche haben Angst, zu groß oder zu klein, Nicht perfekt entwickelt zu sein. Das wird umso schlimmer, als psychisches Wohlbefinden zunehmend als Folge körperlicher Perfektion dargestellt wird. Schon längst gilt nicht mehr, dass schön ist, wer sich wohl fühlt. Im Gegenteil: Wer schön ist, wird sich auch wohl fühlen. Ein simpler Satz mit starken finanziellen Folgen. Denn: Bis zum Jahr 2007 haben sich allein in Österreich 8 Prozent aller über 14-jährigen Frauen einer Schönheitsoperation unterzogen und die Zahlen steigen rapide an. Fußsohlen werden mit Hyaluronsäure unterspritzt, um längeres schmerzfreies Tragen von High-Heels zu ermöglichen. Das Leben bekommt dank der Behandlung mit Botulinumtoxin keine Möglichkeit mehr, sich in der Mimik eines Menschen zu manifestieren. Maskenartige Schönheit für alle, ein fernsehwirksamer Millionenmarkt. Wenn es die Gesundheit des Einzelnen nicht mehr gibt, nicht mehr geben kann, dann ist die Zeit eines Gesundheitssystems mit all seinen Verzweigungen, Ausuferungen und Vernetzungen gekommen. Ein Moloch [grausame Macht], vor dessen Zugriff es kein Entrinnen geben kann. Und auch nicht geben soll. Letzte Schlupflöcher werden gestopft, indem bei jeder markanten Lebensstation ein ärztliches Zeugnis vorgelegt werden muss. Sich gesund zu fühlen, ist nur eine Ausrede für Systemverweigerer. Es sei denn, für eine Handvoll Verweigerer, Individualisten, Querdenker und Querleber, bis zum Tod sie selbst bleibende Menschen. Erst der kranke oder der krank gemachte Patient kann die Grundlage gesunder Geschäfte werden. Also trachtet die Gesundheitsindustrie danach, das Bewusstsein des Einzelnen für mögliche Fehler an Leib und Seele zu wecken. Und nicht mehr einschlafen zu lassen. Das soll nicht heißen, dass zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen [nicht] in Frage gestellt werden sollten. Aber die beste Vorsorge, der beste Impfplan und die beste medizinische Betreuung können nichts an der Endlichkeit des Lebens ändern. Und noch hat niemand bedacht, welche psychischen Folgen die Inflation des Krankheitsbegriffes hat. Wenn man davon ausgeht, dass Krankheit unter anderem auch vermehrte Zuwendung und Rücksichtnahme der Umgebung bedeutet, so werden sich die Menschen in Zukunft mit Krankheiten gegenseitig überbieten müssen. Denn irgendwie ist ja niemand ganz gesund." Aus: Günther Loewit: „Der ohnmächtige Arzt. Hinter den Kulissen des Gesundheitssystems“ Kapitel: Das Leben als Wirtschaftsgut. Unterkapitel: Das Geschäft mit der Gesundheit. Krankheit um jeden Preis Seite 28-30 HAYMON 2010 [Meine Ergänzungen] Thomas Szasz: Die Definition von Krankheit >>> "What is Overdiagnosis? Detection of an asymptomatic "abnormality" or "condition" that either A) will never progress (or will, in fact, regress) or B) will progress slowly enough that the patient dies of other causes before symptoms appear. The Conundrum: Clinicians can never know who is overdiagnosed at the time of diagnosis. Thus we tend to treat everybody - thereby producing the major harm of overdiagnosis: ♦ treatment that cannot help (because there is nothing to fix) ♦ treatment that can only lead to harm Overdiagnosis can only be confirmed in an individual if that individual is a) never treatet and b) goes on to die from some other cause. Note: Overdiagnosis is typically a side-effect of what we've been tought to believe is right way to practice medicine: Detect and treat disorders before they cause problems." [1] "Wie bereits erwähnt, glauben die meisten Leute, mehr Diagnosen - vor allem mehr Frühdiagnosen - seien gleichbedeutend mit besserer Gesundheitsfürsorge. Die Argumentation lautet etwa so: Mehr Diagnosen bedeuten mehr Therapien, und mehr Therapien bedeuten mehr Gesundheit. Das mag auf einige Patienten zutreffen. Aber die Sache hat einen Haken: Mehr Diagnosen führen womöglich dazu, dass Gesunde sich verletzlicher und, paradoxerweise, weniger gesund fühlen. Mit anderen Worten: Übertriebenes Diagnostizieren kann bewirken, dass wir uns krank fühlen. Und mehr Diagnosen führen zu Therapieexzessen - gegen Probleme, die uns kaum oder gar nicht beeinträchtigen. Dagegen kann eine exzessive Therapie tatsächlich schaden, und exzessives Diagnostizieren kann Behandlungen zur Folge haben, die schlimmer sind als die Krankheit selbst. In diesem Buch -"Die Diagnosefalle - Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden" geht es vor allem um die "Überdiagnose". Das Wort erweckt den Eindruck, als bedeute es lediglich "übertriebenes Diagnostizieren"; aber es hat auch eine präzisere Bedeutung. Eine Überdiagnose ["Zufallsbefund"] liegt vor, wenn bei einem Patienten eine Krankheit festgestellt wird, die [der] niemals Symptome auslöst oder zum Tod führt ... Das Vorhandensein oder das Fehlen von Symptomen ist ein wichtiger Aspekt, wenn wir die Bedeutung einer Anomalie beurteilen wollen, da Symptome zu den Faktoren gehören, die ernste Probleme am zuverlässigsten vorhersagen. Das soll nicht heißen, dass alle Symptome Vorboten einer verhängnisvollen Entwicklung sind. Aber wenn sowohl Anomalien als auch Symptome vorhanden sind, ist eine negative Entwicklung wahrscheinlicher als bei symptomlosen Anomalien. Genau genommen leiden Patienten mit Symptomen bereits an einer negativen Entwicklung, und darum bitten sie einen Arzt um Hilfe. Ganz anders liegt der Fall bei den Menschen, denen es derzeit gut geht [die symptomlossind], die aber in Zukunft krank werden könnten. Der Arzt bietet seine Hilfe an; aber es ist schwer, jemandem zu helfen, der gesund ist, und es ist leider einfach, Gesunden das Gefühl zu vermitteln, es gehe ihnen schlechter ["Das Geschäft mit der Angst"] ... Eine Überdiagnose kann nur vorkommen, wenn ein Arzt bei einem Patienten eine Diagnose stellt, der keine damit zusammenhängenden Symptome aufweist. Das ist möglich, wenn ein Arzt Krankheiten bewertet, die nicht miteinander zusammenhängen, und dabei auf unerwartete Diagnosen stößt; aber es geschieht meist, weil Ärzte gerne frühe Diagnosen stellen, entweder als Teil einer planmäßigen Vorsorgeuntersuchung oder bei Routineuntersuchungen. Eine Überdiagnose ist also die Folge der Begeisterung für die Früherkennung [Screening]. Ärgerlich ist, dass wir Ärzte nicht wissen, ob ein Patient Opfer einer Überdiagnose wurde, es sei denn, er verzichtet auf eine Behandlung, lebt bis zu seinem Tod symptomfrei und stirbt an einer anderen Krankheit. Aber wir wissen, dass die Gefahr von Überdiagnosen steigt, wenn wir bei Gesunden immer mehr Diagnosen stellen. Die Überdiagnose ist ein relativ neues Problem in der Medizin Früher gingen die Menschen nicht zum Arzt, wenn sie sich wohlfühlten - sie warteten meist, bis Symptome auftraten. Zudem wurden Gesunde von den Ärzten nicht ermuntert, sich untersuchen zu lassen. Deshalb stellten Ärzte weniger Diagnosen als heute. Aber das Paradigma [der Denkrahmen] hat sich geändert. Das Ziel ist die Früherkennung. Die Menschen suchen einen Arzt auf, wenn es ihnen gut geht, und die Ärzte wollen Krankheiten früher entdecken. Darum werden mehr Krankheiten im Frühstadium als im Spätstdium entdeckt. Wir stellen also mehr Diagnosen, auch bei Menschen ohne Symptome. Bei einigen dieser Menschen werden sich Symptome entwickeln, bei anderen nicht. Die Letzteren sind Opfer von Überdiangosen. Das Problem der Überdiagnose ist also darauf zurückzuführen, dass wir heute mehr Menschen untersuchen sowohl Kranke (mit Symptomen) als auch Menschen mit [Anomalien] Abweichungen von Normalwerten (aber ohne Symptome). Verschlimmert wird das Problem dadurch, dass die Definition des Begriffs "Anomalie" [Abweichung, Unregelmäßigkeit, Abnormalität] immer weiter gefasst wird. Mit diesem Buch will ich aufzeigen, wie es zu Überdiagnosen kommt, warum diese gefährlich sein können und wo die Ursachen liegen. Ich hoffe, ich kann Ihnen helfen, kritisch darüber nachzudenken, ob es wünschenswert ist, vorzeitig zu einem Patienten gemacht zu werden. Warum sollten Sie sich mit ÜBERDIAGNOSEN beschäftigen? Lassen Sie es mich klar und deutlich ausdrücken: Weil Ärzte nicht wissen, bei wem eine Überdiagnose vorliegt und bei wem nicht, und weil die Opfer einer Überdiagnose oft behandelt werden. Aber diese Patienten profitieren nicht von einer Behandlung. Nichts muss in Ordnung gebracht werden, weil sie weder Symptome bekommen noch an ihrem [scheinbaren] Problem sterben werden. Sie brauchen also keine Therapie. Eine Therapie kann ihnen nur schaden. Und die schlichte Wahrheit lautet: Fast alle Behandlungen können irgendwelche Schäden anrichten ... Wir drei [die Autoren] sind akademische Ärzte; wir sehen Patienten, unterrichten Studenten und forschen. Aber wir sind auch Menschen und somit potentielle Patienten. Als Menschen machen wir uns Sorgen über die unaufhörliche steigende Zahl von Ärzten und den damit verbundenen Drang, Menschen zu Patienten zu machen. Die Verschmelzung dieser beiden Blickwinkel - des ärztlichen und des persönlichen - liefert die Motivation für diese Buch ... Dieses Problem ["Überdiagnosen", "Diagnosen ohne Symptome", "Diagnosen bei Gesunden"] betrifft fast alle Krankheiten. Es hat dazu geführt, dass Millionen von Menschen ohne Not [ohne Beschwerden, Symptome] zu Patienten gemacht worden sind und die Unannehmlichkeiten und finanziellen Bürden erdulden mussten, die mit Überdiagnosen einhergehen. Es belastet unser ohnehin überlastetes Gesundheitssystem erheblich. Und alle Faktoren, die zu diesem Dilemma geführt haben und es verschärfen - Gewinnstreben, echte Überzeugung, juristische Bedenken, Meldungen in den Medien und sich selbst verstärkende Kreisläufe -, sind mächtige Hindernisse, wenn wir das Problem lösen wollen. Es ist verführerisch, daraus einen einfachen Schluss zu ziehen: Gehen Sie den Ärzten aus dem Weg. Aber das wäre ein Trugschluss. Denken Sie daran, was ich in der Einleitung sagte: Die Frage lautet nicht: Sollen Sie zum Arzt gehen und eine Diagnose stellen lassen, wenn Sie krank sind? Die Medizin hat Kranken eine Menge zu bieten. Die Frage lautet: Was soll geschehen, wenn Sie gesund [symptomlos] sind? Wie intensiv sollen Ärzte nach [symptomlosen Anomalien] Abweichungen von der Norm suchen? Wir alle müssen dem Dogma der Früherkennung skeptischer (mit "gesunder Skepsis") begegnen ("Früherkennung ein zweischneidiges Schwert"). Mir ist klar, dass dies einen wirklich schwierigen Paradigmenwechsel [-erweiterung] bedeuten könnte. Fast alle sagen, es sei immer im Interesse der Menschen, gesundheitliche Probleme früh zu entdecken. Das kommt uns einfach selbstverständlich vor. Das Gegenteil zu behaupten scheint gefährlich und unverantwortlich zu sein. Doch manchmal müssen sich wissenschaftliche Paradigmen [Denkrahmen] eben ändern [erweitern] ... Aber das Paradigma der Frühdiagnose ("je früher Anomalien entdeckt werden, desto besser") hat nicht immer recht, und die Wahrscheinlichkeit, dass es recht hat, wird geringer, wenn wir nach immer früheren Krankheitsformen [screenen] suchen ... Das Paradigma der Früherkennung wird auch außerhalb der Ärzteschaft propagiert, und wird heute von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert. Deshalb ist es noch schwerer zu ändern ... Es gibt viele Möglichkeiten, Statistiken zu manipulieren, damit Krankheiten allgegenwärtig erscheinen oder damit jeder gefährdet zu sein scheint, obwohl meist nur eine kleine Gruppe betroffen ist ... Es stimmt, dass Patienten, bei denen die Diagnose früh erfolgt, im Durchschnitt länger leben als jene, bei denen die Krankheit spät diagnostiziert wird. Und es ist wahr, dass die Überlebens- rate bei vielen Krankheiten in den letzten fünfzig Jahren sich drastisch verbessert hat. Aber das beweist nicht, dass die Früherkennung nützlich ist. Eine geringere Sterblichkeit kann darauf zurückzuführen sein, dass jüngere Menschen untersucht wurden - sie sterben nicht später, aber ihre Überlebenszeit vom Zeitpunkt der Diagnose an ist länger. Die Zahlen können auch ein Produkt der Überdiagnose sein: Man hat Menschen untersucht, die ohnehin nie an der Krankheit gestorben wären ... Beliebtheitsparadoxon der Vorsorgeuntersuchung (Screening): Je mehr Überdiangosen sie produziert, desto mehr Menschen sind davon überzeugt, dass sie ihr das Leben verdanken, und desto populärer wird sie ... Für Ärzte ist es leicht, ihren Patienten Angst einzujagen, wenn sie Untersuchungen ablehnen. Aber das bedeutet nicht, dass die Patienten einen gefährlichen Kurs einschlagen. Obwohl manche Ärzte die Nachteile von Untersuchungen - unter anderem den Zeitaufwand, die Unannehmlichkeiten,die emotionale Belastung und körperliche Schäden - herunterspielen, sind diese Nachteile sehr real ... Sowohl Ärzte als auch Patienten sollten lernen, dass es erlaubt ist, Untersuchungen abzulehnen ..." Aus: Prof. Dr. H. Gilbert Welch (M.D., M.P.H.), Dr. Lisa Schwartz, Dr. Steve Woloshin: “Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden” Einführung: Unsere Diagnosebegeisterung. Der Zweck dieses Buches. Seite 18ff, 22, Fazit: Mit weniger Diagnosen nach Gesundheit streben. S. 281, 284, 286, 291f, 296; Übersetzung: Martin Rometsch, 1. Auflage RIVA 2013 („Overdiagnosed: Making People Sick in the Pursuit of Health“ Introduction, Beacon Press 2012) [1] www.youtube.com/watch?v=C-DnznA0m9kH. Gilbert Welch: Overdiagnosed - Making People Sick in the Pursuit of Health at the February 2012 McDougall Advanced Study Weekend, in Santa Rosa, CA Warum die Angst wählen? "Einst saß in Indien ein weiser alter Mann unter einem Baum. Da kam der Seuchengott des Weges. Der Weise fragte: "Wohin gehst du? Und der Seuchengott antwortete: "Ich gehe nach Benares, wo ich hundert Menschen töten werde." Drei Monate später kam der Dämon auf seiner Rückreise wieder bei dem alten Weisen vorbei. Der Weise sprach: "Du sagtest mir, du wolltest in Benares hundert Menschen töten, doch Reisende haben mir berichtet, es wären zehntausend geworden." Der Seuchengott aber sagte: "Ich tötete nur hundert. Die anderen hat die Angst umgebracht." Wenn man lernt, seine Gedanken zu beherrschen, und allmählich spirituelle Erfahrungen macht, vermindern sich alle Ängste und damit auch die Wirkungen der Angst. Ich nehme an, jeder Mensch spürt zuweilen ein beklemmendes Stechen in der Herzgegend oder ein gleichsam beunruhigendes Gefühl an anderen Körperstellen. Ein kluger Mensch wird in einem solchen Fall nicht gleich in blinde Panik geraten und sich vielleicht sogar vor dem Arztbesuch fürchten, weil er Angst hat, dort die schlimmsten Neuigkeiten zu erfahren. Vielmehr wird er die Welle der Panik unter Kontrolle bringen, indem er sich ganz ruhig sagt, dass durch ihn die Gesetze der universellen Harmonie wirken können, mit denen er durch rechtes Handeln in Einklang kommen möchte. Er wird seinen Geist auf die unend- liche Vollkommenheit in ihm und um ihn richten. Und er wird sich des Gesetzes der Schöpferkraft erinnern, dessen wunderbare Eigenschaften er an seiner Seele, seinem Geist und seinem Körper dankbar erfährt. Vielleicht wird er sich dann nach einigen Tagen daran erinnern, dass da vorübergehend ein beunruhigendes Gefühl war." Aus: Frederick Bailes (1889-1970, neuseeländisch-amerikanischer Autor, Theologe, Alternativmediziner, Neugeist Bewegung): „Lebe schöpferisch. In sieben Tagen neue Kräfte wecken“ (Hidden Power for Human Problems 1957) 5.Kapitel: Warum die Angst wählen? S.89 Peter Erd 1989 (Neuausgabe des 1986 erschienen Buches „Ich lebe glücklich - In 7 Tagen ein neuer Mensch“) "Wenn es um das menschliche Leben geht - und somit auch, wenn die Sozialwissenschaften das menschliche Leben zu erforschen und zu erklären versuchen -, sehen wir uns in einem komplizierten Zusammenwirken zwischen Beobachter und Beobachtetem konfrontiert. Schon allein dies zeigt eigentlich, was [Carl Raimund] Popper [1902-1994] so treffend das "Elend des Historizismus" [1, 1a] genannt hat. Insbesondere kann die Voraussage eines sozialen Ereignisses bewirken, dass eben dieses Ereignis eintritt oder nicht eintritt. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung ist ein ziemlich aussagekräftiges Symbol dafür, welche Gefahren mit dem Treffen von Voraussagen bezüglich sozialer Zusammenhänge verbunden sind. Angesichts der eklatanten Unzulänglichkeiten historizistischer Theorien erhebt sich die Frage, warum sie trotzdem von so vielen Menschen vertreten werden. Der Grund scheint zu sein, dass historizistische Theorien die Funktion von Religionen erfüllen, die sich als Wissenschaft verkleiden. Popper hat dies wie folgt beschrieben: "Fast sieht es so aus, als versuchten die Historizisten, sich für den Verlust einer unwandelbaren Welt dadurch zu entschädigen, dass sie sich an den Glauben klammern, der Wandel sei voraussagbar, weil er einem unerbittlichen Gesetz des weltgeschichtlichen Ablaufs unterliegt"" (Popper 1971, S. 126) [1a] Aus: Thomas Stephen Szasz (1920-2012): „Geisteskrankheit - ein moderner Mythos: Grundlagen einer Theorie des persönlichen Verhaltens“ Einleitung: Kausalität und Historizismus in der modernen Psychiatrie. S. 38 ff. Übersetzer: Theo Kierdorf u. Hildegard Höhr. Vorwort Fritz. B. Simon; Carl-Auer 1. Auflage 2013 (The Myth of Mental Illness. Foundations of a Theory of Personal Conduct 2010 (1974) [1] Historizismus [K. Popper (1a)]: Kurz gesagt handelt es sich beim H. um eine Lehre, der zufolge historische Ereignisse vollständig durch das, was ihnen vorausgegangen ist, determiniert werden, so wie physikalische Ereignisse durch ihre Antezedenzen [Ursachen, Bedingungen, Voraussetzungen] bestimmt werden. - Das "Elend des Historizismus" liegt im Determinismus begründet. [S. 38] [1a] Carl Raimund Popper: "The Open Society and Its Enemies" London Routledge 1945. dt. : "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" 2 Bde, Bern Franke 1957/58 "Philosophy of Science: A Personal Report". In: Cecil Alec Mace [1884-1971] (ed.): British Philosophy in the Mid-Century. New York Macmillan 1957, pp 153-191 "Das Elend des Historizismus" Tübingen Mohr 1971, 3.verb. Aufl. (engl. Orig. "The Poverty of Historicism" London School of Economics and Political Science 1944/45 [Ergänzungen] Therapeutische Regeln für die Masse der nicht exakt diagnostizierbaren Fälle Aus: Robert Nikolaus Braun, Waltraud Fink, Gustav Kamenski: „Lehrbuch der Allgemeinmedizin. Theorie, Fachsprache und Praxis“ 13.Kapitel: Therapie an der ersten ärztlichen Linie. 13.1 Keine Diagnose - Was tun? Seite 152Berger Verlag Horn/Wien 2007 Siehe LEISTUNGEN: Angewandte Allgemeinmedizin und Geriatrie >>> Die Allgemeinärzte stellen heute überall, nachdem sie den Patienten befragt und untersucht haben, eine so genannte DIAGNOSE. Dabei weiß im Innersten wohl jeder Arzt, dass damit Krankheiten noch lange nicht eindeutig erkannt wurden [~90%]. Er glaubt sich aber dazu gezwungen, den Namen einer (vermuteten) Krankheit zu nennen. Wen stört es heute, wenn verschiedene Ärzte bei derselben Gesundheitsstörung verschiedene Krankheiten "diagnostizieren" und damit auch vielfach verschiedene Behandlungen einleiten? Versucht man von dieser Situation auf ein funktionsgerechtes Denken überzugehen, so ergeben sich daraus für die Masse der nicht exakt diagnostizierbaren Fälle folgende therapeutische Regeln: Regel I Bei diagnostisch nicht eindeutiger Lage ist es viel wichtiger, unter Einbeziehung des Kranken und seiner Familie weiter abwartend offen bleibend zu beobachten und zu untersuchen, als eine medikamentöse Behandlung einzuleiten. Der Arzt darf nicht so handeln, als hätte er es mit einem abgeschlossenen Problem zu tun, wenn es sich hauptsächlich um ein offenes handelt. Siehe: " Udenotherapie" n. Prof. Dr.med. Eugen Bleuler in ZITATE: Asmus Finzen: Warum werden unsere Kranken gesund? >>> Werner Schneyder / Krebs - Eine Nacherzählung >>> Regel II Es ist zu bedenken, dass eine verfrühte und falsche diagnostische Festlegung und eine darauf basierende Therapie für den Patienten tödliche Folgen haben kann. Regel III Wenn bei Neuen Fällen keine klare Krankheitserkennung vorliegt, darf die Entwicklung einer zunächst nicht vermuteten bedrohlichen Erkrankung nicht durch ein potentes Mittel verschleiert werden. Der abwartend offen gelassene Fall muss unbeeinflusst offen bleiben, solange noch der geringste Verdacht besteht, es könnte ein atypischer Abwendbar gefährlicher Verlauf dahinter stecken. Jedoch, unter Beibehaltung der diagnostischen Aufmerksamkeit, darf dem Patienten eine suffiziente Schmerztherapie nicht vorenthalten werden (z.B. beim Polytrauma, bei einer vermuteten Nierenkolik). Regel IV Besondere Aufmerksamkeit soll auch bei der praxisüblichen symptomatischen Behandlung von Alten Fällen walten: Wird beispielsweise bei einem wohlbekannten Nierenstein-Patienten ohne weiteres ein starkes Spasmolytikum und Analgetikum verabreicht, so kann dadurch eine in Wirklichkeit neu beginnende Appendizitis zunächst verschleiert werden. Die Allgemeinärzte sollten sich diese Regeln immer vor Augen halten. So mancher Verlust an Menschen geht letztlich auch auf das Konto des Zeitverlustes durch Einleiten einer falschen Therapie zurück. Das "So-tun-als-ob" man Krankheiten richtig erkannt hätte, obwohl es in Wirklichkeit nicht zutrifft, birgt große Gefahren in sich. Der dogmatische Zwang zum Diagnosestellen bildet eine schlechte Grundlage für die Therapie in der Allgemeinmedizin. Die Basis soll vielmehr das Abwartende Offenlassen und eine darauf abgestimmte Behandlung sein, die weder nennenswert schaden noch verschleiern kann. Aus: Robert Nikolaus Braun, Waltraud Fink, Gustav Kamenski: „Lehrbuch der Allgemeinmedizin. Theorie, Fachsprache und Praxis“ 13.Kapitel: Therapie an der ersten ärztlichen Linie. 13.1 Keine Diagnose - Was tun? Seite 152. Berger Verlag Horn/Wien 2007 Siehe LEISTUNGEN: Angewandte Allgemeinmedizin & Geriatrie >>> Univ.-Prof. OMR Dr.med. Robert Nikolaus Braun [1914 Wien - 2007 ebenda] - Österreichischer Pionier der wissenschaftlichen berufstheoretischen Allgemeinmedizin - schreibt in seinem Buch „Angewandte Medizin und wissenschaftliche Grundlagen" FACULTAS 2004 u. a: "Dogmen und Fiktionen - Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft Wahrscheinlich glauben ÄrztInnen, sie dächten ohnedies selbständig kritisch. Das wäre ja auch ein Ziel der Schul- und Hochschulmedizin. Die Wirklichkeit freilich sieht anders aus. Wie wäre es sonst möglich gewesen, dass, seitdem die Medizin im 16. Jahrhundert [Anatom Andreas Vesal (1514-1564)] zur Wissenschaft geworden war, keinem der zahllosen berufstätigen MedizinerInnen - Abertausende WissenschaftlerInnen eingeschlossen - das Fehlen der wissenschaftlichen Bearbeitung der angewandten Medizin [Allgemeinmedizin] auffiel? Die Ergebnisse aus den traditionellen Forschungsbereichen decken die Bedürfnisse bei der ärztlichen Berufsausbildung ja nur zum Teil ab. Trotzdem waren und sind ÄrztInnen überzeugt, davon, Heilkunde auf dem Boden der Wissenschaft auszuüben. In Wirklichkeit jedoch gibt es zwar viel Wissen über Krankheiten, Krankheitsursachen, Diagnostika und Therapeutika. Wie man aber in der Praxis in den wenigen verfügbaren Minuten mit 30.000 bis 40.000 Krankheiten umgehen soll, darüber wissen weder Lehrende noch Lernende Bescheid. Hier regiert offensichtlich nicht aus der Realität heraus geschaffenes Wissen, sondern die individuelle Versuch-und-Irrtum-(trial and error)-Methode. Dogmen und Fiktionen - Das Dogma vom "Diagnose-Stellen-Müssen" Was den fehlenden wissenschaftlichen Boden für die angewandte Medizin betrifft, so braucht man nur an den Begriff Diagnose zu denken. Von alters her sollte er das sichere Erkennen und Benennen einer Krankheit bezeichnen. Was aber üblicherweise zum Beispiel auf den unzähligen in der Praxis verwendeten Formularen als "Diagnose" eingetragen wird, hat meistens mit dem überzeugenden Zuordnen zu einer Krankheit nichts zu tun. Vielmehr wird bei den zahllosen nicht exakt diagnostizierbaren Fällen eine Krankheitserkennung mittels diverser mehr oder weniger wissenschaftlicher Begriffe sehr oft bloß vorgetäuscht. Nach außen hin wird das Dogma vom obligaten Diagnosestellen scheinbar erfüllt. In Wirklichkeit betrügen sich die ÄrztInnen selbst. Denn der Begriff Diagnose wird bis zur Inhaltslosigkeit überdehnt. Da das alles routinemäßig abläuft, konnte fälschlicherweise der Eindruck entstehen, die diversen (falschen) Dogmen und Fiktionen, welche das ärztliche Denken bestimmen, entstammten der Wissenschaft. Trotzdem wurde vor [Nikolaus Robert] Braun von keiner Seite her eine Erforschung der angewandten Medizin [Allgemeinmedizin] ins Auge gefasst, obgleich sich auf andere Weise die "Vor"-Wissenschaftlichkeit in der angewandten Medizin nicht hätte beenden lassen. Aber statt auf den neuen Erkenntnissen aufzubauen, wurden die neue Fachsprache und die definierte Nomenklatur nicht nur ignoriert, sondern sogar bekämpft. Dabei gab es weltweit keine einzige Publikation, die Brauns Forschungen widerlegt oder einen alternativen Weg zur wissenschaftlichen Erschließung der angewandten Medizin aufgezeigt hätte. "Es geht auch so" war und ist die übliche, bequeme Begründung dafür, wenn man bei der fragwürdigen, "selbstgestrickten" Diagnostik bleiben will. Leere Worthülsen - Vermutungsdiagnose Sieht man die "Prinzipien der Medizin" von R. Gross [1] und M. Löffler penibel durch, so stößt man darauf, dass dieses Werk mindestens 64 unterschiedliche Verknüpfungen mit dem Begriff Diagnose enthält. Gross zieht diese Vielfalt einem "gehärteten" Begriff Diagnose vor. Eine überzeugende Begründung dafür blieb er schuldig. Greifen wir aus dieser Vielfalt das weit verbreitete Wort "Vermutungs-Diagnose" heraus: Wie steht es damit? Die Ankoppelung von "Diagnose" ändert an der Bedeutung des Wortes Vermutung nichts. Eine Vermutung bleibt eine Vermutung. Der einzige Effekt ist die Entwertung der Diagnose. Von der Sicherheit, welche die Diagnose ausdrücken sollte, geht nichts auf die Vermutung über. Diagnose bedeutet in "Vermutungs-Diagnose" nicht mehr als eine unverbindliche Endung wie "-ung". Selbstverständlich wird auch das Dogma vom Erkennen der Krankheiten nach jeder Beratung nicht weniger utopisch, wenn man den Bezeichnungen diagnostisch offener Fälle das Wort "Diagnose" hinzufügt. Durch eine "Vermutungs-Diagnose" macht man sich "ein X für ein U" vor. Mit den übrigen 63 in den "Prinzipien der Medizin" stehenden Verknüpfungen ("Erstdiagnose", "vorläufige Diagnose" etc.) sieht es nicht anders aus. Das Problem, wie man nicht exakt diagnostizierbare Fälle befriedigend benennen könnte, lässt sich keinesfalls dadurch lösen, dass die gegebene Unklarheit mit einer nicht vorhandenen Sicherheit in einem zusammengesetzten Hauptwort verknüpft wird. [1] Rudolf Gross, Markus Löffler: „Prinzipien der Medizin – Eine Übersicht ihrer Grundlagen und Methoden“ SPRINGER 1998 Eine korrekte Terminologie - Härtung der Diagnose und Klassifizierung Braun [1] hat schon 1961 beschrieben, wie sich der Begriff Diagnose "härten" lässt. Vorbedingung dafür war die Erkenntnis, dass man für die Erschließung neuer Forschungsgebiete u. a. neue Begriffe und neue Ordnungen braucht. So sind Verknüpfungen mit dem Wort Diagnose ungeeignet, diagnostisch offene Beratungsergebnisse zu benennen. Eine neue Ordnung Brauns betreffend Beratungsergebnisse umfasst nur vier Kategorien: 1. Symptom-Klassifizierungen(~25%) 2. Klassifizierungen von Symptomgruppen (~25%) 3. Klassifizierungen von Krankheitsbildern (~40%) 4. "hieb- und stichfeste" Diagnosen (~10%) Siehe LEISTUNGEN: Angewandte Allgemeinmedizin & Geriatrie >>> Die 4-Arten von Beratungsergebnissen (BEs) nach Braun pdf >>> Die 2-dimensionale Systematik für allgemeinärztliche Beratungsergebnisse nach Braun pdf >>> Die 12-Fenster der 2-dimensionalen Systematik für allgemeinärztliche Beratungsergebnisse pdf >>> Die Haupt-Zielrichtungen - Respektanda der allgemeinärztlichen Programmierten Diagnostik bei Uncharakteristischem Fieber pdf >>> Nach dieser "Härtung" bedeutet Diagnose ausschließlich die "überzeugende Zuordnung von Symptomen und anderen Krankheitszeichen zu einem wissenschaftlichen Krankheitsbegriff". Jede der 64 Verknüpfungen von Gross lässt sich ihrem Inhalt entsprechend analysieren und sodann allein aufgrund der Fakten vernünftig und zwanglos in eine der obigen Kategorien 1 bis 3 einordnen. Damit erübrigt sich das Wort Diagnose in der Zusammensetzung. Auf diese Weise stellen mit Diagnose gekoppelte Wörter gegenwärtig lediglich Relikte aus der "vor"- wissenschaftlichen Ära der angewandten Medizin dar. [1] RN Braun: "Feinstruktur einer Allgemeinpraxis. Diagnostische und statistische Ergebnisse" Schattauer 1961 Eine korrekte Terminologie - Diagnose und Diagnostik Hegglin [1] nannte sein Buch "Differentialdiagnose Innerer Krankheiten". "Differentialdiagnose" war seinerzeit und ist auch heute noch ein gängiger Ausdruck. Gegenwärtig gibt es in vielen Lehrbüchern bei der Beschreibung von Krankheiten so betitelte Unterabschnitte ... "Differentialdiagnose" ist eine nicht weniger groteske Wortschöpfung wie "Vermutungsdiagnose". Wird doch damit unzulässigerweise ein Handlungsbegriff (Differential) mit einem Bezeichnungsbegriff (Diagnose) gekoppelt. Dabei allerdings bedeutet hier "Diagnose" gar keine Bezeichnung. Gemeint ist hier vielmehr ebenfalls eine Handlung, nämlich die Diagnostik. Aus Nachlässigkeit hat es sich im deutschsprachigen Gebiet aber schon lange - wie übrigens auch im angloamerikanischen Sprachraum - eingebürgert, "Diagnose" unnötigerweise auch als Alternative für Diagnostik zu benützen. Dabei könnte man sich mit beiden Begriffen, wenn sie richtig verwendet werden, klar ausdrücken. Wie die Dinge gegenwärtig liegen, wird "Diagnose" kaleidoskopartig u. a. einmal im Sinne eines Benennens und ein anderes Mal im Sinne einer Handlung verwendet. Bedauerlicherweise sieht es mit der Nomenklatur in der angewandten Heilkunde vielfach auch sonst verwirrend aus. Trotzdem plädierte bisher kein Verantwortlicher dafür, diesbezüglich durch spezielle Forschungen endlich für Ordnung zu sorgen ... [1] Robert Marquard Hegglin [1907-1969]: "Differentialdiagnose innerer Krankheiten" Thieme 11.Auflage 1969 (1952) Was ist das nun, eine "Fehldiagnose"? Davon wird gesprochen, wenn sich eine diagnostische Festlegung als irrig erweist, d.h. wenn nicht die "diagnostizierte", sondern eine andere Krankheit vorgelegen hat. Bei unseren Ausführungen zur "Vermutungsdiagnose" haben wir schon festgestellt: Sämtliche Koppelungen mit dem Wort "Diagnose" sind unzulässig beziehungsweise sinnlos. Bei der "Fehldiagnose" handelt es sich um die Folgen eines "vor"- wissenschaftlichen Umgehens mit dem Problem, wie man auch in unklarer Lage dem Dogma vom Diagnosestellen nach jeder Beratung gerecht werden kann. Man legt sich trotzdem auf das Vorliegen einer bestimmten Krankheit fest. Eine überzeugende (richtige) Zuordnung zu einem wissenschaftlichen Krankheitsbegriff - nämlich eine wirkliche Diagnosestellung - kann nicht gleichzeitig falsch sein. Darüber wurde und wird nicht weiter nachgedacht. Hier wird als Lückenbüßer der Begriff der "Fehldiagnose" verwendet. Er verkörpert ebenso ein Geständnis wie eine Beruhigung: "So etwas kommt eben vor"... Mit der "Härtung" des Begriffs Diagnose dagegen hören sich alle Verknüpfungen mit dem Wort "Diagnose" - die "Fehldiagnose" eingeschlossen - eo ipso [von sich aus] auf ... Wissenschaft und Arztberuf - Eine irreführende Nomenklatur Was herauskommt, wenn man wissenschaftliche Probleme nicht entsprechend anpackt, zeigt die Geschichte der Internationalen Statistischen Klassifikation (ICD [1]). Die Personen, welche diese Systematik geschaffen haben, gingen nicht von voll vergleichbaren Statistiken der Todes- beziehungsweise der Erkrankungsfälle aus, wie sie das hätten tun müssen. Denn wenn man eine Menge mittels einer Systematik aufteilen will, muss die Menge strenge Voraussetzungen erfüllen, und ihr darf zum Beispiel nur eine einzige Nomenklatur zugrunde liegen. Das taten die InitiatorInnen der ICD aber nicht. Vielmehr schlüsselten sie die Todesursachen ("Mortalität") einfach nach Krankheiten beziehungsweise nach medizinischen Fächern auf. Gewiss gab es seinerzeit noch gar keine brauchbaren Statistiken von Todes- (und Erkrankungs-) Fällen. Aber vorher berufstheoretisch zu forschen (womit sie weiter gekommen wären) wäre ihnen ebenso möglich gewesen wie Braun [2], und das noch dazu viel früher. Damit wären sie, bei richtiger Planung, zu verwendbaren Ziffern gelangt. Nachdem die am "grünen Tisch" geschaffene ICD allgemein eingeführt war, konnte es keinen Neuanfang, sondern nur mehr Reformen geben. An sich hätten die mit der Entwicklung der ICD Beschäftigten schon vor deren "Einzementierung" u. a. dafür sorgen müssen, dass alle an Statistiken teilnehmenden ÄrztInnen dieselbe, definierte Nomenklatur für ihre Fälle benützen. Seit Braun wissen wir, welch riesige Arbeit das gewesen wäre. Dazu existiert aber keine Alternative [2]. Für die Allgemeinmedizin wurde das Problem der Fälle durch die Kasugraphie und die zweidimensionale Systematik gelöst [3]. Dagegen war für die "unwissenden" InitiatorInnen der ICD selbstverständlich, dass es bei den Todesursachen - und den Fällebezeichnungen in der Praxis - um gesicherte, einheitlich benannte und damit vergleichbare Größen ginge. Dieser Glaube wurde freilich nie überprüft. Deshalb besitzt die ICD auch keine wissenschaftliche Grundlage und Bedeutung. Sie wurde ohne Berücksichtigung dessen geschaffen, was hinter den individuell protokollierten "Diagnosen" und Todesursachen der PraktikerInnen und TotenbeschauerInnen tatsächlich steckt. Daher müssen die derzeit in der Medizin Berufstätigen zusehen, wie sie für ihre Dokumentationen, Meldungen etc. mit der an sich untauglichen ICD zurechtkommen. Nachdem nun in dem Ringen zwischen der Wissenschaftlichkeit und der Unwissenschaftlichkeit noch stets die Wissenschaftlichkeit die Oberhand behalten hat, mag man den weiteren Bemühungen um eine optimale Systematik für die Todesfälle und für die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen mit Ruhe entgegensehen." [1] Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Die aktuelle, international gültige Ausgabe (engl. revision) ist ICD-10, Version 2011. Die Ursprünge des ICD-Systems gehen auf die 1850er Jahre zurück. 1893 wurde die von Jacques Bertillon [1851-1922] erarbeitete Bertillon-Klassifikation beziehungsweise das Internationale Todesursachenverzeichnis eingeführt. Nach und nach entstand aus älteren internationalen Klassifikationen, die ursprünglich ausschließlich zur Erfassung von Todesursachen dienten, das ICD-System, das 1938 bereits in der 5. Ausgabe vorlag. Seit seiner Einführung wird das Klassifikationssystem von der WHO weiterentwickelt, die 1948 die 6. Ausgabe vorlegte. Bis zur ICD-9 (1976) erfolgten etwa alle zehn Jahre weitere revidierte Ausgaben, da aufgrund der Fortschritte in der Medizin Änderungen und Ergänzungen erforderlich wurden. Die Arbeit an der letzten, der zehnten Ausgabe begann 1983 und wurde 1992 abgeschlossen. Die derzeit gültige Ausgabe ist die ICD-10 in der Version von 2011. Im Frühjahr 2007 wurde mit den ersten Arbeiten zur ICD-11 begonnen. [Quelle: wiki] [2a] RN Braun: 1.) "Fortbildung, Kritik, und die Garantie einer ärztlichen Minimalversorgung" Öst.Ä.Ztg.4: 72 und 9 208. 1949 [2b] "Die Gezielte Diagnostik in der Praxis" Schattauer 1957 [3] RN. Braun, A. Freitag, E. Buchmayer, I. Leitner: "Über eine Systematik für die Fälle der Allgemeinpraxis" Münch. med. Wschr.. 106/38: 1660-1662 1964 [3] P. Landolt-Theus, H. Danninger, RN. Braun: "Kasugraphie" Kirchheim, Mainz, Praxishilfen Heft 15, 2. Aufl. 1994 (1992) [Ergänzungen] "Die 2-dimensionale Systematik für allgemeinärztliche Beratungsergebnisse" nach Braun pdf >>> Die medizinischen Fächer - Klinik und Praxis Die an der ersten Linie tätigen Ärzte agierten - wissenschaftlich gesehen -, ohne ihre Tätigkeit zu reflektieren. Ausschließlich für die spezialistische Krankenhaustätigkeit erzogen, waren sie nach der Aus- und Weiterbildung gezwungen, mit ihrem Wissen und Können unter ganz anderen Umständen irgendwie zurechtzukommen. Beim sich daraus ergebenden "selbstgestrickten" Handeln nach ihrem berufsbedingten Bedarf taten sie dann so, als hätten sie ausreichende Anamnesen und auch Untersuchungen gemacht und könnten am Beratungsende stets Krankheiten diagnostizieren. In Wirklichkeit freilich fragten und untersuchten sie intuitiv-individuell nur weniges. Die gestellten "Diagnosen" hatten mit überzeugenden Krankheitsfeststellungen selten zu tun. Dennoch waren die AllgemeinmedizinerInnen zufrieden. Die Forderungen der Lehrenden glaubten sie "erfüllt" zu haben. Böse Folgen nach ihren Beratungen gab es fast nie. Über die Diskrepanz zwischen dem, was sie eigentlich tun sollten und dem, was sie taten, zerbrachen sie sich nicht den Kopf. Die klinischen LehrerInnen kümmerten sich nicht darum, was in der Praxis geschah. Gesellschaftlich gesehen rangierten die AllgemeinärztInnen in der angewandten Medizin an allerletzter Stelle, d.h. in der Omega-Position. Ihrer Lage waren sie sich kaum bewusst. Diese Stellung nahmen sie hin. Die SpezialistInnen waren eben etwas Besseres, dachten viele von ihnen. Es war Braun vorbehalten festzustellen, dass die ÄrztInnen an der ersten Linie eine den KlinikerInnen gleichwertige, unersetzliche Funktion ausüben. [1] Ihre eigenständige Diagnostik ließ sich analysieren und optimieren. Aus der Praxis heraus konnte eine fachgerechte Nomenklatur für die Beratungsergebnisse und die sonst nötige definierte Fachsprache gewonnen werden und vieles andere mehr [2]. Damit erwies sich die Allgemeinpraxis als ein den klinischen Fächern ebenbürtiges Glied in der angewandten Medizin. Berufstheoretisch gesehen hatte sie nun sogar einen wissenschaftlichen Vorsprung. [1, 2] RN Braun: "Die Gezielte Diagnostik in der Praxis" Schattauer 1957, [2] P Landolt-Theus: "Fälleverteilung in der Allgemeinpraxis" Allgemeinarzt 14: 254-268. 1992 Beziehung zwischen bestimmten medizinischen Fächern (Fachgebieten) und verschiedenen Krankheiten n. Braun pdf >>> Die medizinischen Fächer - Das Fach Allgemeinmedizin Infolge der grundlegenden berufstheoretischen Erkenntnisse wurde die herrschende Ansicht, die Krankenhausmedizin sei das Vorbild für sämtliche ärztlichen Berufe, widerlegt. In der primärärztlichen Versorgung kann nicht so vorgegangen werden wie an Kliniken. AllgmeinärztInnen und SpezialistInnen arbeiten unter verschiednen Voraussetzungen. Sie erfüllen unterschiedliche Funktionen mit voneinander abweichenden Methoden. Derzeit geschieht das beiderseits fast überall auf intuitiv-individuelle Weise. Da nun in der Heilkunde heute noch nicht auf Basis der neuen berufstheoretischen Erkenntnisse unterrichtet und gearbeitet wird, können KlinikerInnen nur wieder KlinikerInnen, und zwar im "Meister-Lehrling"-Verhältnis, heranbilden. Das bedeutet: Die SchülerInnen kopieren bloß die LehrerInnen. Letztere vermögen ihr Tun aber nicht theoretisch zu erklären. Dazu fehlt ihnen der ganze wissenschaftliche Unterbau, mitsamt einer definierten Fachsprache. Jedenfalls stehen die AllgemeinmedizinerInnen, wo immer im fachärztlichen Bereich sie aus- und weitergebildet wurden, an der ersten Linie primär hilflos vor einer Unzahl unbekannter Probleme. Es fehlt ihnen das geistige Instrumentarium für den Beruf, es fehlt das grundlegende epidemiologische Wissen und vieles andere mehr. Die Funktion will aber erfüllt sein. Daher beginnt für alle angehenden AllgemeinmedizinerInnen zunächst eine Phase der "Einarbeitung". Sie müssen, ausgestattet mit der nicht anwendbaren klinischen Diagnostik sowie mit dem Wissen über einige Krankheiten, zusehen, wie sie ihre Funktion unter den unabänderlichen Handlungszwängen ausüben können. Dabei lernen sie es zum Beispiel, mit den Faktoren Zeit und Geld vernünftig umzugehen. In jahrelanger unbewusster Entwicklung kommen letzten Endes alle PraktikerInnen zu einem einigermaßen befriedigenden Beraten. Für ihre Beratungsergebnisse, und das gilt besonders für jene überwältigend häufigen Fälle, in denen keine überzeugenden Diagnosen von Krankheiten gestellt werden können, "erfinden" sie eine persönliche, einmalige Nomenklatur. Auch die sonst nötige Fachsprache entsteht langsam. Dafür bleibt u. a. der klare Begriff Diagnose auf der Strecke. Stattdessen wird überwiegend ein nichts sagender, sinnentleerter Begriff "Diagnose" für die meisten Beratungsergebnisse gebraucht. Eine überzeugende Krankheitserkennung bedeutet "Diagnose" nur mehr ausnahmsweise. Unbewusst lernen die ÄrztInnen an der ersten Linie das Fälleverteilungsgesetz kennen: Nach einigen Praxisjahren "wissen" sie, was in der Allgemeinmedizin häufig und was selten vorkommt. Diagnostisch Vorbildliches aus eigenem zu schaffen, übersteigt ihre schöpferischen Möglichkeiten. Der Begriff der Minimität "Die Summe flüchtigster Ereignisse, welche jeder Mensch laufend erlebt", "Geringfügige Gesundheitsstörung", "Banalität", "Bagatelle" Bei den Wurzeln, aus denen die individuellen Nomenklaturen der PraktikerInnen hervorgehen, haben wir bisher eine noch nicht berücksichtigt: Die MedizinstudentInnen bekommen es während des Studiums nur mit einer Auslese von nennenswerten Gesundheitsstörungen zu tun. Nun gibt es außerdem flüchtige Erkrankungen bei Familienangehörigen, im Freundes- wie im Bekanntenkreis, und sie selbst sind auch nicht stets völlig gesund. Am eigenen Leib nehmen sie beispielsweise die Minimität wahr. Das sind minimale, flüchtige Abweichungen von der völligen Beschwerdefreiheit. Jeder Mensch verspürt sie jahraus jahrein etwa zweimal im Laufe eines Tages. Sie werden ignoriert. Wir haben uns damit beschäftigt und dem Phänomen den oben genannten Namen Minimität gegeben. Daher wissen wir auch, um welche Größenordnungen es sich dabei handelt. Für solche Vorkommnisse baut jeder Mensch nach und nach eine persönliche Nomenklatur auf: Muskel-, Kopf-, Bauchschmerzen, Schnupfen etc.[1] Aus diesem Wortschatz bedienen sich auch ÄrztInnen, wenn in der Praxis Bagatellen an sie herangebracht werden. [1] RN Braun, Ch Temml: "Die sogennante Morbidität" Wien.Med.Wschr.2002;152:618-623 Der Wettstreit der Fachdisziplinen Von der Lehre der Krankheiten her und ohne genaue Kenntnis der Lage im primärärztlichen Bereich [Allgemeinmedizin] sind seitens der FachärztInnen "Besitzansprüche" auf die Krankheiten beziehungsweise auf die Fälle der Allgemeinmedizin entstanden. Da aber bei den zugehörigen Schätzungen jedes Fach nur sich selbst gesehen hat, resultieren groteske Häufigkeitsangaben. Siehe dazu Abb.12: "Der edle Wettstreit der Fachdisziplinen" pdf >>> Infolge dieser einseitigen Sicht kommen die klinischen Fächer, wenn man die geltend gemachten Zahlen addiert, auf mehrere 100% von Zuständigkeiten. Das ist natürlich Unsinn. Mehr als 100% Zuständigkeit kann es nicht geben. Wie aber kommen die hohen Zuständigkeitsziffern für die Einzelfächer zustande? Hier werden bloße Schätzungen ohne epidemiologische Grundlage zusammengezogen. Dabei hat jedes Fach naturgemäß die Tendenz, die eigene Bedeutung möglichst hoch anzusetzen. Und woher kommen die Mehrfach-Zuständigkeiten, die offensichtlich sehr häufig geschehen? Sie dürften überwiegend aus dem Bereich jener 90% allgemeinmedizinischer Fälle stammen, in denen exakte Diagnosestellungen unmöglich sind. In Unkenntnis der Sachlage bedient sich jedes Fach großzugig nach eigenem Dafürhalten, ohne an die anderen zu denken. Kompetenzstreitigkeiten Zu dieser Situation hat die berufstheoretische Praxisforschung längst festgestellt: Krankheiten können kein Eigentum einzelner Fächer sein. Vielmehr sind sie gemeinsamer Besitz aller ärztlichen Sparten (9). Siehe 9 "Kompetenzstreitigkeiten" pdf >>> Es gibt viele Gesundheitsstörungen, die in unterschiedlichen Fachbereichen gesehen werden, etwa AllgemeinärztInnen oder von ChirurgInnen oder von InternistInnen. Berufstheoretisch betrachtet kann das daher keine allgemeinmedizinischen, chirurgischen oder internistischen Krankheiten geben (10). Siehe 10 "Kompetenzstreitigkeiten" pdf >>> Hier müssen die ÄrztInnen der Gegenwart umdenken. Sie müssen sich von dem Glauben lösen, die Krankheiten gehörten, wie Besitztümer, zu diesem oder jenem Fach. Angehende MedizinerInnen lernen an den Hochschulen, von den Fächern her, einen empirisch zustande gekommenen Grundstock von Krankheiten kennen. Wir wissen auch, dass AllgemeinärztInnen eine andere Funktion ausüben als Spezialisten. Im Grunde ist aber auch die Allgemeinmedizin eine, wenn auch andersartige Spezialisierung. Geht ein/e PatientIn wegen eines offenbar harmlosen subkonjunktivalen Hämatoms zu seinem Hausarzt bzw. zu ihrer Hausärztin, dann liegt diese Beratungsursache im Bereich deren eigener Kompetenz. OphthalmologInnen dürfen solche Fälle nicht, weil sie sich am Auge abspielen, für ihr Fach mit Beschlag belegen. Ebenso liegen die Dinge bei einer unkomplizierten Mittelohrentzündung in Bezug auf das HNO-Fach, bei einem simplen Kontaktekzem in Bezug auf die Dermatologie, bei einer oberflächlichen Hautwunde in Bezug auf die Unfallchirurgie, um nur einige Beispiele zu nennen. Es sind Beratungsprobleme, die in der Allgemeinpraxis ebenso befriedigend benannt und versorgt werden können, wie SpezialistInnen das mit dergleichen Fällen tun. Das gehört zur normalen allgemeinärztlichen Berufstätigkeit. Die einzelnen medizinischen Fächer können dafür nicht Zuständigkeiten für sich reklamieren, auch nicht, wenn Themen betroffen sind, über die sie die PraktikerInnen seinerzeit fächerweise unterrichtet haben. Die Basisinformationen über Krankheiten hätten die Studierenden statt im fachärztlichen Bereich ebenso gut in erweiterten Abteilungen für Allgemeinmedizin erhalten haben können. Jedenfalls müsste die Zusammensetzung des Krankheitengutes, das an die erste ärztliche Linie herankommt, anders unterteilt werden als in Hinblick auf die spezialistischen Fächer, beziehungsweise anders als es in der Abbildung 12 geschehen ist. Siehe Abb.12 "Der edle Wettstreit der Fachdisziplinen" pdf >>> Bei der überwältigenden Mehrheit der Fälle müsste berücksichtigt werden, dass sie auch innerhalb allgemeinmedizinischer und nicht nur innerhalb spezialistischer Kompetenz liegen. Zu einem chirurgischen Fall wird ein Vorkommnis in der Allgemeinpraxis also nicht durch einen Kompetenzanspruch seitens der Chirurgie oder durch die allgemeinärztliche Unklarheit über die eigene Kompetenz, sondern ausschließlich dadurch, dass HausärztInnen ihre PatientInnen in den Bereich der Chirurgie überweisen." Aus: Robert Nikolaus Braun, Waltraud Fink, Gustav Kamenski: „Angewandte Medizin und wissenschaftliche Grundlagen“ S. 29, 30, 34, 37, 38, 55f, 68f, 90, 91f, 119, 121ff. FACULTAS 2004 Siehe: Allgemeinmedizin & Angewandte Geriatrie >>> ZITATE: Robert Nikolaus Braun: Dogmen & Fiktionen >>> Univ.-Prof. OMR Dr. Robert Nikolaus Braun (1914 Wien - 2007 ebenda) "Pionier der wissenschaftlichen Allgemeinmedizin" Zum 90.Geburtstag von Robert Nikolaus Braun pdf >>> "Sage nicht, was Du weißt, sondern wisse, was Du sagst" Matthias Claudius (1740-1815) FERNE - SO NAH Ein Gespräch 1 "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, du wirst keinen Krebs bekommen." Das sagte der Vater zu seiner etwa 30jährigen Tochter, als die Rede auf verschiedene Krebsfälle in der Bekannt- beziehungsweise Verwandtschaft kam. Und einige Monate später, sie war wieder allein auf einer ausgedehnten Reise, eigentlich, um den Zwängen des zivilisierten Lebens zu entkommen, da lernte sie einen alten Mann kennen. Es hieß, er sei ein Heiler, zu dem die Bevölkerung des Dorfes und eines Nachbardorfes gerne kommt. Wie es der Zufall will, musste die Frau eines Abends, sie hatte sich am Bein verletzt, in das kleine Holzhaus des Alten und seiner Frau gehen und dort den Abend verbringen. Natürlich kam das Gespräch auf Krankheiten. "Die Zivilisation ist schwer krank, schon seit Jahrhunderten schwer krank. Deshalb müsst ihr auch dauernd über eure Krankheiten, die ihr ja gleichsam kultiviert, reden. Und wenn ihr nicht krank seid, so habt ihr Angst, krank zu werden, und mit Ameisenfleiß lauft ihr eurer so wackeligen Gesundheit nach. Aber dass ihr der Gesundheit nachlauft, ist schon die Krankheit!" "Warum bekommen sie einen Krebs oder etwas anderes und die anderen nicht? Können Sie mir das sagen?" "Du brauchst dir nur wenig Sorgen machen, du bekommst keinen Krebs." "Das hat mir mein Vater schon gesagt!" "Ein kluger Mann." "Aber trotzdem will ich wissen, was den Unterschied macht, ob einer schwer krank wird oder nicht oder geheilt werden kann oder nicht?" 2 "Das wollt ihr alle wissen - und ich sage dir, ihr seid im Kopf zu kompliziert, ihr denkt zuviel und lebt zuwenig! Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ihr so viel krank seid! Sieh unser Dorf an. Wir sind arm, leben oft in einer Hütte mit dem Allernotwendigsten und mit den Kindern. Aber schau sie dir an, sind sie nicht trotz allem glücklich? Zumindest die meisten von uns. Warum ist das so? Weil wir nicht an die Zukunft denken! Wir leben Tag für Tag, planen nichts oder nur wenig. Und wenn eure Zivilisation - wie ihr das nennt - uns nicht zu sehr berührt, haben wir auch keinen Grund, zuviel an morgen zu denken. Wir arbeiten, und die meisten von uns tun dies gerne. Und Mutter Erde gibt, was wir zum Leben brauchen." "So könnt ihr leben, aber bei uns geht das nicht mehr, man ist doch dauernd und von allen rundherum beeinflusst." "Bist du Sklavin in eurem kultivierten Land - oder bist du frei?" Nach einer längeren Pause, der leicht spöttische Unterton der letzten Frage lag noch in der Luft, gab die Reisende zur Antwort: "Nein, ich bin nicht frei, nicht wirklich, das weiß ich immer mehr, obwohl ich vielleicht mehr als andere aufbegehre. Deswegen bin ich ja auf diese Reise gegangen. Aber wie soll man denn frei sein in so einem System?" "Was habt ihr immer mit eurem System? System, System - was ist denn das?" Dabei machte er mit der Linken eine Geste, die vom Kopf in die Luft führte, so als wollte er irgendwelche Spinnerein aus seinem Gehirn ziehen. "Ja, da wo wir drinnen stecken, reingeboren sind." "Na und? Solange du dich noch auf ein System, System, herausreden willst", und da wiederholte er die Geste von soeben, "erstickst du in den Zwängen, wie alle Sklaven, ja, wie Sklaven! Nichts anderes! Versteh doch, dass du selber das System bist! In uns allen lebt ein System, entweder das von außen, das uns zwingt - oder die Ewigkeit in uns." 3 Und nun entstand eine Pause. Das Wort Ewigkeit wollte der Reisenden nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ewig, e-w-i-g, was das nur heißt? Und das ihr schon bekannte große, tiefe Loch, in dem nichts, gar nichts ist, was man kennt und aus dem man unmöglich je wieder herauskommt, tat sich wieder auf, öffnete seinen Schlund wie ein riesiger Fisch, in dem die ganze Welt versinkt. Und wie von fern klang, die Stimme des Alten in ihr Ohr: "Ja, ja ja, nur keine Angst, auch die Ewigkeit ist ein System, besser aber ein Nicht -System - es ist nicht von uns gemacht, nicht von euch, nicht von dir, nicht von mir. Es ist von innen, und da dies lebendig wird, sind wir frei! Schwer zu verstehen für eine zivilisierte Frau" Nach einiger Zeit fuhr er fort, so leise, als würde er nun mehr zu sich sprechen als zur Fremden, deren heißester Wunsch es war, bei diesem einfachen Menschen zu leben: "Glaubst du wirklich, hier leben zu können, in der Armut, mit den wenigen Dingen, hier, wo es keine Geschäfte gibt? Nein, mein Kind, dein Platz ist doch dort, wo du herkommst. Denn, was machst du hier? Im Moment hast du Urlaub, auch wenn du es anders nennst, es ist Urlaub. Deine Aufgabe, deine Freiheit kannst du dir nicht erarbeiten, wenn du vor deinem Leben davonlaufen willst. Auch das System ist nichts als ein Spiegel." "Ich hasse sie, diese Zwänge der Zivilisation!" "In dem Moment, wo du begreifst, dass du dich im Grunde selber hasst, in diesem Moment wirst du ahnen, was du in Wirklichkeit bist, besser, was du sein könntest!" "Freiheit - die gibt es bei uns doch nicht; Versicherungen, Schulen, Steuern, geregelte Arbeit von früh bis spät." "Die Freiheit gibt es in dem Maße nicht, wie du sie nicht für möglich hältst. Kannst du sie für möglich halten - und das schon ist ein Geschenk -, dann findest du sie überall, auf Schritt und Tritt - sie begleitet dich doch, weil sie in dir ist! Und der Mensch ist zur Freiheit berufen! Es ist eine Freiheit der Seele! Und im Außen gehören wir alle irgendwie zusammen, das ist dann aber kaum mehr ein Problem." 4 Es senkte sich eine wohltuende Stille über die kleine Gruppe. Die Frau des Alten, die die ganze Zeit mit geschlossenen Augen daneben saß, stand auf, brachte eine neue Kerze, holte Tee und mischte sich mit einem lachenden Gesicht ins Gespräch ein: "Ja, es sind auch bei uns nur wenige Menschen frei. Es gibt zu viele, die dem Gift und den Verlockungen des verkehrten Lebens zum Opfer fallen. Dann sind sie nicht mehr frei, Verbrechen, Drogen, Unglück und große, wirkliche Armut kommen auf, wirkliche Armut und die bösen Krankheiten. Und wir können die Leute dann auch nicht mehr behandeln, weil das Gift schwer in den Adern liegt. Sie kriegen alle möglichen schlimmen Dinge. Diejenigen, die Geld haben, fahren dann zu euch, kommen mit vielen Pillen zurück und leben nicht mehr. Die Augen sind erloschen." "Nur mehr künstlich leben sie, das ist es", setzte der alte den Gedanken seiner Frau fort. Und jetzt kennst du auch den Grund für den Krebs, wie eigentlich auch für andere schwere Leiden: nicht gelebtes Leben. Kein eigenes, inneres Leben, nur mehr Hypnosen, fremde Gedanken und Ablenkungen - so lebt der moderne Mensch und leider auch schon viele in unserem Land. Die Ablenkungen sind zu groß, die Stimme der Seele wird nicht mehr gehört, bleibt dunkles Geheimnis. Und du bist lebendig, deswegen sagte dein Vater zu dir, dass du keinen Krebs bekommst. Aber wir dürfen uns nie sicher sein; nichts und niemand weiß etwas. Nur das Leben, ihr sagt Gott dazu, weiß etwas, es wartet in uns, bis wir das endlich verstehen. "Oh wie unglücklich ist meine Seele bei dem Gedanken, diesen Platz hier verlassen zu müssen!" 5 "Höre, wir alle sind ein Funke des Lichts, und dieser Funke will, dass wir die Stimme des Herzens hören. Manche sagen dazu Ahnung, andere Sehnsucht, ihr sagt oft Intuition - ein gutes Wort, das spüre ich. Lass die Sehnsucht in dir, lass die Sehnsucht nach der Erfüllung nicht sterben und lebe nicht gegen dein Herz. Denn dort ist der Funke, ganz gleich, wo du dich befindest. So lehrt es übrigens auch eure wunderbare Religion, die ihr nur schon lange nicht mehr versteht. So müsst ihr zu uns kommen, um etwas von der lebendigen Religion, dem Glauben des Herzens, zu hören." Und nach kurzem Nachdenken, als sei es extra für die Reisende, sagte er in entschiedenem Ton und schmunzelnd: "Das ist natürlich auch die eine Heilkunde" Dr.med. Klaus Bielau (b.1955) Aus: „Wendezeit der Medizin – Die Erneuerung der Heilkunde“ Seite 87 – 91. Verlag Zeitenwende 2008 Eigenverantwortung zu übernehmen, ist der erste Schritt zur Veränderung. So habe ich für mich - was meine Gesundheit betrifft - entschieden, dass ich nicht bereit bin, ein Medikament einzunehmen, das mir Experten verschrieben haben, ohne die Ursache meiner Beschwerden zu eruieren. Ich bin nicht bereit, an Experten zu glauben, die meinen Körper anhand von Bildern interpretieren und dann auf meinen Gesundheitszustand schließen, ohne mich als Mensch, der ich bin, wahrzunehmen. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass ich die gleichen Gedanken, Gefühle, Emotionen habe wie meine Mitmenschen. Wenn das so wäre, könnte ich mir auch vorstellen, dass wir alle gleiche Einheitswerte, alle gleiche Normwerte (Blutdruck, Zucker, Cholesterin usw.) haben. Nachdem das aber nicht so ist, stelle ich in Frage, was Experten als Norm vorgeben. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass mein Gesundheitszustand besser wird, wenn ich etwas in meinen Körper, der idealer weise ein "Biotop" sein sollte, hineinwerfe, das nicht natürlich ist und daher auch nicht meiner eigenen Natur entspricht. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass ich eine Maschine bin, deren Teile getrennt voneinander funktionieren und beliebig austauschbar sind. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass Betäuben, Vergiften, Verschrauben, Vernageln, Versteifen, Herausschneiden, Amputieren die einzigen Möglichkeiten sind, einem Menschen zu helfen, einen gesunden Körper zu bekommen und zu erhalten. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass sich Heilung nur auf den Körper bezieht. Ich bin nicht bereit zu glauben, dass es unheilbare Menschen gibt. Ich bin nicht bereit, vor gefasste Meinungen einfach kritiklos anzunehmen, nur weil die Mehrheit der Menschen sie annimmt. Ich kann und darf eine Meinung und eigene Erkenntnisse haben. Diesen Erkenntnissen können weitere folgen. Darum bin ich bereit, immer wieder das Erkannte neu zu hinterfragen. Denn alle Erkenntnisse sind so lange meine Wahrheit, bis ich zu einer neuen Erkenntnis komme. Aus: Martin Weber (b.1945, Heilmasseur, Energietherapeut): „Der Mensch im Gleichgewicht. Gesundheit neu gedacht mit Herz, Logik und Intuition“ Seite 21,22 ENNSTHALER 2. Auflage 2009 "Mögest du leben, solange Du willst, und es wollen, solange du lebst" Keltischer Trinkspruch "Wir sind zu dumm, um es mit dem Leben, wie es ist, in einer Art aufzunehmen, dass wir immer wieder neu ERFÜLLUNG, SATTWERDEN, BELOHNUNG, ERMUTIGUNG und einen ZUWACHS an ERFAHRUNG und FÄHIGKEITEN bekommen, um uns schließlich erwachsen der Welt zu stellen und Mensch zu werden. Das "Unzulänglichkeitssyndrom" und die "unzulängliche Ausbildung für das Leben", wie andere diesen Zustand nennen, sind nichts anderes als Ausdruck für einen Mangel, Ausdruck für einen unerträglich gewordenen, peinigenden Durst und Hunger nach einem anderen Leben, nach Fülle, Erfüllung, Sattwerden, nach einem Zustand, von dem jede unserer Milliarden Zellen spricht, letztendlich nach dem Himmelreich, das ein Erleuchteter uns vor 2000 Jahren versprochen hat. Jeder von uns spürt diesen Mangel, diesen Hunger und Durst, als ein sich in Tausenden von Facetten offenbarendes Unbehagen. Die verschiedenen Äußerungen dieses Unbehagens spiegeln sich in all unseren Diagnosen. Wir finden auch Abertausende Möglichkeiten, um diese schmerzhaften Empfindungen abzutöten, um uns immer wieder neu in einen Zustand von völliger Schmerz- und Empfindungslosigkeit zu versetzen. Der Zugang zum wirklichen Leben ist uns versperrt. Es muss zu einer ständigen Dosissteigerung von all dem kommen, was uns unempfindlich zu machen verspricht. Das Grauen unserer gegenwärtigen Welt entspringt dieser immer mehr zunehmenden Unempfindlichkeit und Unmenschlichkeit. Unsere innere Verarmung und Verdunstung nimmt ständig zu. Wie Jackie schreibt, haben wir eine wahnsinnige Angst vor dem Aufwachen, das unerträglich weh tut. Wir ziehen es vor, dort zu bleiben, wo wir sind, denn dies ist bereits - wie wir glauben - besser, als was bei einer Änderung kommen mag. Wir alle schreien innerlich all denen, die uns ihre Liebe entgegenbringen und ihr Mitfühlen, die unsere Not sehen, darunter leiden und uns helfen wollen, entgegen wie der Besessene von Gerasa: "Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!" (Mk 5,7) Von Paracelsus stammt das Wort: "Der Arzneien höchste ist die Liebe." Wenn wir aufhören, die Angst zu zelebrieren, wie Drewermann es ausdrückt, dann werden wir die LIEBE als die Grundmelodie allen Lebens entdecken und mit Staunen wahrnehmen, dass alles, was wir zur Lösung unserer scheinbaren Probleme heranzogen, alle die ausgeklügelten Therapien, wohlgemeinten Techniken, Methoden und Systeme - so sehr sie zu einem bestimmten Zeitpunkt berechtigt gewesen sein mögen - nur dazu beitrugen, unseren Blick auf das Wesentliche zu verstellen und die Lösung zu vereiteln. Sie waren selbst - und wie konnte es anders sein - ein Teil unser aller Störung". "Wir hatten nach unserer Geburt nicht viel dazugelernt. Sagt man nicht einfach "dumm geboren, und nichts dazugelernt"? Es gilt jetzt, dies in einem Lernprozess, oft mühsam und schmerzvoll, nachzuholen. Wir müssen lernen, erfahren, miteinander üben, wie wir uns gemeinsam helfen können, das Ungeborene, mit dem wir geboren wurden, auf die Welt und in die Welt zu bringen, das wahre Leben in uns zu entdecken als das einzige und größte Geschenk, das wir empfangen haben und selbst darstellen. Es wird Zeit, dass wir aus dem Zustand des Automatismus und unseres Autismus aufwachen und anfangen, uns endlich das Leben (die Liebe) zu nehmen, dieses Leben, das uns von allem Anfang an in Hülle und fülle zustand. Dann werden wir die Störungen, die Krankheiten, Symptome des Mangels nicht mehr als Entschuldigung für unsere Lebensunfähigkeit ansehen. Wir werden fähig, sie fallen zu lassen, oder sie lösen sich auf wie von selbst. Je mehr wir dann innerlich heranwachsen, erwachsen werden, wird in gleichem Maße alles Äußerliche, so Bedrohliche - vor uns oft in den Bildern von Vater oder Mutter und aller ihrer Repräsentanten auf dieser Welt - langsam schrumpfen und schwinden. Wir erleben uns dann endlich berechtigt, unseren ganz persönlichen Dialog mit allem Lebendigen zu führen. Wir werden nicht mehr um Erlaubnis fragen müssen, um das Leben wagen zu dürfen. Wir werden uns mehr und mehr mit dem Leben, nach dem wir uns so sehnten, vermählen können. Wir werden als Liebende unsere ganz eigene Familie finden, die nicht notwendigerweise etwas mit unserer Herkunftsfamilie zu tun haben muss. Und dann werden wir Erfahrungen machen dürfen, die in uns keinen Zweifel mehr lassen, dass die Worte im Galaterbrief keine Utopie sind: "Da gibt es keine Juden noch Griechen, da gibt es keinen Sklaven noch Freien, da gibt es kein Männliches und Weibliches, denn alle seid ihr Einer im Messias Jesus" (Gal 3,28) Wir alle sind aufgerufen, an der Schaffung der Welt, die noch lange nicht beendet ist, mit all unserer Kraft mitzuwirken. Dann werden die Beziehungen unter uns nicht mehr von Sachzwängen bestimmt werden, sondern von der unwiderlegbaren Erfahrung, dass wir uns gegenseitig brauchen, wenn wir wirklich leben wollen." Aus: Walther H. Lechler (b.1923, deutscher Neuropsychiater): "Von mir aus nennt es Wahnsinn. Protokoll einer Heilung" zusammen mit Jacqueline C. Lair (b.1930). Vorwort Seite 12,16,19. SANTIAGO 2009 (1980) Siehe ZITATE: Thomas Szasz / Die Definition von Krankheit >>> Karl Popper / Über die Zukunft >>> Julius Hackethal / Die Krebskrankheit >>> Bernie Siegel / Krebs >>> Wilhelm Reich / Die Krebsgeschwulst >>> Elida Evans / Krebs >>> Alexander Solschenizyn / Krebsstation >>> In Memoriam Josef Issels / Ganzheitliche Krebstherapie >>> Werner Schneyder / Krebs - Eine Nacherzählung >>> Frederic Chopin / In mir klingt ein Lied >>> Eine Geschichte aus dem alten China - Der alte Mann und sein Pferd >>> Siehe INFOS: Info für Ratsuchende / Die Illusion der Gewissheit >>> Mikrobiologische Therapie - Mikrobiom >>> Mikrobiom Mangelsyndrom - Mikrobiomschock >>> Denkrahmen der Logik >>> Siehe LEISTUNGEN: Allgemeinmedizin & angewandte Geriatrie >>> Palliativmedizin >>> Additive Krebstherapie >>> |