Die Welt der Krebspatienten
Lawrence LeShan: „Psychotherapie gegen Krebs. Über die Bedeutung emotionaler Faktoren bei der Entstehung
und Heilung von Krebs“
(You Can Fight for Your Life: Emotional Factors in the Treatment of Cancer 1977)
Kapitel: Die Welt der Krebspatienten. Seite 169 – 186. Klett-Cotta 2001



Wie in diesem Buch immer wieder gesagt worden ist, lebt der todkranke Krebspatient in einer besonderen Welt, und dies im physischen wie im psychischen Sinne. Sein innerer Werdegang unterscheidet ihn ganz deutlich von den Menschen, die ein viel beschäftigter Therapeut in seiner großstädtischen Praxis üblicherweise empfängt. Mit den herkömmlichen psychotherapeutischen Techniken ist ihm nicht zu helfen; vielmehr bedarf es neuer Methoden, nämlich der Krisentherapie, um diesen Patienten aus der engen Welt zu befreien, und ihn wieder zum „Kampf“ um sein Leben zu befähigen.

Wie es einer Patientin oder einem Patienten wirklich geht, sagt nicht die Diagnose aus.
Obwohl es etliche Patienten gibt, die erst aufgrund der Diagnose sagen können,
wie es ihnen geht. Auf der anderen Seite soll es auch Ärzte geben,
die einem Patienten erst glauben, wenn eine Diagnose feststeht.

Ärzte sollen nicht bloß vordergründige Diagnosen behandeln,
sondern den lebendigen "kranken" Menschen.

Nicht mehr Medizin am Objekt der Krankheit,
sondern Medizin am Patienten mit seiner Krankheit
.

Karl Kraus war seiner Zeit voraus, als er meinte:
Die
verbreitetste
Krankheit
ist
die
Diagnos
e

Karl Kraus
(28. April 1874 in Jicín, Böhmen (damals Österreich-Ungarn,
heute Tschechien) - 12. Juni 1936 in Wien
)
War einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts,
ein Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Förderer junger Autoren, Sprach- und Kulturkritiker –
vor allem ein scharfer Kritiker der Presse und des Hetzjournalismus oder, wie er selbst es ausdrückte, der Journaille.

Außer mit seinen ganz speziellen psychischen Schwierigkeiten muss der Krebspatient oft auch noch mit dem chronischen Schmerz fertig werden. Es gibt erstaunlich wenig Veröffentlichungen über die Situation des ständig schmerzgeplagten Menschen.

In einem der wenigen ernstzunehmenden Bücher über diesen Gegenstand sagt [Frederick ] Buytendjick [1887-1974]: „Der moderne Mensch betrachtet den Schmerz nur als eine unangenehme Tatsache, um deren Beseitigung er sich – wie um die Beseitigung jedes anderen Übels auch – nach Kräften zu bemühen hat. Dazu bedarf es nach verbreiteter Meinung nicht erst der Reflexion über die Erscheinung als solche.“

Aber wenn man dem Patienten helfen will, seinen Lebenswillen wieder zu finden, dann muss man sich auch mit diesem Aspekt seiner besonderen Welt wirklich vertraut machen.

Die Welt eines Patienten, der ständig von Schmerzen geplagt ist, gleicht mehr oder weniger einem Angsttraum. Der Angsttraum enthält drei grundlegende Komponenten:

1.
Es werden uns schreckliche Dinge angetan und noch schlimmere angedroht;
2. die Situation ist völlig unter der Kontrolle irgend-welcher äußeren Mächte, und unser Wille kann nichts ausrichten;
3. es gibt keine zeitlichen Begrenzungen, und wir können nicht voraussagen, wann die Sache vorüber sein wird.


Der Schmerzgeplagte Mensch ist im Grunde in der gleichen Situation. Wenn man begreift, dass der Krebspatient sich gewissermaßen ständig und bei vollem Bewusstsein in einem Alptraum befindet, und wenn man ihm deutlich zeigt, dass man das weiß, dann hilft ihm das oft, den „Angriff des Schmerzes“ auszuhalten.

Unter Schmerz verstehen wir im Allgemeinen den akuten und vorübergehenden Schmerz – also das Zahnweh oder die durch Verbrennung, Schnitt, Prellung oder Quetschung verursachte Schmerz-empfindung. Diese Art Schmerz wird sehr rasch durch das Nervensystem hindurchgeleitet, sie ver-anlasst uns, Gegenreflexe ins Spiel zu bringen, und sie geht gewöhnlich relativ schnell vorbei. Wir sind von klein auf daran gewöhnt, solche Schmerzen als ein nützliches und segenreiches Signal anzusehen.

Wenn nun ein Mensch chronische Schmerzen hat, dann versucht er es zunächst mit verallgemein-ernden Schlüssen aus seiner Erfahrung mit dem akuten vorübergehenden Schmerz. Solche Ver-allgemeinerungen sind aber sehr unzulänglich; tatsächlich bewirken sie so gut wie nichts.

Wenn wir chronische Schmerzen als ein „Warnzeichen“ betrachten, werden die Dinge nämlich nur noch unübersichtlicher. Denn wir erfahren ja nicht, was wir tun sollen, und verfügen nicht über irgendwelche Gegenreflexe, die wir dem chronischen Schmerz entgegensetzen könnten. Der Schmerz hält an, auch nachdem wir uns in die Obhut eines Arztes begeben haben.

Er fördert unser Handeln nicht, ja er kann so heftig sein, dass er uns auch am Vollzug von Aktivitäten und Gewohnheiten hindert, die im Grunde nützlich für uns wären. Chronischer Schmerz ist nichts als eine Form des Dahinvegetierens.

Damit erscheint uns dieser Schmerz nicht nur unerklärlich, sondern auch sinnlos. Wenn wir seelisch leiden, so ist dies die erklärbare Folge unserer Gedanken und Handlungen; seelisches Leid spiegelt unsere Sicht unserer selbst. Aber chronischer physischer Schmerz ist uns fremd und unverständlich. Offensichtlich ergibt er sich nicht aus dem, was wir sind oder getan haben. Wir können keinen Sinn in ihm entdecken; aber da es sehr schwierig ist, reale Erfahrungen als unsinnig und unvernünftig hinzunehmen, versuchen wir, dem Schmerz eine Bedeutung zu geben.

Alte Schuld- und Angstgefühle stehen von neuem in uns auf, und wir bemühen uns, unsere Schmerzen mit diesen unzureichenden Gründen zu verknüpfen. Alle großen Religionen und philosophischen Entwürfe haben versucht, den Sinn des Schmerzes zu ergründen – aber in der modernen anti-metaphysisch eingestellten Gesellschaft wird er weitgehend ignoriert.

Schmerz ist etwas, vor dem wir am liebsten die Augen verschließen – und deshalb fehlt uns, wenn wir ihn doch einmal ertragen müssen, jede Übung im Umgang mit ihm.

Als Menschen versuchen wir in der Regel, mit dem, was uns umgibt, in Kontakt zu kommen. Aber mit dem Schmerz können wir nicht in eine Beziehung treten; wir können ihn nur ertragen. „Der Mensch ist so beschaffen“, sagt Viktor Frankl [1905-1997], „dass er nur leben kann, indem er seinen Blick in die Zukunft richtet“.

Aber wenn ein Mensch chronische Schmerzen erleiden muss, geht ihm das Gefühl für die Zeit verloren, er ist an das unmittelbare Jetzt der Schmerzempfindung gekettet. Dazu kommt, dass chronischer Schmerz in völliger Isolation empfunden wird.

Der französische Schriftsteller Alphonse Daudet [1840-1897] sagt: „Schmerz ist eine immer neue Erfahrung für den, der ihn erleidet, aber banal für die Menschen in seiner Umgebung. Sie alle werden sich daran gewöhnen – nur ich selbst nicht.“

Die laute Einsamkeit des Schmerzes treibt den Patienten mithin in die psychische Regression [be-/unbewusster Rückgriff auf kindliche Verhaltensmuster]. Seine Würde und sein hart erkämpfter Status als erwachsener Mensch geraten in Wanken. Sein Bild von seinem Körper verwischt sich; der Schmerz hebt sein übriges physisches Selbst gewissermaßen auf.

Nur der eine Bereich ist ihm bewusst, der solche überwältigenden Sensationen hervorbringt. Aus seinem komplexen „erwachsenen“ Körperbewusstsein wird der Mensch in eine eher kindgemäße Körper-vorstellung zurückgeworfen. Dieser Verlust seines Selbstgefühls als erwachsener Mensch wird noch durch den Umstand verschärft, dass er jetzt wieder – wie damals als Kind – auf andere Menschen angewiesen ist, die wichtige Dinge, die sein Leben betreffen, für ihn zu entscheiden und zu erledigen haben.

Was die Schmerzerfahrung des Krebspatienten angeht, so steht sie häufig in einem Zusammenhang mit seiner Lebenseinstellung insgesamt. Gotthard Booth [1899-1975] sagt dazu: „Das Schmerzerleben hat häufig mehr mit der moralischen als mit der physischen Verfassung des Patienten zu tun.“

Dieses Phänomen ist allen Menschen aus bestimmten Situationen bekannt – so etwa dem Fußballspieler, der den Schmerz, welcher durch den eben erlittenen Bruch verursacht ist, nicht spürt und einfach weiterspielt. Schmerz existiert nicht losgelöst von der Tätigkeit des Zentralnervensystems, und von der Verarbeitung und Integration des Schmerzes durch dieses System hängt die Schmerz-wahrnehmung durch den betroffenen Menschen und seine Fähigkeit ab, dem Schmerz Widerpart zu bieten.

[Lew Nikolajewitsch] Tolstois [1828-1910] Novelle „Der Tod des Iwan Iljitsch“ [1886] enthält eine fas-zinierende Schilderung von der Reaktion eines krebskranken Menschen auf den Schmerz.

In diesem Werk, das vor rund einem Jahrhundert entstanden ist, wird mit großer Genauigkeit und ungewöhnlichem Verständnis die Lebensgeschichte eines Menschen erzählt, die uns in nahezu jeder Hinsicht an den Werdegang und das „Profil“ der krebsanfälligen Persönlichkeit erinnert, wie sie hier gezeichnet worden sind. Tolstois Geschichte gehört zu den nicht eben seltenen Beispielen dafür, dass der Künstler „eher da war“, nämlich lange vor dem Forscher.

Iwan Iljitsch wird erst in dem Augenblick vom Schmerz überwältigt, in dem er die absolute Sinnlosigkeit seines Lebens erkennt. Solange er der Meinung ist, sein Dasein habe einen Sinn, kann er dem Schmerz widerstehen und sich seine Würde und Selbstbeherrschung bewahren.

Eine Bekannte von mir, die wegen einer Erkrankung des Innenohrs seit vielen Jahren heftige Schmerzen auszuhalten hatte, setzte ihr rühriges, sinnvolles und bewegtes Leben dennoch mit unvermindertem Elan fort. Auf die Frage, wie sie das mache, antwortete sie: „Wenn der Schmerz besonders schlimm wird, dann erhebe ich mich über ihn und sehe von oben her auf ihn herab.“

Diese Erklärung sollte nicht einfach als „hysteroid“ abgetan werden. Diese Frau war imstande, ihre Selbstbeherrschung zu wahren und den Schmerz, den sie empfand, unter Kontrolle zu halten, und deshalb wurde sie nicht von ihm überwältigt.

Im Allgemeinen sind Krebspatienten von dem Augenblick an, in dem sie ihr immer zurückgewiesenes wahres Selbst wieder entdecken und einen Sinn in ihrem Leben erkennen, eher imstande, mit ihren Schmerzen fertig zu werden.

Eine meiner Patientinnen, deren Verfassung sich im Laufe der Therapie erheblich besserte, sagte mir: „Es ist so ähnlich wie mit dem Unterschied zwischen Geburts- und anderen Schmerzen. Wenn man in den Wehen liegt, dann weiß man, dass am Ende im wahrsten Sinn des Wortes „etwas dabei herauskommt“. Das ist niemals so schlimm, wie wenn der Schmerz überhaupt nichts erbringt.

Wenn man dem krebskranken Patienten helfen möchte, mit seinen Schmerzen fertig zu werden, dann muss man sich zunächst wiederum auf den individuellen Menschen konzentrieren, den man vor sich hat. Dafür kann es keine feste Regeln geben; man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass diese Konzentration auf das Individuum wichtig ist. Wir müssen dem Patienten helfen, diejenige Lösung zu finden, die gerade ihm am besten entspricht und seiner Sicht der Dinge am ehesten gerecht wird, nicht aber eine Lösung, wie sie dem Therapeuten vielleicht einleuchten würde.

"Die Hauptaufgabe des Arztes besteht darin, günstige Bedingungen zu schaffen,
so dass die natürlichen Kräfte im Körper zu Harmonie gelangen
und ihn wieder gesunden lassen


Abgesehen davon, dass niemand bei Krebs ein Heilungsversprechen abgeben kann,
weil die Prognose wegen des völlig individuellen Verlaufes immer ungewiss bleibt,
sollte es eigentlich einem jeden, der nicht absolut böswillig und damit
keiner Argumentation zugänglich ist, deutlich sein,
dass bei diesen schweren Krankheitsbildern, mit denen
meine Patienten zu mir kamen, ein von vornherein
gegebenes "Versprechen" einer Heilung
geradezu absurd wäre."


Dr.med. Josef Issels: "Mein Kampf gegen den Krebs - Erinnerungen eines Arztes"
Seite 299, 160, Ullstein Sachbuch 1983 (1981)


Manche Patienten schaffen es, ihrem Schmerz einen Sinn zu geben, und zwar im Zusammenhang mit dem neuen Verständnis ihrer selbst, das die Krankheit ihnen eingetragen hat. „Dein Schmerz“, sagt Kahlil Gibran [1883-1931] in „Der Prophet“ [1923], „ist das Zerbrechen der Hülle, die dein Verständnis umschlossen hat.“

Einem Patienten, der es immer vermieden hat, seinem wahren Selbst zu begegnen, der immer gefürchtet hat, dass die Menschen ihn nicht lieben würden, wenn er ihnen dieses Selbst enthüllen würde, leuchtet unter Umständen die Überlegung ein, dass sein Krebs ihn an einen Punkt gebracht hat, an dem er entweder sich selbst bereitwillig annehmen oder aber sterben muss. Die Entdeckung, dass er als „er selbst“ geliebt werden kann, macht ihm den Schmerz erträglich, und mit seiner neu gewonnenen Kraft kann er ihm nun auch Widerpart bieten.

Andere Patienten werden mit ihrem Schmerz wieder in anderer Weise fertig. Die Erkenntnis, dass die Erfahrung ihrer Krankheit ihnen niemals verloren gehen kann und dass sie nach einer solchen Erfahrung nichts mehr zu fürchten haben, lässt sie möglicherweise mit [Friedrich] Nietzsche [1844-1900] sagen: „Was mich nicht tötet, macht mich stark.“

Wieder andere betrachten den Schmerz, den sie empfinden, als existent in sich; dass gerade sie ihn empfinden, bedeutet für sie, dass dadurch einem anderen Menschen diese Erfahrung erspart geblieben ist.

Wie erfolgreich der Therapeut ist, hängt also weitgehend von seinem Einfallsreichtum ab, wenn es darum geht, dem Patienten zu helfen, die für ihn beste und günstigste Lösung zu finden. Wenn der Lebenswille sich wieder stabilisiert, dann empfinden viele Patienten etwas, das [Fjodor] Dostojewski [1821-1881] in die dunklen und weisen Worte gekleidet hat: „Es gibt nur eines, das ich fürchte: meiner Schmerzen nicht würdig zu sein.“

Wenn der Schmerz ungewöhnlich stark oder ungewöhnlich resistent ist, dann sollte man sich fragen, ob im Falle dieses bestimmten Patienten vielleicht ein besonderer Zweck dahinter steht.

Hält der Schmerz vielleicht Schuldgefühle von ihm fern?
Vermittelt er dem Patienten das Gefühl, „vorhanden“ zu sein, das er so dringend braucht?
Enthält er eine Botschaft?

Starker Schmerz kann zum Beispiel stellvertretend für überwältigende seelische Qualen sein.

In der medizinischen Literatur wird von Fällen berichtet, in denen die chronischen Schmerzen des Patienten durch Medikament oder andere Maßnahmen gelindert wurden und es unmittelbar anschließ-end zu einem seelischen Zusammenbruch oder dem Selbstmord des Patienten kam.

Unsere kulturell bedingte Orientierung gegenüber dem Schmerz – dass er nämlich schlimm und böse sei und umgehend gelindert werden müsse – ist nun einmal so stark ausgeprägt, dass uns oft gar nicht der Gedanke kommt, der Patient wolle uns durch seine Schmerzen vielleicht eine Botschaft zukommen lassen.

Gerade im Fall von Krebspatienten muss der Therapeut besonders auf der Hut sein, wenn der Schmerz ungewöhnlich stark ist. Der typische schwerkranke Krebspatient hat sich nämlich schon vor der Ent-stehung seines bösartigen Leidens jahrelang mit seelischen Nöten herumgeschlagen. Es ist durchaus möglich, dass der Krebs sich nicht nur deshalb entwickelt hat, weil der Widerstand von Seiten des betroffenen Menschen gering war - weil er nämlich seine gesamte psychische Energie dazu einsetzen musste, sich vor seinen seelischen Nöten zu schützen -, sondern auch deshalb, weil er als eine Art physischer Stellvertreter für das unerträglich gewordene psychische Leiden fungiert.

Das ist zwar nur eine Vermutung, aber wir müssen sie doch als mögliche Realität anerkennen und in solchen Fällen das psychische Leiden linden, bevor wir den Patienten mit einiger Aussicht auf Erfolg von seinen physischen Schmerzen befreien können, die - für ihn - leichter zu ertragen sind als die Verzweif-lung, mit der er nun schon so lange lebt.

Krebs ist genau wie die meisten Krankheiten
ein Symbol dafür, dass
im Leben des Patienten
etwas nicht stimmt,
es ist eine Warnung für Ihn,
einen anderen Weg
einzuschlagen

Dr. Elida Evans
Psychologin aus der Jungschen Schule.
“A Psychological Study of Cancer“
1926

"Die der Jungschen Richtung angehörende Forscherin untersuchte 100 Krebspatienten und entdeckte,
dass viele von Ihnen vor Ausbruch der Erkrankung einen Menschen verloren hatten, der für Sie
von
großer emotionaler Bedeutung war und zu dem sie eine tiefe Beziehung eingegangen waren.
Diese Patientinnen (meinte Sie) hatten sich, anstatt die eigene Individualität zu entwickeln,
mit einem Objekt oder einer bestimmten Rolle (einer Person, dem Haus, in dem sie wohnten,
ihrem Beruf usw.) restlos identifiziert. Waren das Objekt oder die Rolle gefährdet oder
verschwanden sie aus ihrem Leben, waren diese Patienten plötzlich auf sich selbst
angewiesen und verfügten dabei nur über geringe innere Kraftreserven,
um mit dieser Situation fertig zu werden
…“

Aus: Gerald Pohler (b.1953, Österreichischer Psychotherapeut, klinischer Psychologe): „Krebs und seelischer Konflikt.
Psychosoziale Krebsforschung“ 2. Die Krebspersönlichkeit aus tiefenpsychologischer Sicht. 2.4. Die Theorie der Grundstörung
[Michael Balint (1896-1970)] bei Krebskranken. Seite 34. NEXUS 1989


Unabhängig davon, wie der einzelne Patient seine Schmerzen wahrnimmt, ist Mitleid mit dem Schmerz-geplagten Menschen in höchstem Maße zerstörerisch. Wenn er bemerkt, dass man ihn bemitleidet, dann schwächt dies seine Fähigkeit, mit den Dingen fertig zu werden. Mitleid verstärkt das Gefühl der Hilflosigkeit, denn es deutet an, dass er sich in einer schlechteren Lage befindet als der, der ihn bemitleidet.

Man kann die Anstrengungen, die der Patient unternimmt, um sich seine Würde und seinen Status als erwachsener Mensch zu bewahren, durch Empathie, durch die emotionale Verbundenheit mit ihm und den Respekt vor ihm unterstützen.

Mitleid dagegen schwächt nur seinen Lebenswillen, und das muss nicht nur dem Therapeuten klar sein, sondern er muss es auch der Familie des Patienten verständlich machen. Aus diesem und anderen Gründen ist es sehr wichtig, dass der Therapeut Kontakt auch zu den Angehörigen aufnimmt und diesen Kontakt aufrechterhält.

Da der Patient in der Regel in seiner Familie lebt und Teil seiner Familie ist, muss die Therapie auch diesen Aspekt der Welt des Krebskranken berücksichtigen. Nach der herkömmlichen therapeutischen Doktrin soll der Kontakt des Therapeuten mit der Familie auf ein Mindestmaß beschränkt sein, aber die Krisentherapie kann sich dieser Forderung nicht anschließen. Wenn Patient und Therapeut einander ehrlich und rückhaltlos begegnen, dann braucht der Therapeut nicht zu befürchten, dass sein Kontakt mit der Familie in den Augen des Patienten einen Akt der Illoyalität darstellt. Zudem sind die Themen, um die es geht, zu wichtig – es handelt sich ja buchstäblich um eine Frage von Leben und Tod -, als dass man irgendwelchen hergebrachten Regeln oder Gebräuchen viel Beachtung schenken wollte oder könnte.

Die Familie bestimmt in nahezu jeder Hinsicht den Lebensraum des Patienten. Sie ist Teil seiner Realität und lässt sich nicht ignorieren. Mein Patient Stanley, der ja bereits eine traditionelle psychotherapeut-ische Behandlung hinter sich hatte, sagte einmal zu mir: „Eben das ist nun mal die Realitä!“ Der Thera-peut, der mit todkranken Krebspatienten umgeht, muss diese Realität also voll in Betracht ziehen.

Der Therapeut hat mehrere wichtige Gründe, sich mit dem Ehepartner – und/oder den Kindern – des Patienten bekannt zu machen. Zunächst einmal würden die Dinge, die er von der Familie erfährt, in den Sitzungen mit dem Patienten vielleicht sehr lange gar nicht zu Sprache kommen.

Und wenn der Lebenswille des Patienten wieder geweckt werden soll, dann muss das rasch geschehen – Zeit gehört nicht zu den Dingen, mit denen man in der Krisentherapie ganz selbstverständlich rechnen kann. Die Zeit muss hier in Wochen und Monaten gemessen werden, nicht in Jahren.

Sodann ist es wichtig, dass man den Patienten so weit wie möglich von allem zusätzlichen Druck befreit. Seine Familie kann in vielfältiger Form Druck auf den Patienten ausüben, der ihm dann oft sehr zu schaffen macht: an erster Stelle mit der für den Patienten sehr wohl erkennbaren Erwartung, dass er der gleiche Mensch bleibt, der er im Leben und Zusammenleben dieser Familie immer gewesen ist.

Wenn man der Familie begreiflich machen kann, dass der Patient sich ändern muss, damit er überhaupt um sein Leben „kämpfen“ kann, und dass diese Änderung und Entfaltung nicht das Ende ihrer Bezieh-ung zu ihm ist, sondern diese Beziehung in der Regel eher festigt, dann bleibt dem Patienten eine große Belastung erspart.

Wenn der Gedanke an eine solche Veränderung beim Ehepartner des Patienten übertriebene oder unangebrachte Befürchtungen auslöst, dann sollte der Therapeut das wissen, weil ihm dann die Schwierigkeiten des Patienten häufig gleich sehr viel verständlicher werden.

Oft ist die Familie mit den Ärzten der Meinung, dass der Zustand des Patienten hoffnungslos sei und dass er wohl nur noch ein paar Monate zu leben habe.

Wir haben an mehreren Fallgeschichten in diesem Buch aber gesehen, dass es entgegen der Meinung der Ärzte durchaus zur Remission kommen kann [1], wenn der Patient im erforderlichen Maß motiviert ist, für sein Leben zu kämpfen, und alle seine Kräfte und Möglichkeiten in diesen „Kampf“ wirft.

Aber auch wenn der Patient nicht „geheilt“ werden kann, wenn er es eben nicht schafft, so lange gegen den Krebs anzukämpfen, bis er zum Stillstand kommt, so besteht doch immer noch die Möglichkeit, dass er in seinen letzten Monaten oder Jahren das Leben bejahen und der Zukunft aus der Geborgenheit seines wahren Selbst heraus entgegensehen kann. Allein um dieses Ziel zu erreichen lohnt sich auch der hartnäckige „Kampf“.

"Wenn wir nicht mehr heilen können,
dann können wir lindern.

Und wenn wir nicht lindern können,
dann können wir trösten.

Und wenn wir nicht trösten können,
dann sind wir immer noch da."


Stefan Einhorn (b.1955, Molekular Onkologe, Karolinska Institut Stockholm):
„Die Kunst ein freundlicher Mensch zu sein“ HOFFMANN 2007


Wenn die Familie aber glaubt, dass der Patient sterben wird, dass es keine Hoffnung mehr für ihn gibt, dann wird es schwieriger denn je für ihn, zu hoffen und um sein Leben zu „kämpfen“. Für die Familie ist „Aufgeben“ natürlich häufig ein Akt des Selbstschutzes. Es immunisiert die Angehörigen bis zu einem gewissen Grade gegen die Teilhabe am Leiden des Patienten – die Familienmitglieder sind dann im-stande, sich zu sagen: „Es muss ja nun bald zu Ende gehen.“

Aber eine solche Haltung bleibt dem Patienten nicht lange verborgen und hat eine unendlich deprimier-ende Wirkung auf ihn. Wenn die Anderen nicht mehr für ihn hoffen, warum sollte er dann für sich selbst noch Hoffnung hegen?

Dazu kommt, dass diese Einstellung natürlich die Überzeugung des Patienten noch bestätigt, dass er nun einmal nicht liebenswert ist.

Ich habe im Laufe meiner Tätigkeit mehrmals Veranlassung gehabt, der Familie eines Krebspatienten zu sagen: „Wir müssen den Dingen ins Auge sehen.“

Ein solcher Satz ist ausgesprochen negativ getönt. Die Familie, die ihn hört, rechnet damit, dass ich ihn mit den Worten „Joe stirbt“ beenden werde.

Wenn ich stattdessen sage: „Joe lebt ja schließlich noch!“, dann wirkt das auf die Familienmitglieder wie ein heilsamer Schock: Sie sind aufgerüttelt und erkennen, dass Sie es waren, die Joe bereits als tot betrachtet haben.

Zurechtweisungen dieser Art müssen auch dann erfolgen, wenn die Familie dazu neigt, den Patienten wie ein unmündiges Kind zu behandeln und ihn so jener Kräfte zu berauben, die er doch braucht, um zu wachsen und sich zu entfalten.

In unserer Kultur besteht eine ganz ausgeprägte Neigung, den Patienten seelisch gewissermaßen in Watte zu wickeln – ihn nämlich zum hilflosen Kind zu machen. Das sollte man nicht zulassen.

Man muss der Familie begreiflich machen, dass „Ruhe“ keine besonders wirksame Medikation ist und der Patient von eigenen Aktionen nicht abgehalten werden sollte. Natürlich gibt es Krankheiten – wie Tuberkulose oder Hepatitis -, bei denen seine Aktivität aus medizin-ischen Gründen eingeschränkt werden muss, aber der Krebs gehört nicht dazu.

Der Patient sollte vielmehr angeregt werden, möglichst viel zu tun und zu unternehmen und erst dann innezuhalten, wenn er das Gefühl hat, er werde „vor Erschöpfung gleich umfallen“.

Häufig sind die Familie und der Arzt der Meinung, dass der Aktivitätspegel des Patienten so niedrig wie möglich gehalten werden müsse, und behindern ihn so in seinem Versuch, seinen eigenen Weg zu finden und sein eigenes Sein zum Ausdruck zu bringen.

Ich habe es oft für nötig gehalten, mich sehr energisch gegen diese Tendenz zu wenden.

Ein weiterer Grund, weshalb man eine Beziehung zur Familie des Patienten aufbauen sollte, besteht darin, dass man den Angehörigen helfen muss, sich realistisch auf die Dinge einzustellen.

Die Familie hat ja auf vielen Ebenen ganz reale Probleme, von auftauchenden finanziellen Schwierig-keiten bis hin zu der Frage, wie sie mit ihrem Kummer und ihrem Schmerz fertig werden soll, und diese Probleme sollten besprochen werden, wenn es notwendig ist.

Ein solches Gespräch mit der Familie wirkt sich oft so aus, dass dem Patienten damit eine Last von den Schultern genommen wird, insbesondere wenn er der Hauptverdiener in der Familie ist.

Ein wichtiges Anliegen des Therapeuten muss es schließlich sein, die Kinder auf den möglichen Tod des kranken Vaters bzw. der kranken Mutter vorzubereiten, so dass sie später nicht das Gefühl haben: „Wenn ich doch nur ein gehorsameres Kind gewesen wäre – dann hätte meine Mutter mich nicht verlassen.“

Allein dieses bedrückende Gefühl kann, wie wir gesehen haben, einen Menschen zu jener Selbst-verachtung und Furcht vor engen mitmenschlichen Beziehungen prädestinieren, die ihrerseits integrale Kennzeichen der krebsanfälligen Persönlichkeit sind.

Man sollte die Möglichkeit ganz ernsthaft in Betracht ziehen, dass das immer neue Auftreten des Krebses in mehreren Generationen der gleichen Familie mehr mit dieser immer wieder verstärkten gefühlsmäßigen Belastung zu tun hat als mit den genetischen Gegebenheiten.

Umgekehrt sollte der Therapeut auch die Eltern in der Vorbereitung ihrer Kinder auf den möglichen Tod des kranken Familienmitgliedes unterweisen. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen er diese wichtige Aufgabe selbst übernehmen muss. Ich hatte einmal eine schon bettlägerige Patientin, die ich zweimal in der Woche in ihrer Wohnung besucht. Sie hatte einen zehnjährigen Sohn, und ihr Mann brachte es nicht über sich, mit dem Kind über die Krankheit der Mutter zu sprechen.

Wenn ich nach der Sitzung aus dem Haus und zu meinem Auto ging, begleitete der Junge mich oft, und dann unterhielten wir uns noch etwa eine halbe Stunde über seine Gefühle und Empfindungen. Ich erklärte ihm immer wieder, dass wir nicht wissen, wodurch der Krebs verursacht wird, dass wir aber jedenfalls wissen, dass er nicht durch das Verhalten anderer Menschen entsteht.

Es war ganz gleichgültig, so sagte ich dem Jungen, wer er war oder wie er sich benahm, der Krebs wäre so und so eingetreten. Seine Mutter liebe ihn sehr und „kämpfe“ hart darum, wieder gesund zu werden, aber wenn sie nun doch nicht wieder gesund werden würde, so sagte ich ihm weiter, so könne man das keinesfalls ihm zum Vorwurf machen.*

Oft ist es notwenig, die Angehörigen – die Kinder und/oder den überlebenden Partner – noch eine ganze Weile nach dem Tod des Patienten zu begleiten. Diese Arbeit, mit der verhindert werden soll, dass durch den Tod des Patienten mehr emotionaler Schaden angerichtet wird, als absolut unvermeidlich ist, bildet einen ganz selbstverständlichen Bestandteil der Aufgabe des Therapeuten.

Häufig bitten die Patienten selbst noch um diese Art der Hilfe, und man kann ihnen ihre Bitte nicht abschlagen. Wenn dieser Dienst nicht erbeten wird, sollte man ihn sogar anbieten. Manchmal hat die Familie nicht mehr so viel Geld, um Besuche dieser Art zu bezahlen – ein Umstand, den jeder Therapeut, der mit todkranken Patienten arbeitet, im vorhinein bedenken und akzeptieren muss.

Sehr häufig geht die echte Kommunikation zwischen dem Schwerkranken und seinen nächsten Angehörigen mit der Zeit verloren. Die Angehörigen versuchen vielleicht, die Befürchtungen des Patienten zu zerstreuen, indem sie jedes Gespräch über seine Krankheit von vornherein vermeiden. Wenn das Thema doch einmal angeschnitten wird, dann versuchen sie gewöhnlich, so zu tun, als würde der Patient wieder gesund werden.

Wie wir gesehen haben, gibt es in der Tat Fälle, in denen es zu einer Resmission gekommen ist [1] [„Spontanheilung bei Krebs: 1:60.000“]. Aber wenn der Arzt den Angehörigen gesagt hat, dass es keine Hoffnung mehr gibt, dann glauben sie in der Regel nicht mehr ernsthaft an eine solche Möglichkeit.

Wenn sie dann mit dem Patienten tatsächlich einmal über die Möglichkeit seiner Genesung sprechen, dann sagen sie Dinge, an die sie selbst nicht glauben, und der Patient erspürt das unweigerlich.

Für den Patienten ist eine solche Situation ungheuer belastend und verstärkt sein Gefühl der Verlassenheit noch weiter. Das Rettungsseil, das Ihn mit den anderen verbunden hat, ist zerrissen: es gründete auf der absoluten Ehrlichkeit aller Beteiligten.

Nun nehmen die Ängste und Befürchtungen des Patienten noch weiter zu. Im Hinblick auf diese Spirale muss der Therapeut nach Kräften dafür sorgen, dass dem Patienten möglichst viele Bahnen des offenen und ehrlichen Austauschs mit anderen zur Verfügung stehen.

Volker Fintelmann: Lüge und Illusion >>>

Wie wichtig diese Ehrlichkeit, nicht nur zwischen dem Therapeuten und seinem Patienten, sondern auch zwischen der Familie und dem kranken Familienmitglied ist, kommt vielleicht am besten in der folgenden Fallgeschichte zum Ausdruck:

George, ein Mann von 67 Jahren, litt an Unterleibskrebs und war an sein Bett im Krankenhaus gefesselt. Er wusste, dass seine Krankheit tödlich war, aber er hatte Anna, seiner Frau, nicht gesagt, dass er das wusste – er wollte es ihr „ersparen“.

Nach außen hin zeigte er sich immer unbekümmert und guter Dinge. Tatsächlich wusste Anna sehr wohl, dass ihr Mann dem Tode nahe war. Aber sie verbarg dieses Wissen vor ihm und sagte immer wieder, die Ärzte hätten ihr versichert, dass er wieder gesund werden würde.

George und Anna waren seit 42 Jahren verheiratet. Sie liebten einander und waren sich sehr zugetan, aber sie brachten es nicht fertig, über dasjenige Thema miteinander zu sprechen, das jeden von ihnen mehr als alles andere in der Welt beschäftigte.

Da keiner von ihnen wagte, dieses Thema aufkommen zu lassen, gab es immer mehr Fragen und Sachverhalte, über die Sie nun auch nicht mehr miteinander sprechen konnten, weil deren Erörterung das Gespräch unter Umständen auf das verbotene Thema von Georges wahrscheinlichem Tod gelenkt hätte.

George und Anna brauchten einander jetzt mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt in ihrem gemeinsamen Leben, aber jeder von Ihnen war von der einen Person völlig abgeschnitten, die ihm am besten hätte helfen könne – vom Partner.

Anna verbrachte viel Zeit im Krankenhaus, aber trotz der physischen Nähe türmte sich eine emotionale Mauer zwischen Ihnen auf, die immer höher wurde.


Die Krebskrankheit ist immer eine Ganzheitskrankheit, das heißt,
alle Zellbürger des Zellstaates sind direkt oder indirekt betroffen.
Es gehört zu den schlimmsten Irrwegen der Schulmedizin,
die Krebskrankheit wie eine ausschließlich
örtliche Krankheit zu behandeln.

Dies zeugt von einem völligen Unverständnis biologischer Zusammenhänge.

Jede primär örtliche Schädigung, mechanischer, thermischer, radioaktiver oder chemischer Art,
mit Infektion oder ohne, führt nach unterschiedlich langer Latenzzeit – von wenigen Stunden
bis Tagen –
zu dem, was medizinisch „Allgemeinreaktion“ genannt wird, und zwar ausnahmslos.
Dies äußert sich in Signalen wie Fieber, Pulsbeschleunigung,
Unwohlsein und anderen Anzeichen.


Heilen kann eine Krankheit nicht der Arzt, sondern nur
die natürliche Heilkraft des Ganzheitsorganismus,
d.h. die Gesamtheit der Selbstheilungskräfte.


Wir Ärzte können bestenfalls heilen helfen

Die örtliche Ausschaltung eines Krebsherdes kann nützlich sein, ohne Frage.
Sie wirkt durch eine Verkleinerung des Krebszellvolumens im Ganzen und des Streuvolumens.
Mehr geht nicht. Es bleiben immer Reste irgendwo.

Und mit denen müssen die Selbstheilungskräfte (Immunsystem etc.) fertig werden.
Je mehr diese jedoch durch den örtlichen Eingriff geschädigt werden, umso kleiner ist die Heilungschance.
In der Verletzung dieser Balance liegt allzu oft die Ursache schwerster Behandlungsschäden
"

Prof. Dr. med. Julius Hackethal: „Der Meineid des Hippokrates. Von der Verschwörung der Ärzte
zur Selbstbestimmung des Patienten“ BASTEI LÜBBE VERLAG 2. Auflage 1997


Beide hatten mir gesagt, dass Sie dem anderen gegenüber nicht zugeben wollten, was Sie wussten. Meinem Gefühl nach war dies eine unerträgliche Situation, die Ihnen beiden wehtun musste, und ich beschloss, etwas zu unternehmen.

Ohne Vorwarnung und mit ziemlichen Bedenken betrat ich eines Nachmittags Georges Zimmer, als Anna bei ihm saß, und sagte:

„Es ist Zeit, dass Sie beide sich einmal darüber unterhalten, was vorgeht. Wie Sie ja beide wissen, handelt es sich um Krebs, und George ist schwerkrank. Wir sind alle sehr erschrocken, und die Sache hat ja in der Tat eine erschreckende Seite. Aber kein Mensch gibt die Hoffnung auf. Wir werden dagegen „ankämpfen“. Es gibt noch eine Menge anderer Möglichkeiten, die wir erproben können, und wenn wir sie alle durchprobiert haben, dann werden wieder neue entdeckt und erfunden. Niemand gibt auf. Wir versuchen, den „Kampf“ zu gewin-nen, und unsere Chancen stehen nicht so schlecht. Aber trotzdem ist es gefährlich und erschreckend und traurig, und es gibt Dinge, über die man ruhig mal ein paar Tränen vergießen darf. Ich weiß, wie jedem von Ihnen zumute ist, und es ist Zeit, dass Sie es einander auch wissen lassen. Sie haben sich Ihr ganzes Leben lang geliebt und einander geholfen, und Sie brauchen einander auch jetzt.“

Das war ein dramatischer Schritt, aber im Krankenhaus ist ein solches Vorgehen recht häufig notwendig. Jeder, der jemals mit todkranken Patienten zu tun gehabt hat, wird das ohne Zögern bestätigen.

Die gleiche Notwendigkeit kann natürlich auch außerhalb des Krankenhauses gegeben sein. Unter anderen als den geschilderten Umständen wäre die Annäherung zwischen George und Anna vielleicht dadurch bewirkt worden, dass man mit jedem von ihnen allein gesprochen und dafür gesorgt hätte, dass sie das offene Gespräch auf ihre eigene Weise eröffnet hätten. Die Unterredung hätte in meiner Sprechstunde oder in der Wohnung des Patienten stattfinden könne.

Wo immer das der Fall ist – ich verlasse anschließend den Raum, aber ich bleibe erreichbar für den Fall, dass Fragen auftauchen sollten, die ich vielleicht beantworten kann.

Leider bestärken Ärzte und Schwestern die Angehörigen häufig noch in dieser Unaufrichtigkeit, wie sie auch zwischen George und Anna bestand. Der Grund liegt darin, dass auch sie, die Ärzte und Schwestern, der Auffassung zuneigen, dass der Patient „ja so gut wie tot ist“.

Meine feste Überzeugung, dass es noch viel zu tun gibt – dass man auch einem Todkranken zumindest noch dazu verhelfen kann, dass er ein Stück weit sein wahres Selbst entdeckt, bevor er stirbt, oder dass man ihn, mit mehr Glück, seinen Lebenswillen, den Glauben an sich selbst zurückgeben kann, der ihm im „Kmapf“ um sein Leben hilft -, diese Überzeugung ruft bei den Ärzten unweigerlich gemischte Gefühle auf den Plan.

Natürlich ist es nicht so, dass der Patient ihnen gleichgültig wäre. Aber ihre Betrachtung des Krebses als einer Krankheit beruht doch auf sehr enggefassten Annahmen, die sich nun schon allzu lange einer breiten Zustimmung erfreuen.


"Die Diagnose stimmt,
aber dem Patienten
fehlt etwas anderes."

Aus: "Die ärztliche Diagnose" Bergmann Verlag 1.Auflage 1917

Richard Hermann Koch
(1882-1949)
Jüdischer Arzt, Medizinhistoriker


Indem man die "Diagnose" zur "Krankheit" erklärt, wird man zum "Patienten"
und darf - selbst passiv bleibend - Hilfe und Heilung von "Außen",
von einem "Arzt" oder "Therapeuten" erwarten
:

Damit wird man der Eigenverantwortung, des eigenen Handelns, der Selbständigkeit
und schließlich des notwendigen Vertrauens auf die "Selbstheilungskräfte"
enthoben und beraubt.


Was die Schwestern angeht, so liegt das Problem hier wieder etwas anders. Ich habe einmal einen Test an einem Krankenhaus durchgeführt, um zu sehen, wie lange es dauerte, bis die Schwestern auf das Klingeln aus den Zimmern der verschiedenen Patienten reagierten.

Statistisch betrachtet verging vom Augenblick des Klingelzeichens bis zu ihrem Eintritt in das Zimmer eines todkranken Patienten mehr Zeit als bis zum Eintritt in das Zimmer eines Patienten, bei dem keine Todesgefahr bestand. Das ist eine ganz und gar verständliche Reaktion.

Schwestern stehen oft unter erheblichem Druck, und ihre Belastbarkeit hat – ebenso wie meine oder die irgendeines anderen Menschen – ihre Grenzen.

Festzuhalten bleibt eines: Der Krebspatient ist sich völlig im klaren darüber, dass die Schwestern recht lange brauchen, um zu ihm hereinzkommen. Dieser Umstand wird nur zu leicht wiederum als Zurück-weisung gewertet und bestärkt den Patienten in seinen Zweifeln hinsichtlich des eigenen Wertes.

Nachdem ich meine Untersuchung abgeschlossen hatte, wurden die Schwestern zusammengerufen und über das Ergebnis unterrichtet. Anfangs bestritten sie energisch, dass sie sich mit dem Gang ins Zimmer sterbender Patienten recht viel Zeit gelassen hatten. Aber die Messungen waren nicht zu widerlegen.

Nachdem ich erklärt hatte, warum diese „Verspätungen“ mich so interessierten, kam es zu einer sehr offenen und stellenweise sehr emotionell geführten Diskussion zwischen den Schwestern und mir.

Sie sprachen über den Schmerz und die Qualen, die sie angesichts der häufigen Todesfälle empfanden, und dies um so heftiger, je besser sie den betreffenden Patienten als Menschen gekannt hatten. Am Ende versicherten mir mehrer der Schwestern, das sei ein sehr interessantes Gespräch gewesen, und es sei ihnen nun klar geworden, wie viel ihre Gegenwart dem Patienten tatsächlich bedeute.

Die Welt des Krebspatienten kann, obwohl von Schmerz und Trauer geprägt, noch einmal übergehen in die Welt der Lebenden, und dies selbst bei Patienten, deren Zustand als hoffnungslos gilt [1].

Gewiss darf der Therapeut keine falschen Hoffnungen nähren. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass das Wort „hoffnungslos“ aus der Welt des Krebspatienten verbannt werden sollte und verbannt werden kann. Als Therapeut habe ich die Aufgabe, dem Patienten dabei zu helfen.

„Krebs
ist
keine
Verurteilung,
es
ist
nur ein Wort“

Dr. med. Bernie Siegel

„Prognose Hoffnung – Liebe, Medizin und Wunder“ ULLSTEIN 2.Auflage 2004 - „Love, Medicine & Miracles“ 1986
Facharzt für Allgemein- und Kinderchirurgie. Lehrt an der Yale Universität New Haven – Connecticut
Exceptional Cancer Patient Group EcaP -
"Außergewöhnliche Krebs - Gruppen Patienten"

„Außergewöhnliche Patienten weigern sich ein "Opfer" zu sein.
Um außergewöhnlich zu sein, braucht man "Mut".
Sie lernen von anderen, doch sie treffen
Ihre eigenen Entscheidungen.

Sie bemühen sich selbst und riskieren etwas,
und wenn eine Behandlungsmethode nicht funktioniert,
hören Sie damit auf und versuchen es mit etwas anderem.

Hoffnung spielt sich im Kopf ab, ist ein psychologischer Vorgang.
Wer die Hoffnung aufgibt, entschließt sich zu sterben.
Wir können uns selbst und damit auch die Zukunft ändern“




Lawrence LeShan
www.healingcancer.info


Aus: Lawrence LeShan (b.1920, US-Psychologe, Psychotherapeut, Pionier der psycho-bio-logischen Krebsforschung): „Psychotherapie gegen Krebs. Über die Bedeutung emotionaler Faktoren bei der Entstehung und Heilung von Krebs“ Kapitel: Die Welt der Krebspatienten. Seite 169 – 186. Klett-Cotta 2001(You Can Fight for Your Life: Emotional Factors in the Treat-ment of Cancer 1977

* Außerordentlich hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein Buch von Eda LeShan [1922-2002] mit dem Titel „Learning to say Goodbye: When a Parent Dies“ New York Macmillan 1976


[Meine Ergänzungen: Bilder, Zitate]
Dr. med. Alois Dengg, A-6290 Mayrhofen, Hollenzen 100: www.draloisdengg.at

[1] Herbert Kappauf: „Wunder sind möglich – Spontanheilungen bei Krebs“ (1:60.000) HERDER 2003

Paul C. Roud (US Psychologe, Arzt): „Diagnose: Unheilbar, Therapie: Weiterleben“ – Zwölf Geschichten von Menschen, die als unheilbar galten. Die Geschichte ihrer Heilung zeigt: Wunder sind kein Zufall (Making Miracles. An Exploration into the Dynamics Of Self- Healing, Warner Books 1990) KREUZ VERLAG 1992

Helm Stierlin (1926- , Prof.em.,Dr. med et phil), Ronald Grossarth Maticek (1940- ,Dr.phil, Dr.med.): “Krebsrisiken – Überlebenschancen – Wie Körper, Seele und soziale Umwelt zusammenwirken” CARL AUER 3. Auflage 2006 (1998)

Ronald Grossarth Maticek (1940- ,Dr.phil et Dr.med., Medizinsoziologe): „Krankheit als Biographie. Ein medizinsoziologisches Modell der Entstehung und Therapie der Krebserkrankung“ KIEPENHEUER & WITSCH 1979

Gerald Pohler(b.1953, Dr.phil, Wien): „Krebs und seelischer Konflikt - Psychosoziale Krebsforschung“ NEXUS 1989

Andrew Weil: „Spontanheilung – Die Heilung kommt von innen“ C. BERTELSMANN 1995

Rüdiger Dahlke (b.1951, dtsch. Arzt, Psychotherapeut): „Krankheit als Sprache der Seele - Be-Deutung und Chance der Krankheitsbilder“ BERTELSMANN 9.Auflage 1992, u. Taschenbuchausgabe 2008

Elida Evans (US-Psychologin aus der Jungschen Schule): “A Psychological Study of Cancer“ Dodd, Mead and Company 1926

Bernie Siegel (FA für Allgemein- und Kinderchirurgie USA): „Prognose Hoffnung – Liebe, Medizin und Wunder“ (Love, Medicine & Miracles 1986) ULLSTEIN 2.Auflage 2004 (1988 Econ Verlag)

Josef Issels (1907-1998): "Mein Kampf gegen den Krebs - Erinnerungen eines Arztes" Ullstein Sachbuch 1983 (1981)

Josef Issels war ein bedeutender deutscher Arzt, - wirkte in der "Ringbergklinik" (bis 1973) in Rottach-Egern am Tegernsee und von Ende 1976 bis Ende 1979 in der "Klinik für Ganzheitsmedizin GmbH" in Bad Wiessee am Tegernsee - der durch eine von ihm entwickelte komplementär-medizinische Krebstherapie - „Die Ganzheitliche interne Krebstherapie“ - Issels-Therapie, bekannt wurde und dadurch weltweit eine große Kontroverse unter Ärzten und Medizinern auslöste.

Prof. Dr. med. Julius Hackethal (1921-1997): „Der Meineid des Hippokrates. Von der Verschwörung der Ärzte zur Selbstbestimmung des Patienten“ BASTEI LÜBBE VERLAG 2. Auflage 1997

Julis Hackethal promovierte 1945 und wurde 1950 Facharzt für Chirurgie. Habilitation 1955/56. Von 1956 bis 1964 Oberarzt an der chirurgischen Universitätsklinik Erlangen/ Nürnberg. 1962 Ernennung zum Professor. 1965 bis 1974 Chefarzt des Städtischen Krankenhauses Lauenburg/Elbe; danach – bis 1981 – eigene Praxisklinik für Chirurgie. 1981 bis 1988 Regiearzt des EUBIOS - Zentrum am Chiemsee und seit 1989 eigene EUBIOS – Gutspark Klinik für Ganzheitsmedizin und ausgewählte Chirurgie in Riedering/Spreng (Rosenheimer Land).

EUBIOS (gr. eu = gut, wohl, gehörig, recht, insbesondere aber glücklich, Glück verheißend, Glück bringend, gr. bios = Leben, Lebensweise, Lebensart) ist eine eigene Wortkombination, die Hackethal erstmal 1978 in seinem Buch „Keine Angst vor Krebs“ zur Abgrenzung seines Konzeptes für ein Behutsames bzw. Sanftes Krebs Bekämpfungsprogramm gegenüber der orthodoxen Schulmedizin benutz hat. Später wurde EUBIOS zum Markenzeichen für sein Gesundheitsprogramm mit folgenden Zielen:

Bestmögliche Gesundheitshilfe für ein möglichst glückliches Leben des Patienten – nicht aber zu einem Leben um jeden Preis – nach seinem höchstpersönlichen Wunschwohl und unter seiner Therapiehoheit. Und auf Seiten des Arztes mit dem "EUBIOS –Humanitas – Gelöbnis" und den Regeln der Ganzheitsmedizinwissenschaft als Gesetz für eine Berufsausübung „von Freund zu Freund“.

Die EUBIOS - Gesundheitshilfe ist also weder eine Antischulmedizin noch eine Alternativmedizin, sondern eine Mischung aus moderner Schulmedizin und einer Vielzahl anderer Gesundheitshilfen, die sich stellvertretend oder ergänzend bewährt haben

Stefan Einhorn (b.1955, Prof., Molekular Onkologe Karolinska Institut Stockholm): „Die Kunst ein freundlicher Mensch zu sein“ HOFFMANN&CAMPE 2007 (Konsten att vara snäll“ 2005)

Siehe ZITATE:
Karl Kraus / Wie es einer Patientin oder einem Patienten wirklich geht >>>
Hans U. Niemitz / Gutachten Hamer's Neue Medizin
>>>
Karl Popper / Über die Zukunft >>>
Pierre Franckh / Wie reagiert unser Resonanzfeld >>>
Julius Hackethal / Die Krebskrankheit >>>
Bernie Siegel /Der menschliche Geist >>>
Wilhelm Reich / Die Krebsgeschwulst >>>
Elida Evans / Krebs >>>

Alexander Solschenizyn / Krebsstation >>>
In Memoriam Josef Issels / Ganzheitliche Krebstherapie >>>
Werner Schneyder / Krebs - Eine Nacherzählung >>>
Volker Fintelmann / Lüge und Illusion
>>>

Frederic Chopin / In mir klingt ein Lied
>>>
David Servan Schreiber / Der Angst die Spitze nehmen
>>>
Asmus Finzen/ Warum werden unsere Kranken wieder gesund? >>>

Siehe INFOS:

Info für Ratsuchende / Die Illusion der Gewissheit >>>

Denkrahmen der Logik >>>
Statistik Glossar & Allerlei >>>

Siehe LEISTUNGEN:
Palliativmedizin >>>
Additive Krebstherapie >>>

Meine "unvollständige" Literaturliste >>>