"Stelle keine festen
Behauptungen auf,
vor allem keine Theorien,
ohne die gleichzeitige Bereitschaft,
diese ständig einer kritisch-rationalen Prüfung
zu unterziehen, sie, wenn nötig,
zu revidieren
oder auch aufzugeben.
Versuche ständig,
deine
jeweiligen hypothetischen Theorien
zu falsifizieren, denn
nur so
ist der Fortschritt
der Wissenschaften
denkbar und möglich."
Hans Albert
(1921-2023)
Deutscher Philosoph und Soziologe
Vertreter des Kritischen Rationalismus
„Alle Sicherheiten
in der Erkenntnis
sind selbstfabriziert
und damit
für die Erfassung der Wirklichkeit
wertlos“
Aus:
Hans Albert: "Traktat über kritische
Vernunft" (1968)
J.C.B. Mohr. 5. Auflage 1991. S. 36
"Hans Albert nimmt
eine grundsätzliche Fehlbarkeit menschlicher Vernunft an.
Die Geschichte beweist, dass sich Menschen beim Bilden vor allem von
Theorien,
die ja nicht bloße Tatsachenfeststellungen sind, täuschen können.
Der Theologe Karl Heinz Weger [1932-1998] erinnert daran,
dass die Bildung von bestimmten Theorien von meist
einem
grundlegenden
und als einsichtig betrachteten Satz ausgeht, auf dem alles andere
aufgebaut ist.
Beispielhaft ist jener Satz aus Rene Descartes [1596-1650]
Meditationes [1]:
"Und ich will so lange weiter vordringen, bis ich irgendetwas
Gewisses ... erkenne ...
Nichts als einen festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes
[von Syrakus, 287-212 v. u. Z], um die ganze Erde von ihrer Stelle zu
bewegen,
und so darf auch ich Großes hoffen, wenn ich nur das Geringste finde,
das sicher und unerschütterlich ist".
Eine derart als sicher angenommener Ausgangspunkt der Erkenntnis
wird im Kritischen Rationalismus bestritten. Er stammt aus der
Erfahrung,
"dass unser Denken und Handeln der
Irrtumsmöglichkeit unterworfen ist,
sodass derjenige, der ein echtes Interesse an der Wahrheit hat,
daran interessiert sein muss, die Schwächen und Schwierigkeiten
seiner Denkresultate und Problemlösungen kennen zu lernen,
Gegenargumente zu hören, um sie vergleichen,
modifizieren und revidieren zu können"
Das als ungenügend
geltende, weil nicht durchzuführende
"Verifikationsprizip" ist abgelöst ...
[1]
1641
in Paris zunächst lateinisch gedruckt: "Méditations sur la philosophie première,
dans laquelle sont démontrées l’existence de Dieu et l’immortalité de
l’âme",
so der Titel
einer französischen Übersetzung von 1647 -
„Meditationen über die Erste Philosophie, in der die
Existenz Gottes
und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird“,
deren 2.
Auflage 1642 in Amsterdam mit geändertem Untertitel erschien,
„denn ich kann nicht beweisen, dass Gott die Seele nicht vernichten
könnte,
sondern nur, dass sie von völlig anderer Natur als der Körper
ist und nicht mit dem Körper stirbt“.
Brief an Marin Mersenne [1588-1648] vom 24. Dezember 1640:
"Méditations
sur la philosophie première,
dans laquelle sont démontrées l’existence de Dieu
et la distinction de
l’âme et du corps" -
„Meditationen über die Erste Philosophie, in der
die Existenz Gottes und der Unterschied zwischen Seele und Körper
bewiesen wird“. [Quelle:WIKI]
Der Kritische Rationalismus räumt auch ein, dass Beobachtungen,
Experimente, Instrumente
für die Kontrolle
und die Kritik theoretischer Konzepte wichtig sind.
Doch zur Gewissheit führt
auch das nicht.
Hinzu kommt,
dass es,
wie schon David Hume [1711-1777] annahm,
keinen gültigen
Schluss von noch so vielen
Einzelbeobachtungen auf ein immer und
überall gültiges Gesetz gibt.
Auch was tausendmal verifiziert wurde, kann beim tausendhundersten Mal
falsch sein.
Nicht zuletzt
aus diesem Grund wird Fallibilismus ["Die prinzipielle
Fehlbarkeit aller Problemlösungen"] gefordert.
Es gibt keinen sicheren
Ausgangspunkt, keinen archimedischen Punkt in unserer Erkenntnis.
So sind Theorien nie gewiss.
Sie müssen entweder behauptet
oder
aufgegeben werden.
Eine erste
Möglichkeit, an der die Behauptung einer letztbegründeten Wahrheit
scheitern wird,
ist der so genannte
infinite Regress [Endlosrekursion,
unendlicher Regress]. Das bedeutet,
dass der Prozess der Begründung nie endet.
Wir können für eine Begründung, auch eine,
die behauptet, eine Letztbegründung zu sein, stets auf weiteren
Begründungen bestehen.
Denn
die Begründung eines zu erklärenden Phänomens benötigt ihrerseits
wieder eine Begründung.
Die zweite Möglichkeit, an der die Behauptung einer letztbegründeten
Wahrheit scheitern wird,
besteht im
Zirkelschluss
[logischer Zirkel, Circulus vitiosus]. Dies bedeutet, dass
eine Behauptung
über ein Phänomen aufgestellt wird,
die in dem behaupteten Phänomen
selbst schon enthalten ist.
Ein
Beispiel: "Warum legen Hühner Eier?
Sie sind Hühner.
Warum sind sie
Hühner? Sie leben Eier."
Die letzte Möglichkeit, an der die Behauptung scheitert, ist der
willkürliche Abbruch des
Begründungsverfahrens
[Rekurs auf ein Dogma].
Es wird einfach
behauptet,
dass ein Phänomen mit der abgegebenen und hinreichend begründeten
Behauptung erklärt sei - und Schluss.
Ein Beispiel: "Nehmen wir an, Sie behaupten: Verheiratete sollten sich
niemals scheiden lassen können.
Auf die entrüstete Gegenfrage,
warum
das denn so sein müsse, antworten Sie, weil Jesus es so wollte
und wir
ihm folgen müssen. Warum?
Weil er Gottes eingeborener Sohn war und ist
und alle Menschen
den Anordnungen Gottes zu folgen haben."
Und um weitere Gegenfragen bereits im Keim zu ersticken,
fügen Sie
hinzu:
"Wer's glaubt, wird selig,
alle anderen werden in die Hölle verdammt
und damit Ende der
Diskussion!"
Wollen Sie den
infiniten
Regress und den
logischen
Zirkel vermeiden, wird anhand des
erwähnten Scheidungsbeispiels deutlich,
dass der
[dogmatische] Abbruch des
Begründungsverfahrens eher
gangbar ist und deshalb in der Praxis häufig angewandt wird.
[- das sog.
Münchhausen -Trilemma
-]
Er scheint sogar
ein festes Fundament des sicheren Wissens zu bieten, solange Sie
nur
Ihre Behauptungen gut genug
gegen kritische Einwände immunisieren
können.
Sie sichern Ihre Aussagen ab, indem Sie sie zu absolut gültigen
Behauptungen erheben,
an denen kein Zweifel möglich scheint
und gar
nicht erst erlaubt sein soll. Aber letzten Endes muss bei dieser
Strategie in Kauf genommen werden,
dass einem
das vermeintlich sichere
Fundament unter den Füßen weggezogen wird.
Denn dieser Abbruch der
Begründungskette
und die damit beabsichtigte Immunisierung gegen
Kritik
ist nichts anderes als der Rekurs auf ein Dogma.
Ein Dogma, das
aufgestellt wird,
um den Behauptungen das Risiko des Scheiterns
an
möglichen Einwänden zu nehmen.
Hans Albert versucht, dem Anspruch der klassischen Erkenntnislehre auf
Letztbegründung
und damit jeglichem Dogmatismus zu entgehen.
Da es keine
unfehlbaren Aussagen, Behauptungen,
Sätze, Theorien geben kann, wird
an die Stelle einer unfehlbaren Dogmatik die Hypothese gesetzt.
Unsere Aussagen über die Welt sind stets als
vorläufige Setzungen,
als Annahmen über die Vorgänge einer
angenommenen realen Welt zu verstehen.
Unsere Aussagen über die Welt
sind Theorien, die so lange als gültig angesehen
werden können, bis
eine neue Theorie die Beschreibung der Welt verbessert.
Eine solche Theorie, die sich selbst als hypothetische Annahme
auffasst,
kann eine größere Erklärungskraft besitzen, die Welt
umfassender
und genauer beschreiben und weniger Widersprüche und
größere Übereinstimmung mit der realen Welt aufweisen.
Somit kann
mithilfe einer umfassenden Prüfung der Aussagen über die Wahrheit
unserer Erkenntnisse
und unseres Wissens über die reale Welt
versucht
werden, jede Theorie einer Erprobung
zu unterziehen, sie scheitern
oder sich bewähren zu lassen und somit der Wahrheit
vielleicht ein
Stück näher zu kommen.
Näher jedenfalls, als es dogmatischen
Behauptungen möglich ist.
Denn diese beanspruchen,
die absolute und
einzige Wahrheit darzustellen.
Fallibilisten [lat. fallere: täuschen, betrügen, verbergen;
fallibel: fehlbar, dem Irrtum unterworfen]
vertreten nicht die Meinung, wir irrten uns
immer. Sie sagen, dass wir uns immer irren können.
[Bedeutenster Vertreter: Sir Karl Raimund
Popper (1902 Wien-1994 London) mit seinem Kritischen Rationalismus]
Fallibilisten brauchen auch keine Skeptiker zu sein, die annehmen, wir
hätten stets Grund zum Zweifel an unseren Überzeugungen.
Die fallibilistische Position besagt nicht, dass es keine gerechtfertigten
Überzeugungen gibt, sondern nur, dass auch die beste
Rechtfertigung
einen möglichen Irrtum nicht ausschließen kann.
Fallibilistische Positionen gehen auch nicht davon aus,
dass
unsere Überzeugungen
nie Wissen
sein können, sondern dass wir nie sicher sein können, ob sie
wahres Wissen sind."
Aus: Horst
Herrmann: "Agnostizismus - Freies Denken für Dummies. Seite 248-251. WILEY 2008
Siehe ZITATE:
Horst Herrmann / Agnostizismus - Freies Denken
>>>
Siehe dazu auch: Hans Albert
(b.1921, deutscher Philosoph, Soziologe.): „Kritischer Rationalismus“
MOHR SIEBECK 2000,
„Traktat über kritische Vernunft“ 5.verbesserte und erweiterte Auflage
1991 (1968),
stiller Nachdruck 2011 MOHR SIEBECK UTB
Verifizierung
oder Verifikation (lat. veritas
‚Wahrheit‘, facere ‚machen‘) ist der Nachweis, dass ein vermuteter
oder behaupteter Sachverhalt wahr ist. Der Begriff wird unter-
schiedlich gebraucht, je nachdem, ob man sich bei der
Wahrheitsfindung nur auf einen geführten Beweis stützen mag oder aber
auch die in der Praxis leichter realisierbare
bestätigende Überprüfung
und Beglaubigung des Sachverhaltes durch Argumente einer unabhängigen
Instanz als Verifizierung betrachtet. In der Wissenschaftstheorie
versteht
man unter der Verifizierung einer Hypothese den Nachweis,
dass diese Hypothese richtig ist. Logischer Empirismus und
Positivismus gehen davon aus, dass
solche Nachweise führbar seien. Im
Rahmen des kritischen Rationalismus (Karl Popper) wird argumentiert,
dass es Verifikation nicht gibt.
Kritischen
Rationalismus: Eine von Sir Karl Raimund Popper (1902-1994)
begründete und in Deutschland vor allem von Hans Albert vertretene
philosophische Denkrichtung,
nach der Erkenntnis
durch das Zusammenspiel von fantasievoller Kreativität und kritischem
Hinterfragen ermöglicht wird. Der Kritische Rationalismus
verwirft die Vorstellung,
es gebe Verfahren, mit denen Wissen
begründet werden kann und Vernunft zeichne sich durch den Gebrauch
solcher Verfahren aus. Er schlägt vor, diese Ansicht in
Wissenschaft,
Politik und anderen Bereichen durch die Suche nach der Lösung für
konkrete Probleme mittels Versuch und Irrtum zu ersetzen.
Falsifikation, Falsifizierung (lat. falisificare „als
falsch erkennen“) oder Widerlegung, ist der Nachweis der
Ungültigkeit einer Aussage, Methode, These, Hypothese
oder Theorie.
Aussagen oder experimentelle Ergebnisse, die Ungültigkeit nachweisen
können, heißen „Falsifikatoren“. In der Wissenschaftstheorie nach Karl
Popper
nimmt die Falsifizierbarkeit einer Theorie oder Hypothese eine
zentrale Rolle ein. Falsifizierte Aussagen, Thesen, Theorien sind für
die Wissenschaft als Methode des
Kenntnisgewinns wertlos und werden
verworfen. Sinn haben sie nur mehr in der
wissenschafts-geschichtlichen Betrachtung, um Lehren aus falschen
Ansätzen zu ziehen.
Siehe ZITATE:
Heinz von Foerster:
Ständig entscheiden wir >>>
Fallibilismus - "Die prinzipielle Fehlbarkeit aller
Problemlösungen": Eine Neuere Grundsatzposition in der
Erkenntnistheorie.
Fallibilisten behaupten, dass es in einem
bestimmten Erkenntnisbereich eine absolute Gewissheit geben kann, dass
diese sich aber nicht sicher erkennen läst.
Es lasse sich nie
ausschließen, dass das, was wir als wahr akzeptiert haben, falsch sein
könnte. Wir können uns immer irren. Rechtfertigungsstrategien mit dem Ziel,
eine Letztbegründung zu erreichen, können nicht zum endgültigen Erfolg
führen. Es bleibt uns nur, ständig unsere Überzeugungen auf Irrtümer
hin zu prüfen
und eventuell zu revidieren. "Als Konsequenz besteht die
Aufgabe der Wissenschaft nicht im Nachweis der Wahrheit
wissenschaftlicher Aussagen (Verifikation),
sondern in der Elimination
von Irrtümern (Falsifikation)".
Aus:
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/fallibilismus.html