Das Terrain der Selbstbestimmung erobern


Aus: Maja Storch: „Mein Ich-Gewicht: Wie das Unbewusste hilft, das richtige Gewicht zu finden“
7. Kapitel: Von Kathedralen und Schwarzwälder Kirschtorten: Ab sofort wird alles anders.
Das Terrain der Selbstbestimmung erobern. Seite 180-182
GOLDMANN 4.Auflage 2009 (2007)


Venus von Willendorf
Sie wurde am 7. August 1908 bei Bauarbeiten der Donauuferbahn in Willendorf in der Wachau
vom Archäologen Josef Szombathy (1853-1953) gefunden. Die Skulptur entstand um 25.000 v. Chr.
und gehört damit dem Gravettien an. Das Gravettien ist die wichtigste archäologische Kultur
des mittleren Jungpaläolithikums [1] in Europa. [1] Der jüngere Abschnitt der eurasischen Altsteinzeit
von vor etwa 40.000 Jahren bis zum Ende der letzten Kaltzeit (Beginn des Holozäns) um etwa 9.700 v. Chr.
[Quelle: WiKi, Internet]


Die Auswahl an Lebensentwürfen und an zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten, die viele Menschen heute genießen, ist riesig. Wer Wahlmöglichkeiten hat, braucht aber auch Wahlkompetenz. Und genau mit dieser Thematik habe ich sie über sieben Kapitel beschäftigt. Dies ist kein weiteres Buch über Diäten, Abnehmtipps und Sportvorgaben, denn davon gibt es bereits genügend - sogar eher zu viel als zu wenig.

Dieses Buch behandelt ausschließlich einen Aspekt der gesamten Thematik der gesunden Lebensführung: die Psychologie des Ich-Gewichts [1]. Es bedient sich hierzu der Erkenntnisse eines Kreises von psychologischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in jahrzehntelanger akribischer Forschung viel abgesichertes Wissen über die Selbstregulationsfähigkeiten des psychischen Systems zusammengetragen haben.

Dieses Buch hat die Absicht, Menschen einen Leitfaden dazu in die Hand zu geben, sich ein wichtiges Terrain zu erobern: das Terrain der Selbstbestimmung. Denn dies wird ihnen in der heutigen Zeit immer schwerer gemacht, weil die Beeinflussungsversuche in der Medienlandschaft allgegenwärtig sind.


Selbstbestimmt leben heißt, den Begriff der Normalität für sich individuell zu definieren. Normalität hat ein riesiges Spektrum an Varianten. Innerhalb dieses Variantenreichtums den eigenen Platz zu finden und sich da gut zu verwurzeln, das ist die Kunst. Wer extremes Unter- oder Übergewicht hat, begibt sich in professionelle Hände, genauso wie jemand, der Zahnweh hat oder unter chronischen Rückenschmerzen leidet. Dazwischen gibt es ein großes Mittelfeld, in dem alle anderen Menschen wohnen - die langen Schlanken, die kleinen Zierlichen, die molligen Runden und die muskulösen Athletischen. Alle sind sie gesund, alle sind sie auf ihre Art schön, alle sind sie individuell.

Diese Vielfalt ist bereichernd, und es muss uns allen ein Anliegen sein, sie zu bewahren und sie nicht zugunsten einer Norm, die wirtschaftlichen Interessen dient und viele Menschen unglücklich macht, zu opfern. Je mehr Menschen ein sicheres Gespür für Ihr Ich-Gewicht [1] entwickeln, desto weniger Macht können die Gleichmacher und Normierer ausüben.

Es gibt Interessengruppen für den Artenschutz von Schmetterlingen, von Blumengattungen und von alten Kartoffelgruppen. Wer kümmert sich um den Artenschutz der menschlichen Vielfalt? Kümmern sie sich darum! Ihr Beitrag zum Artenschutz der menschlichen Vielfalt besteht darin, Ihre Fähigkeit, Selbstregulierende Willenskraft [2] zu erzeugen, dafür einzusetzen, Ihre persönliche Variante von Ich-Gewicht zum Gedeihen und Blühen zu bringen. Und jedes Individuum, dem es gelungen ist, den fremden Einflüssen zu kündigen und ihnen für die eigene Psyche Hausverbot zu erteilen, trägt alleine durch die Tatsache der eigenen Existenz zur Bereicherung der Artenvielfalt bei.

Jeder rundliche Mensch, der glücklich mit dem Runden ist, jeder runzelige Mensch, der das Altern als normalen Teil des Lebens betrachtet, jeder Mensch mit einer außergewöhnlichen Nase, der diese Nase nicht als einen Störfaktor, sondern als ein Charakteristikum auffasst, hat eine selbstverständliche Ausstrahlung und kann anderen Menschen dabei helfen, ein Vorbild zu haben, um sich selbst vom Druck der Norm zu verabschieden. Das ist es, was ab sofort anders werden sollte, in meinen Augen zumindest.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine richtig gute Portion STURHEIT und als Beilage eine große Kelle BEHARRLICHKEIT, garniert mit einer kräftigen Prise EIGENSINN. Wenn sie von dieser Mahlzeit genug zu sich nehmen, dann werden Sie im Laufe der nächsten Zeit immer besser wissen, was es für Sie persönlich heißt, Ihr Ich-Gewicht zu besitzen ...

Der Mensch verfügt über zwei Systeme, die Handlung hervorbringen können. Das eine System ist an das Bewusstsein gekoppelt - Bewusster Verstand, es arbeitet mit Sprache und Logik. Das andere System - Adaptives Unbewusstes, arbeitet ohne Kenntnisnahme des Bewusstseins, also unbewusst.



A
daptives Unbewusstes
Das Selbst, Das emotionale Erfahrungsgedächtnis
~ 200msec



Bewusster Verstand
~ 900msec


dauernd im Einsatz
große Verarbeitungskapazität
wenig störanfällig
stabil - impulsiv

WAHRNEHMUNGSEBENE
Inhalte verbunden nach Ähnlichkeit
und/oder Nähe im Raum und Zeit
(Assoziationen, Erinnerungen)

BEWERTUNGSZEITRAUM - Zeithorizont
kurzfristige Ziele
lebt im Hier und Jetzt

BEWERTUNGSMASSSTAB
hedonistisch
gut für mich/schlecht für mich

MITTEILUNGSKANAL
diffuse Gefühle - Körperempfindungen
= somatische Marker - Körpersignale
emotionales Erfahrungsgedächtnis

KÖRPERWAHRNEHMUNG
Body-Schema (Körperschema)
Körper-Selbst

ANNÄHERUNGSZIEL
Die Möglichkeit, das in Sprache zu fassen,
was man anstrebt.

SELBSTREGULATIONSMODUS
"Wie will Ich denn sein?"

"gut geschützt", "frei und selbstständig",
"mit Leichtigkeit"
"spielerisch", "nach Lust und Laune"
"Ich möchte gut atmen können"






manchmal im Einsatz
geringe Verarbeitungskapazität
störanfällig
flexibel

BEDEUTUNGSEBENE
Inhalte verbunden nach
Regeln der Logik

BEWERTUNGSZEITRAUM - Zeithorizont
langfristige Ziele
kann Zukunft bearbeiten

BEWERTUNGSMASSSTAB

logisch
richtig/falsch


MITTEILUNGSKANAL

präzise Sprache



KÖRPERWAHRNEHMUNG

Body-Image
Körper-Bild

VERMEIDUNGSZIEL

Die Möglichkeit, das in Sprache zu fassen,
was man vermeiden will.

SELBSTKONTROLLE
(mit schlechtem Gewissen, Angst, Anspannung etc.)

"Ich muss mehr Sport machen, sonst habe Ich bald einen Herzinfarkt"


Worte, die die Vorsilbe UN- aufweisen:
UN-verletzlich, UN-abhängig, UN-beschwert
Hemmungs-LOS, Alle Arten von Komparativen (Steigerungsstufen): "Ich möchte besser
atmen können"





[1] Ich-Gewicht: Dieser Begriff soll helfen, das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper zurückzuerobern. Das Ich-Gewicht unterscheidet sich von allen anderen Definitionen des korrekten Körpergewichts durch vier wesentliche Merkmale.

1. Ich-Gewicht wird gefühlt, nicht errechnet

Die herkömmliche Methode, um das richtige Gewicht herauszufinden, besteht in mathematischer Aktivität. Zur Verfügung stehen wechselnde Formeln, von denen ich im Laufe meines Lebens drei verschieden kennengelernt habe.
Mathematik auf en eigenen Körper anzuwenden heißt, das eigene Wohlbefinden von Zahlen abhängig zu machen. Selbstverständlich benötigt man Richtwerte, um extremes Übergewicht [BMI< 35] oder gefährliches Untergewicht [BMI< 15] aus medizinischer Sicht klar definieren zu können. Für den großen Bereich der Menschen, deren Körperumfang sich zwischen den beiden Außen-bereichen in der gemütlichen Mitte der statistischen Normalverteilung befindet, sind Zahlen jedoch irreführend, denn sie entfernen den Menschen vom Gefühl für sich selbst und führen zur innerpsychischen Entfremdung.

2. Ich-Gewicht ist flexibel, nicht normiert

Alle Maße, die sich aus Tabellen ablesen lassen, sind als feste Größen gedacht.
Der menschliche Körper ist aber keine feste Größe. Der menschliche Körper ist lebendige Materie und ist darum in dauernder Veränderung begriffen. Leben lässt sich nicht in Formeln pressen, und wer das für sich versucht, wird bald einmal feststellen, dass er sich in einem Zwangskorsett befindet. Der Körper verändert sich über die ganze Lebensspanne. Er reagiert auf hormonelle Umstellungen genauso wie auf Stress, Schlaf- oder Lichtmangel. Wenn man versucht, den eigenen Lebenslauf in die starre Struktur mathematischer Mittelwerte zu pressen, beschneidet man die Eigenheit und verliert an Identität. Das Ich-Gewicht wird ein Leben lang flexibel mit den momentanen Umständen ausbalanciert. Es passt sich dem Eigenen an und nicht der Norm.

3. Ich-Gewicht ist selbstbestimmt, nicht fremdbestimmt

Nachdem sich auch nach vielen Jahren Forschung noch keine einstimmige Expertenmeinung dazu herausgebildet hat, wie man am besten mit dem eigenen Körpergewicht umgehen sollte, hat man alles Recht der Welt, zur Selbstbestimmung überzugehen.
Die Fremdbestimmung greift nicht nur auf den Körperumfang zu, sie diktiert unrealistische Schönheitsideale, immer schneller wechselnde Modezyklen und sportliche Trends. Die allermeisten davon tragen nichts zu einem individuell erfüllten Leben bei, kosten aber viel Geld und Zeit. Das Ich-Gewicht ist das Gewicht, das selbstbestimmt erworben und gehalten wird; mit den Mitteln, die man aufgrund der aktuellen Lebenslage und der eigenen Vorlieben für sich selbst als angemessen einschätzen kann.. Die Meinung von anderen kommt an zweiter Stelle, wenn überhaupt. An erster Stelle kommen die eigene Meinung und das eigene Gefühl für Wohlbefinden und Lebensqualität.

4. Ich-Gewicht kommt ohne schlechtes Gewissen aus

Weil gängige Vorstellungen vom richtigen Gewicht nicht mit dem Unbewussten abgestimmt sind, sind sie oft nur im Kampf gegen unbewusste Motivlagen durchzusetzen: mit Disziplin und Selbstkontrolle. Auf Dauer ist jedoch das Unbewusste das stärkere System. Darum erleben viele Menschen Misserfolge in Serie, deuten dies als mangelnde Willenskraft und leben permanent mit einem schlechten Gewissen. [2] Im Gegensatz dazu erzeugt die Koordination von bewussten Plänen mit dem Unbewussten eine Form von Willenskraft, die von selbst funktioniert - "Selbstregulierende Willenskraft". Sie ist mit guten Gefühlen verbunden und mit Eigenmotivation optimal abgestimmt. Deswegen reduzieren sich die Misserfolge. Selbst wenn welche auftreten, kommt man ohne schlechtes Gewissen aus, weil man die Ursachen zielgerichtet suchen kann und nicht auf persönliche Willensschwäche zurückführen muss.

Aus: Maja Storch: „Mein Ich-Gewicht: Wie das Unbewusste hilft, das richtige Gewicht zu finden" Seiten 180-182; 32, 47, 53, 57, 82, 109; 10-13. 4.Auflage GOLDMANN 2009 (2007)

Siehe LEISTUNGEN: Angewandte Allgemeinmedizin & Geriatrie >>>
Kalorienverwertung >>>
Warum Mollige weniger Kalorien essen als Dünne, und warum das keiner glauben wil
l.
Gunter Frank: „Lizenz zum Essen: Warum Ihr Gewicht mehr mit Stress zu tun hat als mit dem, was Sie essen“ PIPER 2008,

Der Trick mit den Normwerten
pdf >>>
Dr. med. Gunter Frank (b.1963, deutscher Arzt, Buchautor): „Schlechte Medizin: Ein Wutbuch“ Teil I: Schlechte Medizin in der täglichen Behandlung.
Kapitel: Millionenfache Fehlbehandlungen: Alltag in deutschen Arztpraxen und Krankenhäusern. Der Trick mit den Normwerten. pp 22-25. KNAUS 5.Auflage 2012


Auf dem Weg in die Gesundheitsdiktatur: Wie mit Gesundheitsmoral Menschen diskriminiert werden. Von Siegern und Verlieren pdf>>>

Aus: Dr. med. Gunter Frank: „Schlechte Medizin: Ein Wutbuch“ Teil III: Die gesellschaftlichen Auswirkungen schlechter Medizin. Kapitel: Auf dem Weg in die Gesundheitsdiktatur:
Wie mit Gesundheitsmoral Menschen diskriminiert werden.
Von Siegern und Verlieren. Seite 222- 229 KNAUS 5. Auflage 2012