"Wissenschaft
schützt vor Torheit [1] nicht"
Aus:
„Wissenschaft schützt vor
Torheit nicht“
Teil III: Der Mut zur Demut:
Kapitel: Wissenschaft schützt vor Torheit nicht
S123-129, JORDAN 3.Auflage 1989 (1984)
Max Thürkauf
(1925.1993)
Schweizer Naturwissenschaftler und Philosoph.
Prof. f. physikalische Medizin an der Universität Basel
"Unsere Zeit versteht
sich mit verunsichertem Stolz als das Zeitalter der Wissenschaft,
wobei
unter Wissenschaft Naturwissenschaft verstanden wird.
Das Erkenntnismittel der
modernen Naturwissenschaft
ist das systematisch-reproduzierbare Experiment,
also die hervorbringende
Urteilskraft.
Bis Galilei war die Geist gelenkte Hand des Menschen lediglich
Gestaltungswerkzeug.
Seit Galilei verkündete, das Buch der Natur sei in der Sprache der Mathematik
geschrieben,
man müsse messen und messbar machen, ist die Hand sowohl Gestaltungs-
als auch
Erkenntniswerkzeug.
In der modernen Naturwissenschaft steht das Machen im Vordergrund;
die Chemiker
und Physiker sind vielmehr Macher als Denker,
und seit die Biologen das Leben
als eine Summe von Chemie und Physik
verstehen wollen,
gehören viele von ihnen
auch zu den
Vertretern der Forschung durch Machung.
Wie es im Bereich des Lebendigen nicht anders sein kann,
besteht hier das
Forschungs-Machen
in einem Zerlegen.
Werden beim Zerlegen auch die Moleküle des Lebewesen erfasst,
so handelt es sich
um die so genannte Molekularbiologie, die verborgener oder offener glaubt,
dereinst
einmal in der Lage zu sein,
die Moleküle wieder zusammensetzen zu können -
zu Lebewesen. Verfolgt man diesen
Gedanken zu Ende,
so wären die letzten
Diadochen [Nachfolger] dieser Wissenschaft die Macher der Macher.
Im Laboratorium ist
überwiegend das Machenkönnen, das Know-how, nicht das Denken entscheidend.
Die Jünger der modernen Naturwissenschaft sind keine Söhne des Prometheus, keine
Vorausschauenden,
sondern Nachkommen von dessen Bruder, dem Epimetheus, dem Nachherschauenden,
der die Büchse der Pandora geöffnet hat und die Übel in die Welt entweichen
ließ.
Daher kommt es, dass heute die Chemiker und Physiker ein Aha-Erlebnis nach dem
anderen haben
und immer wieder beteuern müssen, dass sie die Folgen ihres Machens
nicht haben
vorausschauen können.
Das ehemalige "Missing link" der seltenen Erden, das Element Nummer 61,
sollte Epimethium
und nicht Promethium heißen.
Es wurde im Feuer der Atombombe
gebrannt,
das nicht das Feuer des Prometheus ist.
Ein anderer Phönix [2]
der letzten Bombe wurde der Tatsache entsprechend nach dem
"Feuer dieser Welt",
dem Herrscher über das Feuer Hölle, benannt: wenn auch nicht Satanium, so doch
Plutonium. -
Jenen,
welche die Folgen solchen Tuns vorausschauen, sprechen die Epigonen des
Epimetheus
die
Wissenschaftlichkeit ab, weil sie nur das für wissenschaftlich halten, was
nicht vorausschaubar ist:
Messungen können nicht gedacht, nur gemacht werden;
sie können
nur durch Machen,
nicht durch denken bewiesen werden.
Wenn dem Menschen ein falsches Denken zu Grunde liegt, kann durch Machen
auch
das Undenkbare
"bewiesen" werden, zum Beispiel die Existenz von Atomen.
Eine Messung ist stets eine
sinnliche Wahrnehmung, die mathematisch nicht bewiesen werden
kann.
Sinnliche Wahrnehmungen muss man entweder selbst haben, oder man muss sie
jemandem glauben,
der sie gehabt hat. Dasselbe gilt für übersinnliche Wahrnehmungen,
beispielsweise für die Offenbarung
religiöser Wahrheiten. Blaise Pascal [1623-62], der große Mathematiker,
Philosoph und Wissenschaftler
des Galilei-Jahunders [17.Jhd.], aber ebenso das religiöse Genie des französischen
Barocks, sagt:
"Versuche nicht zu beweisen, wenn das zu Beweisende offensichtlicher ist als
der Beweis".
Die wesentlichen Belange des menschlichen Daseins sind weder mess- noch
definierbar, so die Liebe.
In der Sprache Pascals heißt es "l'amour defini, c'est l'amour fini". Als
Meister der Ratio ist Blaise Pascal -
Ärgernis der Rationalisten - vor allem der große Mystiker der "logique du coeur":
die Herzenslogik als Fundament der Wahrheit. Sie enthält die Kopflogik.
Die Wahrheit enthält die mathematisch erfassbare Richtigkeit, das Herz vermag
den Kopf zu fassen -
umgekehrt nicht. Das beweisen die Logiker: Ein Herzenslogiker hat Verständnis
für eine herzlose Kopflogik,
aber ein herzloser Kopflogiker kann sich eine Herzenslogik nicht vorstellen. Er
fragt immerzu, was ist das,
Liebe, und vermag keine Antwort zu geben, weil die Liebe nicht im Kopf wohnt.
Man mache die Probe aufs Exempel.
In der Herzenslogik ist der
Text so reich, dass die Sprache versagt und erst recht die Schrift.
Die Schrift ist nicht die Sprache und die Sprache nicht der Text; ein und
derselbe Text kann in allen Sprachen
und jede der vielen Sprachen kann in allen Schriften zum Ausdruck gebracht
werden. Der Text ist sinnlich
nicht wahrnehmbar,
er bedarf zu seiner
Übermittlung der gesprochenen Sprache oder der Schrift.
Im Jenseits werden
wir uns ohne Sprache verstehen, der übersinnliche Text genügt
zum Ausdrücken der
Liebe im Himmel -
und des Hasses in der Hölle
Es ist möglich, eine Schrift lesen zu können, ohne die Sprache zu verstehen. Es
ist ferner möglich,
die Sprache zu verstehen, ohne den Text zu begreifen. Das letztere ist im
Zeitalter des Materialismus
bei religiösen Texten häufiger der Fall, besonders bei Gebeten. Das Verstehen
eines Textes fordert
ebenso ein Lernen wie das Verstehen einer Sprache oder die Fähigkeit, eine
Schrift lesen zu können.
Zum Erlernen eines Textes braucht es nicht weniger einen Lehrer als zum Erlernen
einer Sprache
oder einer Schrift. Das Verständnis für Texte erfordert mehr geistige Arbeit als
das Erlernen von Sprachen
und Schriften - deshalb wird soviel Leeres gesprochen und geschrieben. Je
weniger Worte ein Autor
zum Ausdrücken eines Textes benötigt, um so besser ist seine Sprache.
Am Baum der Wissenschaft
wachsen die Äpfel des Adam. Sie gehören zu jenen "Früchten, an denen
ihr die erkennen sollt",
die jene erkennen, die "Augen haben, zu sehen".
Da sie schillernd ihre Farbe wechseln, müssen sie von verschiedenen Seiten
beleuchtet und betrachtet werden.
Den Dialektikern, die für das,
was vor ihrer Tür steht, Beweise fordern, ist
schwer zu helfen.
Es kann schwierig sein, zu
wissen, dass man sich auf einem sinkenden Schiff befindet - besonders
wenn das Schiff groß
und unsinkbar ist. Die verantwortlichen Offiziere der
sinkenden "Titanic" haben Beweise
für das Sinken ihres
untergehenden Schiffes gefordert, bis es für die Rettung
der Passagiere zu spät war.
"Das Sein muss im Letzten persönlich bestimmt werden", sagt Romano Guardini
[1885-1968].
"Darauf wartet es. Es ist aber jemand da, der es zum Bösen tun will. Er tritt
nicht als solcher hervor;
ja er benutzt gerade Vernunft und Sachlichkeit, um sich zu verbergen. Gerade in
die angebliche Entzauberung
verhüllt er sich. In der Wissenschaft, die reine Sachlichkeit sein will, wirkt
er ein Blindwerden der Augen
für das Nächstliegende; einen nie endenden Widerspruch, worin immer die erste
Behauptung von der zweiten
aufgehoben wird;
eine Zerstörung der
Geistesgemeinschaft, von welcher der Forscher immer wieder
in die
blinde Anspannung des Faches flüchtet. Aus der technisch und menschlich
durchgeführten Rationalisierung
hat er die Menschen knechtende Maschine der heutigen Wirtschaftsordnung werden
lassen - oder ziehen wir vor,
zu sagen, der Mensch sei in seiner Klugheit dumm geworden; nehme die Mittel für
den Zweck und mache
aus dem Herrn der Maschine ihren Knecht? Dann ist eben dieses der Ausdruck des
Dämonischen ...
Und vieles noch. Freilich ist es schwer, zu sehen und zu bezeichnen; denn das,
worum es sich handelt,
sitzt auch im Auge selber und macht blind. Die Wirrnis im Geschen, die
Blindheit, die Kälte im Herzen
und die falsche Richtung im Willen - das alles ist ein und das Gleiche. Wer
darin verfangen bleibt,
sieht immer nur Dinge, Tatsachen, Konsequenzen, Logik. Den Feind sieht er nicht.
-
Jesus hat ihn zum Stehen gezwungen. Er hat ihn ins Auge gefasst und besiegt.
Im Maße wir fähig werden, mit Christi Augen zu blicken, sehen auch wir ihn.
Im Maße Christi Geist und Herz in uns lebendig wird, werden wir Herr über ihn.
Die Klugen freilich werden über solche Gedanken lächeln."
Des Adam Äpfel sind so verschieden wie die Gifte der Welt und gleichen sich wie
die Gifte: sie sind alle giftig.
Aus der Frucht vom Baum der Erkenntnis, aus dem unverdauten Kerngehäuse von Evas
Apfel,
ist ein Kernling
gewachsen: der Baum der Wissenschaft.
Seine Früchte versprechen Wahrheit, vermögen aber bloß Richtigkeit
zu geben.
Wer davon isst, macht viele richtige, aber unwahre Rechnungen, sehr zweckvolle,
aber sinnlose Taten.
Die Neugierde des Weibes hat durch Evas Apfel den Menschen aus der Geborgenheit
des Paradieses vertrieben.
Die Neugierde des Mannes hat - wie Werner Freiesleben [1929-2013] sagt - mit einem wahren
Wettessen
von Adams Äpfeln
die Menschen aus dem Kosmos, aus der Geborgenheit der Natur vertrieben.
Die Vollendung des Sündenfalls verbannt uns in eine Welt der gemachten Dinge.
In der Technokratie, in der kulturlosen Zivilisation der Macher, müssen die
Menschen den Boden,
auf dem sie stehen und von dem sie leben, selber machen: den Sinn des Lebens.
Dass die Meinung, dies zu können, ein Zirkelschluss ist, kommt in der
"Sinngebung" eines
Molekularbiologen zum Ausdruck: "Der Sinn des Lebens besteht darin,
dem Leben
einen Sinn zu geben."
So formuliert ist die Zirkelschlüssigkeit des Materialismus verdankenswert
offensichtlich.
Bald bleibt in unserer gemachten Welt nichts mehr, aus dem uns Gott vertreiben
könnte.
Dass die Vollendung des Sündenfalls durch die Tätigkeit der modernen
Naturwissenschaft
bewerkstelligt wird,
zeigt sich in der letzten Phase der Vertreibung: der Mensch
vertreibt sich
selbst um der gemachten Dinge willen.
In der darwinistischen Gesellschaft des Überlebens des Tüchtigen, des Kampfes
aller gegen alle,
ist jeder des anderen Teufel. Das Gegenteil wäre das verwirklichte
Christentum, wo nicht
der Tüchtigste,
sondern der Liebesfähigste erhöht wird: die Menschheit als eine
Gesellschaft der
Liebe und Nächstenliebe.
- Der Zweck mag die Mittel heiligen, meistens scheinheiligen. Sinnvoll sind nur
Liebestaten;
eine Tat kann sehr zweckvoll und doch sinnlos sein. Die materialistische
Naturwissenschaft und
ihre Technik
werden immer zweckvoller und immer sinnloser, weil sie Sachlichkeit fordern.
Der Mensch ist aber keine Sache, sein tiefstes Wesen ist seine Liebesfähigkeit.
Der Sinn und die Kraft der Welt ist die Liebe.
"Die Schöpfungsgeschichte
ist eine Liebesgeschichte", sagt Alma von Stockhausen [b.1927].
Wir leben in einer Endzeit: Der Anfang vom Ende des Materialismus spielt sich
vor unseren Augen ab.
Wer Augen hat, schaue: Der sandige Boden der Ideologie wird in diesen Tagen vom
Strom der Zeit
weggespült.
Petrus, der Fels, überragt die Fluten der Geschichte und trägt das Haus,
welches "die Pforten der Hölle nicht überwältigen werden".
Endzeit bedeutet nur im
Materialismus die Zeit vor dem Nichts.
Für das Leben sind Tod und Geburt untrennbar verbunden wie Schmerz und Freude.
Ende bedeutet im Leben immer Anfang: Anfang eines neuen Lebens.
Alles Messbare ist endlich, weil jeder Maßstab endet.
Das Unmessbare, das Leben, ist unendlich.
Was vom Leben endet, ist die Eitelkeit, sich für immer auf Erden einzurichten.
Im Erkennen des Todes als Anfang besteht das Erkennen des Lebens:
"Wenn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben
verliert
um meinetwillen,
der wird es erhalten. Und welchen Nutzen hätte der Mensch, ob er
die ganze Welt
gewönne
und verlöre sich selbst oder beschädige sich selbst?" (Lukas 9, 24-25)
Es ist mir ein Anliegen, zu betonen, dass dies eine Kritik der Liebe ist -
meiner Liebe zur Naturwissenschaft.
Die Kritik gilt nicht der Naturwissenschaft als solcher, sondern dem
materialistischen Wissenschaftsbetrieb,
zu dem sie entartet ist, und dessen Anwendung in der maßlos gewordenen
technokratischen Wirtschaft,
welche die Heimat des Lebens, die Erde, als Rohstoffbeute und Marktplatz
betrachtet.
Es handelt sich sozusagen um den Aufschrei eines Liebhabers, dessen Geliebte -
die Naturwissenschaft -
vom Materialismus prostituiert wird. die Härte der Kritik gilt dem Missbrauch,
nicht der "l'art pour l'art"
[Die Kunst für die Kunst], sondern der "l'art pour Dollar" [Die Kunst für das
Geld].
Der Untergang des unsinkbaren
Schiffes der modernen Menschheit, der "Technokratie",
wird uns schwere Zeiten bringen. Schwere, aber gute Zeiten.
In einer schweren Zeit
ist es leicht, ein sinnvollen Leben zu führen, weil ein
sinnvolles Leben
immer schwer ist.
Es gilt, die Boote der sinkenden "Technokratie" klar zu machen
mit sinnvollen Taten - mit Liebestaten.
Auf diesen Booten wird die Menschheit die lange Reise antreten nach den Gestaden
[Ufern]
der kommenden Kultur,
die von einer noch nie erreichten Blüte sein wird:
das verwirklichte
Christentum als eine Menschheit der Liebe
und Nächstenliebe.
Auf den Booten haben alle Menschen Platz, die guten Willens
sind.
Diese Boote sind die Länder der Erde.
Erklärungen:
[1]
Torheit, ein
abkommender Begriff der gehobenen Umgangssprache, beschreibt die negative
(fehlerhafte) Seite der
Einfalt.
Ein Tor oder töricht ist
sinngemäß eine Person, die etwas nicht nachvollziehen kann, bevor sie es nicht
selbst erlebt hat.
Der Tor erkennt erst, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, dass es
tot ist. Vorher kann der Tor die Situation nicht
abschätzen. Als Person
handelt er also aus Beschränktheit töricht ("... aufsässig, frech,
unbelehrbar, unvernünftig,
aggressiv, unreif, naiv ..."). Ein Tor jagt
Unerreichbarem nach oder wählt zur Erreichung vernünftiger Absichten ungeeignete
(unpraktische) Mittel, beispielsweise mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Somit
ist die Torheit das Gegenteil von
Klugheit
oder
Schlauheit. In der älteren Sprache wird der
Begriff oft mit schärferem Vorwurf verwendet. Der Tor ist ein
Narr,
unbelehrbar, mutwillig und stiftet
erheblichen Schaden bis hin zum
Frevel.
Einfalt (lat.
simplicitas) bezeichnet eine gewisse Begrenztheit des Verstandes und Geradheit
des Urteils und, da diese den
Kindern eigen ist, die echte Kindlichkeit. Sie
kann auch als die Abwesenheit von Ziererei, falscher Rücksichtnahme,
Verstellung und Unredlichkeit verstanden werden.
[2]
Der Phönix („Der Wiedergeborene/Der neugeborene Sohn“;
lateinisch phoenix) ist ein mythischer Vogel,
der verbrennt, um aus seiner Asche wieder neu zu erstehen.
Diese Vorstellung findet sich heute
noch
in der Redewendung „Wie ein Phönix aus der Asche“ für etwas, das schon
verloren geglaubt war,
aber in neuem Glanz wieder erscheint.
Aus:
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