Krankenhäuser
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Kathedralen unserer Zeit
Günther Loewit (b.1958,
Österreichischer Arzt, Autor):„Wie viel
Medizin überlebt der Mensch?“
Kapitel: Das Notwendige und das Mögliche -Kathedralen unserer Zeit. Seite 221-228.
HAYMON 2.Auflkage 2013.
Krankenhäuser gab es bereits im antiken
Rom. Ihre Entstehung war eng mit der Ausbreitung des Christentums verbunden:
Als die neue Religion unter Kaiser Konstantin [Konstantin der Große, gestorben
337 n. u. Z] zur Staatsreligion wurde, begannen
verschiedene Ordensgemeinschaften, Hospitäler einzurichten, in denen die
christliche Nächstenliebe [Caritas] zusammen mit
medizinischer Hilfe praktiziert wurde.
In gewisser Weise setzt sich diese Nähe von Religion und Medizin bis heute fort.
Zwar spielen Ordensspitäler heute nur noch
eine untergeordnete Rolle - aber in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung als
Träger von Glauben und Hoffnung hat die Medizin
die Religion längst eingeholt und überholt. Moderne Krankenanstalten sind zu den
Kathedralen unserer Zeit geworden.
um 1908
Heute
Allgemein öffentliches Bezirkskrankenhaus
Schwaz
Mit freundlicher Genehmigung: Eco.Nova Verlags
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Ein 43-jähriger Mann
verletzt sich, ohne sich entsprechend aufgewärmt zu haben, bei einem
Fußballjuxtunier am Sonntag das rechte Knie.
Am Montag wird er von seiner
Hausärztin arbeitsunfähig geschrieben und zu einer Magnetresonanztomografie des
verletzten Knies zugewiesen,
weil die Ärztin einen Meniskuseinriss vermutet. Die Überweisung zur MRT muss
erst von einem Vertrauensarzt der zuständigen Krankenkasse
bewilligt werden. Die zu bewilligende Überweisung trifft genau eine Woche nach
der Erstuntersuchung beim Patienten ein. Der setzt sich sofort
telefonisch mit dem nächstgelegenen radiologischen Institut in Verbindung und
erhält einen Termin für den folgenden Montag, also 14 Tage
nach der Erstuntersuchung - ein Entgegenkommen wegen der offensichtlichen
Dringlichkeit, wie am Telefon betont wird. am 17. Tag nach der
Verletzung bekommt der verunfallte Hobbyfußballer den Befund samt Bildern
zugesandt und begibt sich damit auf die orthopädische Ambulanz des
Krankenhauses. Dort wird er erneut untersucht, und obwohl die Schmerzen im Knie
zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich weniger geworden sind,
wird ihm zu einer Operation des eingerissenen Meniskus geraten. Aufgrund der
Auslastung der Operationssäle wird der OP-Termin für einen Montag
genau fünf Wochen nach der Erstuntersuchung festgelegt. Drei Werktage vor dem
geplanten Eingriff findet sich der KFZ-Mechaniker, der immer noch
als arbeitsunfähig geführt wird, bei seiner Hausärztin zur vorgeschriebenen
präoperativen Befunderhebung ein. Die Ärztin fertigt ein Blutbild, einen
Gerinnungsstatus, ein EKG sowie eine Lungenfunktionsprobe an, um die
Verweildauer im Krankenhaus so kurz wie möglich zu halten. Auf die Frage
der Ärztin, wie es ihm denn gehe, antwortete der Patient, dass sein rechtes Knie
eigentlich schmerzfrei sei und er auch ausgedehnte Spaziergänge
ohne Beschwerden absolvieren könne. Ihr Ansinnen, die Operation in Anbetracht
dieser erfreulichen Entwicklung vielleicht abzusagen, lehnt er allerdings
schroff ab. Der Facharzt würde ja schließlich wissen, wieso er ihm zur
Operation geraten habe, und überhaupt wolle er das Beste für sein Knie und sich
selbst. Das stünde ihm schließlich zu, nachdem er seit fast 30 Jahren seine
Krankenversicherungsbeiträge einzahle. Und so kommt es, dass der
schmerzfreie, einwandfrei belastbare Patient fünf Wochen und einen Tag nach dem
Freizeitunfall operiert wird. Durch den Eingriff kommt es
zu einer Verlängerung des Krankenstandes um weitere sechs Wochen, denn so lange
dauert es, bis eine postoperative Infektion des Knies mit
Antibiotikainfusionen ausgeheilt werden kann. Und es dauert noch einmal drei
Monate, bis alle Beschwerden vollkommen abgeklungen sind
und der Freizeitfußballer seine gewohnte Arbeit nach fast fünfmonatiger
Unterbrechung wieder aufnehmen kann.
LKH-Innsbruck
Quelle:www.tilak.at/
Österreich hat, darin sind sich
alle einig, im Vergleich zum OECD
[1]-Durchschnitt
ein relatives und absolutes Überangebot
an Spitalsbetten und an in Spitälern erbrachten Leistungen. Das Drängen der
Patientenströme in die Krankenanstalten wird
verständlicher, wenn man sich einen Slogan in Erinnerung ruft, den viele
Politiker bei jeder Gelegenheit wiederholen:
"Spitzenmedizin gibt es
nur in den Spitälern."
Mit Botschaften wie diesen lenkt man naturgemäß die Patienten von
den - kostengünstigeren - Praxen
niedergelassener Ärzte
in die - weitaus teureren - Spitalsambulanzen, auch wenn eine gleichwertige
medizinische Behandlung für 70-80% aller Beschwerden
da wie dort möglich wäre.
[1]OECD:
Organisation for Economic Co-operation and Development, Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Die OECD ist eine Internationale
Organisation
mit 34 Mitgliedstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet
fühlen. Die meisten OECD-Mitglieder gehören zu den Ländern mit hohem
Pro-Kopf-Einkommen und gelten
als entwickelte Länder. Sitz der Organisation ist Paris in Frankreich. [Quelle:
Internet]
In Bad Aussee [im steirischen Salzkammergut]
befindet sich eines jener kleinen Krankenhäuser, welche die Reformer des
Gesundheitssystems
gerne abgespeckt sehen würden. Nach derzeit gängiger Meinung der
Gesundheitsökonomen rechnet sich z.B. eine chirurgische Abteilung erst
ab einem Einzugsgebiet von 60.000 Menschen, im Fall des Krankenhauses Bad Aussee
sind es nur 5.000. So liegt z.B. die Frequenz von
Blinddarmoperationen an der
chirurgischen Abteilung von Bad Aussee aus der Sicht der Gesundheitsökonomen
viel zu niedrig - mit nur
durchschnittlich zwei Operationen pro Monat sei die Abteilung ineffizient und
obendrein riskant für die Patienten.
Die Sache wurde zum Politikum: Die Landes-SPÖ wollte die Chirurgieabteilung (die
Notfallversorgung ausgenommen) schließen, die ÖVP
setzte sich aber im Landtag vehement dagegen ein und konnte so das Aus für die
Abteilung verhindern. Bei den anschließenden Wahlen verlor die
SPÖ in Bad Aussee ca. 20 % ihrer Wähler. Der enttäuschte SPÖ-Bürgermeister
erklärte, dass eine sachliche Diskussion nicht möglich gewesen
wäre, stattdessen hätte es in der Gemeindestube Schreiduelle gegeben. Und er
fügt verbittert hinzu, dass die Vorkommnisse in Aussee nur ein
Vorgeschmack dessen wären, was auf eine Bundesregierung zukäme, die es mit der
so lange angekündigten Gesundheitsreform ernst meint.
Ein anders Beispiel, das nicht weniger nachdenklich stimmt: Aufgrund eines
Hochwassers zu Beginn des Jahrtausends [in der Nacht vom 11.
auf den 12.6.2005] musste das Spital in Mittersill [Oberpinzgau] im Bundesland
Salzburg komplett geräumt werden. Zu diesem Zeitpunkt waren 60 der
insgesamt 70 Krankenhausbetten belegt. Der Plan der Verantwortlichen war, die 60
betroffenen Patienten in das Krankenhaus Schwarzach im Pongau
zu transferieren - dort kamen allerdings lediglich 18 Patienten an, die übrigen
[42] konnten, ohne Schaden zu nehmen, einfach nach Hause entlassen
werden. Wäre die Räumung des Spitals nicht notwendig gewesen, hätten sie aber
mit Sicherheit noch mehrere Tage dort zugebracht.
AKH-WIEN
Quelle:
www.akhwien.at
Seit 1999 sind die Kosten für das österreichische Spitalswesen um sagenhafte 56%
gestiegen
und betrugen im Jahr 2009 bereits 11 Milliarden Euro.
Das Institut für Höhere Studien (IHS)
www.ihs.ac.at/vienna errechnet gegenwärtig einen weiteren Kostenanstieg
für
den stationären Krankenhausbereich von bis zu 16,2 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020.
Ein guter Teil dieser
Summen geht auf Kosten der Verwaltung.
Eine
aktuelle deutsche
Studie stellt fest, dass 23% der Gesamtausgaben der
gesetzlichen Krankenversicherungen für bürokratische Abläufe
verwendet werden -
in der
Industrie liegt der entsprechende Anteil bei lediglich 6,1%, also einem Viertel.
Und die gleiche Studie stellt fest,
dass deutsche Krankenhausärzte
37% ihrer Arbeitszeit für Verwaltungsaufgaben verwenden müssten. Weiters wird in
der Studie ausgeführt,
dass das Gesundheitssystem durch
eine Vielzahl von Reformen einen Grad der Komplexizität erreicht habe,
der nicht
mehr angemessen beherrschbar sei.
Warum Politiker trotz aller Budgetprobleme und
Sparnotwenigkeiten für "ihre Patienten" - womit gemeint ist: "ihre
Wähler" -
ständig wachsende Bettenkapazitäten verantworten wollen, ist ebenso
rätselhaft wie der Umstand, dass Spitäler einen
"Wohlfühlfaktor" und
"Fünf-Sterne-Atmosphäre"
aufweisen müssen.
Würde es nicht genügen, notwendige medizinische Eingriffe
kompetent und in menschlich korrekter Atmosphäre durchzuführen?
Muss ein neu errichtetes "Kompetenzzentrum" beworben werden, oder führt die
Bewerbung von medizinischen Einrichtungen nicht
eher zu deren
Missbrauch? Werden durch all die bunten Broschüren mit lächelnden, glücklichen
Patienten und Krankenpflegern
nicht eher Begehrlichkeiten
geweckt? Ist das Kranksein wirklich ein so erstrebenswertes Ideal unserer
Gesellschaft?
Oder wollen Politiker aller Couleurs einfach wieder gewählt werden?
Das ist wohl vor allem anderen
anzunehmen. Und möglichst viele
Gesundheitseinrichtungen im jeweiligen Wahlbezirk scheinen
einen
nicht
unwesentlichen Anteil an der Beliebtheit von Politikern zu haben.
Nicht zuletzt deshalb, weil moderne Schwerpunkt-
krankenhäuser -
vor allem in
ländlichen Bezirken - die mit Abstand größten Dienstgeber sind.
Mit den angeschlossenen Betrieben wie Küchen, Wäschereien,
Energie- und
Wärmelieferanten stellen Spitäler bedeutsame Wirtschafts-
standorte dar. Auch für die Bauindustrie sind Krankenhäuser eine
wichtige
Einnahmequelle, da sie aufgrund der rasanten Fortschritte
im
medizinisch-technischen Bereich sowie der ständig nach oben
revidierten
Qualitätsstandards permanent adaptiert,
renoviert und erweitert
werden müssen.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet
erscheinen die ca. 10% vom Bruttoinlandsprodukt (BIP), die in Österreich
Jahr für Jahr für das Gesundheitswesen
[~31,4 Milliarden Euro] ausgegeben
werden, in einem neuen Licht:
Dieser
Wert drückt aus politischer Perspektive wohl eher das Bedürfnis
der verantwortlichen Politiker aus,
vom Volk geliebt und damit wieder gewählt zu
werden, als rationales Zweck orientiertes Denken.
Es ist also kein Zufall, dass sich Länder, Bund und Gemeinden mit wechselndem
Erfolg um die Oberhoheit
über den "stationären Bereich"
streiten. Wer im Gesundheitsbereich tonangebend sein will, muss über
die
Gestaltungsmöglichkeit im Bereich der Krankenanstalten verfügen
können.
Es geht also weit mehr um Macht und
Einflussnahme als um Vernunft.
Und
während in den Spitalsbereich Milliardenbeträge investiert
werden, wird der Bereich der niedergelassenen Ärzte
von
denselben Politikern zu Tode gespart - mit der Folge eines Landarztsterbens
in weiten Teilen Österreichs.
Denn irgendwo muss ja schließlich gespart
werden. Und die unzufriedenen Patienten, die vor Ort nicht mehr
ausreichend
medizinisch versorgt werden können, müssen irgendwo aufgefangen
werden.
Und was bietet sich da mehr an, als ein
Schwerpunktkrankenhaus weiter auszubauen. So schließt sich ein finanziell
verhängnisvoller Kreis.
In diesen teuer zu betreibenden Spitälern
werden dann Eingriffe durchgeführt, die früher ein niedergelassener Arzt
in
seiner Ordination problemlos hätte durchführen können: Hauttumore,
Lipome und Atherome könnten auch
ohne kostenintensive Operationsvorbereitungen
in Lokalanästhesie durchgeführt werden - noch dazu
in Wohnortnähe des Patienten. Ein hochsteriler, klimatisierter OP ist dazu nicht
nötig.
Vor allem die Widersprüchlichkeit der öffentlichen
Bekenntnisse ist ein erschreckendes Indiz
für die Orientierungslosigkeit der politischen Entscheidungsträger.
Zum einen ist allen handelnden Personen klar, dass gespart werden muss.
In
Hinblick auf die Überalterung unserer Gesellschaft, deren
Gipfel noch nicht einmal erreicht ist,
muss man davon ausgehen, dass die
Beibehaltung der derzeitigen Standards in Medizin und Pflege
den finanziellen Ruin der öffentlichen Haushalte bedeuten wird.
Zum anderen aber
bauen die gleichen Politiker, die zum Sparen aufrufen,
immer noch bessere, kostspieligere und noch größere Spitäler als Kulisse für die
Bühne,
auf der sie sich selbst zur Darstellung bringen.
Und das Volk jubelt vor Begeisterung:
"Für
die Gesundheit darf uns nichts zu teuer sein!"
"Auch nicht die Zukunft unserer Jugend?",
muss man
da fragen."
Aus: Günther Loewit: „Wie viel Medizin überlebt der
Mensch?“ Kapitel: Das Notwendige und das Mögliche.
Kathedralen unserer Zeit. Seite 221-228. HAYMON 2.Auflkage 2013
www.guenther-loewit.at
[Ergänzungen]
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Günther
Loewit
(b.1958)
Österreichischer Arzt, Autor
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